(Berliner Zeitung, 24.11.) POTSDAM, 23. November. Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) hält
die zuwanderungspolitischen Ansichten der rechtsradikalen DVU für weitgehend
akzeptabel. “Ein Teil davon ist inzwischen sicher Allgemeingut. Sogar der
Bundeskanzler hat schon Ähnliches gefordert”, sagte Schönbohm der Berliner
Zeitung. Schönbohm nahm dabei explizit Bezug auf DVU-Forderungen wie “Stopp
dem zunehmenden Ausländerzustrom” und “Ausweisung von kriminellen
Ausländern”. Schönbohm weiter: “Nur, das ist alles in einem Rechtsstaat
nicht so einfach.” Dennoch bleibe die DVU für ihn eine rechtsradikale
Partei, so Schönbohm. “Wer Propaganda macht wie ‚Deutsche Arbeit nur für
Deutsche′, der zeigt, dass er nicht begriffen hat, dass 50 Prozent der
Arbeitsplätze vom Export abhängen.”
Harte Kritik an Äußerungen Schönbohms
Kanzleramt weist Nähe zu DVU-Positionen zurück
(Berliner Zeitung, 25.11.) POTSDAM/BERLIN. Auf heftige Kritik sind Äußerungen von Innenminister Jörg
Schönbohm (CDU) in einem Interview der Berliner Zeitung zu Positionen der
rechtsextremen DVU gestoßen. Die Bundesregierung reagierte verwundert auf
Schönbohms Einschätzung, dass selbst der Bundeskanzler mittlerweile
ausländerpolitische Forderungen aufgestellt habe, die eigentlich von der
rechts- radikalen DVU erhoben worden seien. “Wenn der Bundeskanzler auf eine
Stufe mit Rechtsextremen gestellt wird, ist das so nicht zu akzeptieren”,
sagte ein Regierungssprecher am Mittwoch in Berlin. Das Kanzleramt mache
sich solche Positionen nicht zu Eigen. Allerdings habe Kanzler Gerhard
Schröder (SPD) in jüngster Zeit deutliche Worte an die Migranten in
Deutschland gerichtet, sagte der Sprecher.
Der Berlin-Brandenburger DGB-Vizechef Bernd Rissmann nannte Schönbohms
Äußerungen “unerträglich”. Die DVU verbreite eindeutig fremdenfeindliches
und undemokratisches Gedankengut, kein demokratischer Politiker dürfe
Gemeinsamkeiten mit dieser Partei feststellen. Laut Grünen-Landeschef
Joachim Gessinger sind Schönbohms Äußerungen irreführend. “Richtig ist, dass
sie seit längerem Teil der Politik der CDU sind.” Dies belege, wie weit es
den Rechtsextremen inzwischen gelungen sei, ihre Auffassungen ins
bürgerliche Lager hineinzutragen. Landtagspräsident Gunter Fritsch (SPD)
erklärte, es sei “unzulässig”, den Bundeskanzler in diesen Zusammenhang zu
stellen.
Platzeck verteidigt Schönbohm
In der von Schönbohm neu entfachten Debatte um eine deutsche Leitkultur hat
dagegen Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) am Mittwoch seinen
Innenminister verteidigt. Die gesamte Landesregierung vertrete den von
Schönbohm “sehr deutlich zum Ausdruck gebrachten Standpunkt”, dass in
Deutschland lebende Ausländer die Pflicht hätten, die deutsche Sprache zu
lernen und die Regeln der hiesigen Gesellschaft anzuerkennen. Doch seien
auch die Deutschen verpflichtet, sich um die Integration von Ausländern zu
bemühen, sagte Platzeck im Landtag.
Der PDS-Abgeordnete Wolfgang Gehrkre warf Schönbohm vor, er liefere mit
Begriffen wie Leitkultur Stichworte, die von der extrem Rechten aufgegriffen
würden. Zuvor hatte Schönbohm seine Auffassungen zur Leitkultur vor dem
Parlament verteidigt. Als Kronzeugen für seine Positionen führte er unter
anderen Bundeskanzler Schröder, Bundespräsident Johannes Rau, Innenminister
Otto Schily (alle SPD) an. Von ihnen unterscheide ihn nur, dass er seine
Positionen bereits seit 1998 vertrete.
