(Offener Brief der Polizeikontrollstelle an das Potsdamer Polizeipräsidium)
Sehr geehrter Herr Küpper, sehr geehrter Herr Marschall,
In den letzten Monaten erreichten uns mehrfach Mitteilungen über erniedrigende und schikanöse Behandlungen von Gefangenen durch die Polizei.
Beispielhaft möchten wir zwei Fälle aus den letzten Wochen herausgreifen:
In einer Mitteilung des Potsdamer Ermittlungsausschusses heißt es:
“Direkt nach Bekanntwerden der Räumung des linksalternativen „Ungdomshuset“ in Kopenhagen versammelten sich am 01. März knapp 100 linke AktivistInnen, um ihrem Protest gegen die Räumung und ihrer Solidarität mit den BewohnerInnen Ausdruck zu verleihen. Auf dem Weg durch die Potsdamer Innenstadt wurde mit Sprechchören dem Anliegen der Demonstration kraftvoll Ausdruck verliehen.
Kurz vor dem Luisenplatz versuchten dann plötzlich mehrere Polizisten, die Demonstration zu stoppen, woraufhin sich die TeilnehmerInnen zerstreuten.
Innerhalb kürzester Zeit zog die Polizei daraufhin ein Großaufgebot in Potsdam zusammen, es waren Einheiten aus ganz Brandenburg und sogar aus Berlin im Einsatz. In der Nähe des Brandenburger Tors wurden dann vor allem Junge Menschen festgenommen, welche von der Polizei des Landfriedensbruches und anderer Delikte beschuldigt wurden. Von den insgesamt 16 Festgenommenen war ein Großteil weiblich und unter 18 Jahren alt – eine klare Einschüchterungstaktik. Was für viele der minderjährigen Festgenommenen folgte, waren klare Erniedrigungen und Rechtsbrüche seitens der Polizei. So wurden Festgenommene aufgefordert, sich trotz der erheblichen Kälte auf offener Straße die Schuhe und Socken auszuziehen, da darin Rasierklingen versteckt sein könnten. Teilweise wurden Gespräche mit anderen Menschen untersagt, selbst wenn die Betroffenen mit mehreren anderen im gleichen Auto saßen. Manche der Betroffenen wurden beleidigt, einige junge Frauen mussten sich auch vor männlichen Polizisten halb entkleiden. Nachdem sie sich darüber beschwerten, wurde Ihnen gedroht, dass sie auch gezwungen werden könnten, sich ganz entkleiden zu müssen. Auf Nachfrage, was denn der Grund für die Verhaftungen sei, antworteten einige PolizistInnen mit „Wissen wir jetzt auch nicht.“ oder drohten damit, dass „der Haftrichter“, dass später schon erklären würde.
Auf der Wache in der Potsdamer Tresckowstraße wurden dann nochmals alle weiblichen Verhafteten dazu gezwungen, sich komplett zu entkleiden, außerdem wurde Ihnen die Untersuchung „aller Körperöffnungen“ angedroht, da darin angeblich „Feuerwerkskörper“ versteckt sein könnten. Andere Verhaftete bekamen offenbar willkürlich immer mehr Anzeigen wegen ein und derselben vorgeworfenen Tat, einigen wurden wichtige Medikamente abgenommen und erst nach dem Hinzukommen eines Arztes wieder ausgehändigt, so dass diese erst verspätet eingenommen werden konnten. Manchen Betroffenen wurden die ihnen zustehenden Telefonate verweigert, sogar mit den eigenen Eltern konnten einige der unter 18jährigen Verhafteten keine Gespräche führen. …“
2.
Bei der Rückreise von Fans des SV Babelsberg 03 vom Auswärtsspiel in Schönberg kam es am 11.03.2007 auf dem Berliner Hauptbahnhof zu einem Polizeiübergriff, weil ein Fan während der Einfahrt der S‑Bahn am Bahnsteig zu dicht an der Bahnsteigkante gestanden haben soll. Im Ergebnis des „zu seinem Schutz“ gestarteten Einsatzes der Bundespolizei wurde der Arm ausgekugelt und die Bänder überdehnt. Eine 17-Jährige, die gegen die Festnahme protestierte, wurde zur Feststellung der Identität in den Gewahrsam auf der Wache der Bundespolizei im Bahnhof gebracht. Dort wurde sie einer erkennungsdienstlichen Behandlung unterzogen und gezwungen, sich vollständig zu entkleiden. Die Eltern wurden erst im Nachhinein über die Maßnahmen der Polizei informiert.
Für beide Fälle liegen unserer Initiative glaubwürdige Berichte von Augenzeuginnen und Betroffenen vor.
Obwohl wir erhebliche Zweifel haben, dass die Polizei berechtigt ist, eine Versammlung ohne weiteres aufzulösen, möchten wir diese Frage nicht weiter erörtern. Wir wollen dahingestellt sein lassen, ob die Polizei in beiden Fällen Personen in Gewahrsam nehmen durfte.
Anliegen unseres Schreibens ist vorrangig die Tatsache, dass die Polizei in Berlin und Potsdam bei Festnahmen und im Gewahrsam immer wieder auf Handlungsmuster zurückgreift, die für die Betroffenen einen offensichtlich demütigenden und erniedrigenden Charakter tragen.
Besonders deutlich tritt dies zu Tage, wenn Festgenommene gezwungen werden, mit dem Gesicht auf der Strasse zu liegen. Mit vergleichbaren Gesten wird häufig im Tierreich Unterwerfung demonstriert. Ein solches Verhalten der Polizei gegen gefesselte und wehrlose Personen ist kaum als eine erforderliche Maßnahme zur Gefahrenabwehr zu bewerten. Vielmehr stellt es eine Machtdemonstration und einen Einschüchterungsversuch gegen die Festgenommenen – also einen direkten Angriff gegen deren Persönlichkeit dar. Das so vermittelte Gefühl des Ausgeliefertseins kann zu schwerwiegenden psychischen Erkrankungen führen.
Das erzwungene Entkleiden hat einen ähnlichen Charakter. Unübersehbar ist allerdings, dass diese Polizeimaßnahme eine ausgeprägte Form sexualisierter Gewalt darstellt. (Darunter ist nicht gewalttätiger Sex, sondern die sexuelle Prägung eines Gewaltverhältnisses zu verstehen.) Auch der Zwang, Eingriffe und Einblicke in den persönlichen Intimbereich zulassen zu müssen, kann zu einer traumatischen Erfahrung werden, die schwere Folgen hat.
Angesichts der Schwere dieser Polizeieingriffe und der erheblichen Gefahren für die Gesundheit und Persönlichkeitsentwicklung insbesondere bei Jugendlichen können derartige Maßnahmen nur in den allerseltensten Extrem- und Ausnahmesituationen zulässig sein. Pauschale Hinweise auf die Gewahrsamsordnung, die Eigensicherung der Beamten oder mögliche Suizidgefahren reichen nicht aus.
Wir fordern Sie dringend auf, dafür Sorge zu tragen, dass Gefangene durch die Brandenburger Polizei künftig in einer Art und Weise behandelt werden, die die Persönlichkeit achtet. Über den Zweck der Maßnahmen hinausgehende erniedrigende Machtdemonstrationen von Polizist/inn/en gegenüber Gefangenen müssen mit aller Konsequenz geahndet werden.
Für eine rasche Antwort wären wir Ihnen dankbar.