(Marian Krüger) General a.D. Schönbohm hat als Innenminister des Landes Brandenburg auf einer internationalen Gedenkveranstaltung Überlebende des faschistischen Konzentrationslagers Sachsenhausen beleidigt. Dies ist nicht nur ein bislang einmaliger Vorgang, sondern auch eine Schande für die gesamte brandenburgische Landesregierung. Denn in welcher Eigenschaft hat Schönbohm dort gesprochen, vielleicht als Hobbyhistoriker oder als geschätzter Interviewpartner der Jungen Freiheit? Seine Position, die Insassen des auf dem Gelände des KZ nach 1945 betriebenen Speziallagers der sowjetischen Besatzungsmacht kollektiv zu Opfern zu erklären und damit auch die Täter moralisch auf eine Stufe mit den KZ-Häftlingen zu stellen, ist eine bewußte Verklärung und Verharmlosung der von den Nazis in Sachsenhausen begangenen Verbrechen. Eine Verharmlosung der Massenerschießungen sowjetischer Kriegsgefangener, eine Verharmlosung der Experimente an wehrlosen Häftlingen und eine Gleichsetzung der Roten Armee mit den Schergen der SS. Während die SS durch das Potsdamer Abkommen zur verbrecherischen Organisation erklärt worden ist, kann sich die Internierung von Nazifunktionsträgern auf Alliierte Kontrollratsbeschlüsse stützen. Der Mißbrauch, den die Besatzungsmächte und in einem besonderen Maße auch die Sowjetunion mit den weitreichen Möglichkeiten zur Internierung der ehemaligen Nazisschergen auch zur Verfolgung Unschuldiger getrieben haben, ändert nichts an dem Umstand, daß KZ und Speziallager nicht gleichgesetzt werden können und dürfen. Es ist bezeichnend, daß nicht die Vertreter deutscher Institutionen zuerst gegen Schönbohm protestierten, sondern die ehemaligen KZ-Häftlinge. Diese Menschen mußten sich von Schönbohm auch noch darüber belehren lassen, daß Geschichte »doch auch heilsam sein« kann, »selbst wenn sie grausam ist«. Und so belehrt im Jahre 2006 ein deutscher Innenminister ehemalige KZ-Häftlinge darüber, was geistige Gesundheit ist.
Schönbohm kann sich der offenen oder klammheimlichen Sympathie des konservativ-bürgerlichen Spektrums sicher sein. Insofern ist er nur ein Symptom einer geistig-politischen Entwicklung, der Umwertung der deutschen Geschichte. Diese Entwicklung läuft immer mehr darauf hinaus, daß sich das Erinnern an die Verbrechen des Naziregimes und ihre Ursachen faktisch über einen konstruierten Zusammenhang zu tatsächlichen und vermeintlichen Verbrechen des Stalinismus zu legitimieren habe. Die Glaubwürdigkeit und Berechtigung der Ehrung der Opfer wird so von dem Gedenken an die Täter abhängig gemacht. Ist dies verachtenswert? Mehr als das. Offensichtlich ist es Teil einer sogenannten »Erinnerungskultur«, wie sie nicht nur von Schönbohm praktiziert wird.