“Wir müssen uns zur Nation bekennen”
Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) über Rechtsradikalismus und den Begriff
Leitkultur
(Berliner Zeitung, 24.11.) Herr Minister, fünf Jahre gab es zwischen SPD, CDU und PDS keinen Streit
über den Umgang mit der DVU im Landtag. Sie war kein Thema. Was hat sich
seit den Wahlen im September geändert?
Teile der SPD haben sich sehr früh geäußert, ohne dass wir uns in der
Koalition abgestimmt hatten …
… sie meinen SPD-Fraktionschef Baaske, der die DVU als Nazi-Partei
bezeichnete und ankündigte, ihr die Maske vom Gesicht reißen zu wollen …
… Aber jetzt haben wir eine gemeinsame Linie. Auf Anträge der DVU wird in
der Regel nur einer aus der Koalition reagieren. Im Übrigen fand ich die
Strategie der letzten Legislaturperiode, die DVU zu ignorieren, gar nicht
falsch. Anfang Juni war sie demoskopisch kaum noch wahrnehmbar. Das hat sich
erst mit der Hartz-IV-Debatte wieder geändert. Wir reden derzeit viel zu
viel über die DVU.
Wie haben Sie die DVU-Fraktion wahrgenommen? Rechtsextrem, rechtsradikal,
kleinbürgerlich? Sind die Frey-Leute mit der NPD gleichzusetzen?
Mit der NPD sind sie nicht gleich zu setzen. Es gab einige
rechtsextremistische Ausfälle …
… zum Beispiel?
Gerade bei Ausländerfragen oder was das Verhältnis zu Polen angeht,
Stichwort ehemalige Ostgebiete. Das war unerträglich. Generell zeugen die
Beiträge der DVU aber vor allem von einem sehr niedrigen Niveau.
“Begrenzung des Ausländeranteils, Stopp dem zunehmenden Ausländerzustrom,
Beschleunigung von Asylverfahren, Ausweisung von kriminellen Ausländern.”
Das sind wesentliche Forderungen aus dem DVU-Programm. Ist das rechtsextrem?
Ein Teil davon ist inzwischen sicher Allgemeingut. Sogar der Bundeskanzler
hat schon Ähnliches gefordert. Nur, das ist alles in einem Rechtsstaat nicht
so einfach. Wir haben jetzt ein vernünftiges Zuwanderungsgesetz, das den
Zuzug begrenzt und eine Verstärkung der Integrationsbemühungen vorschreibt.
Man muss das Gesamtbild sehen: Wer Propaganda macht wie Deutsche Arbeit nur
für Deutsche, der zeigt, dass er nicht begriffen hat, dass 50 Prozent der
Arbeitsplätze am Export hängen. Für mich ist das Rechtsradikal.
Wie erklären Sie sich, dass die DVU bei den Landtagswahlen mit 15 Prozent
bei den Erstwählern etwa gleichauf mit der CDU lag?
Wir müssen mehr mit den Jugendlichen sprechen. Die Abgeordneten müssen in
ihren Wahlkreisen in die Jugendclubs gehen. Viele, die DVU wählen, wollen
nur Protest ausdrücken, wie teils auch die Wähler der PDS. Sie fühlen sich
nicht ausreichend von den demokratischen Parteien, in dem Fall von der
Union, wahr- und angenommen.
Als eine Reaktion will die CDU wieder stärker Begriffe wie Heimat oder
Nation besetzen.
Wir müssen uns zur Nation bekennen, weil wir gerade die Deutsche Einheit -
und den Solidarpakt — nur aus diesem Begriff heraus erklären können. Im Zuge
der Globalisierung müssen wir unsere Interessen als ein Volk gemeinsam
definieren. Wir sind als stärkstes Land im Herzen Europas die
Wachstumsbremse. Wir schaden damit ganz Europa. So sehe ich den
Zusammenhang. Aber nicht nach dem Motto, jetzt wollen wir den Rechten das
Wasser abgraben.
So wird es aber in der CDU diskutiert.
Ich weiß. Ich habe in der Fraktion klar gestellt, dass das aus meiner Sicht
zu kurz gesprungen ist.
Sie haben den Begriff der Leitkultur schon als Berliner Innensenator
geprägt.
Ich habe den Begriff in einem Beitrag von dem syrischstämmigen
Islamwissenschaftler Bassam Tibi gelesen. Als ich ihn dann in die politische
Diskussion eingeführte, hat jeder etwas anderes darunter verstanden.
1998 haben Sie in der Berliner Zeitung geschrieben, “ein Konsens über die
Leitkultur ist Voraussetzung für den inneren Frieden in Deutschland”. Jetzt
fordern Sie im Spiegel die hier lebenden Ausländer auf, die “deutsche
Leitkultur zu übernehmen”. Sie sind radikaler geworden?
Nein. Die Formulierung kann wohl missverstanden werden. Es geht mir u
m das
Anerkennen der Leitkultur.
Das ist etwas ganz Anderes.
Das wird — wenn man das Interview im Zusammenhang liest — auch aufgelöst.
Aber der Begriff “anerkennen” trifft es besser.
Sie sagen, Migranten sollen nicht nur die deutsche Sprache, sondern auch die
kulturellen Umgangsformen übernehmen. Was meinen Sie damit? Nabelfreie
T‑Shirts statt Kopftuch?
Nein. Punkt eins ist die Verfassung: Die Würde des Menschen ist unantastbar.
Aber gucken sie sich an, wie mit islamischen Frauen umgegangen wird. Unsere
Lebensformen müssen anerkannt werden. Man darf sich nicht in selbst
geschaffene Ghettos zurück ziehen. Der Bundeskanzler hat gesagt, wir haben
ein gemeinsames Wertefundament, eine gemeinsame Sprache und Geschichte.
Darum geht es. Um nicht mehr und nicht weniger.
In Brandenburg mag es vereinzelt Parallelgesellschaften geben, in denen die
rechte Szene das Sagen hat — aber keine Ausländerghettos. Was ist Ihr
Problem?
Ich habe mich nicht als Landespolitiker geäußert. Ich bin auch Mitglied im
Präsidium der Bundes-CDU und ich habe mich als Innenminister mit diesen
Themen beschäftigt. Mit Brandenburg hat das gar nichts zu tun. Insofern war
der Hinweis von Herrn Baaske auf die niedrige Ausländerquote in Brandenburg
töricht. Es gibt auch Dinge außerhalb des Landes, die von Bedeutung sind.
Erstmals haben Sie für den Volkstrauertag 2005 zu einer Kundgebung gegen den
alljährlichen Neonazi-Aufmarsch in Halbe aufgerufen. Früher haben sie solche
Gegendemonstrationen als “Kerzenprozessionen” belächelt. Woher kommt dieser
Sinneswandel?
Das ist etwas ganz Anderes. Damals ging es um den von Bundestagspräsident
Thierse propagierten Aufstand der Anständigen mit ganz hohem moralischem
Anspruch: Wer nicht mitmacht, ist unanständig. Mit dem, was ich angeregt
habe, möchte ich erreichen, dass wir diesen Ort Halbe nicht den
Rechtsextremisten überlassen.
Darf die PDS mitmachen?
Wenn sie will, ja. Ich hätte damit kein Problem.
Noch eine Frage zu Ihrem Verfassungsschutzchef Heiner Wegesin: Der stand
wegen diverser V‑Mann-Affären unter Druck. Wieso muss er gerade jetzt gehen?
Die Landesregierung hat sich mit Beginn der neuen Wahlperiode in vielen
Bereichen und auf verschiedenen Hierarchieebenen neu aufgestellt, um sich
auf die veränderten Herausforderungen einzustellen. Dies war auch im
Innenministerium sinnvoll.
Soll mit dem Wechsel an der Spitze eine inhaltliche Neuausrichtung des
Verfassungsschutzes einher gehen?
Es gibt keine grundlegende Neuausrichtung des Verfassungsschutzes, aber eine
Akzentuierung in den Bereichen “Bekämpfung des Rechtsextremismus in seinen
neuen Erscheinungsformen” und “Ausländerextremismus”.
Das Interview führten Andrea Beyerlein und Martin Klesmann.