(Berliner Zeitung, 24.11.) POTSDAM. Brandenburgs Verfassungsschutzchef Heiner Wegesin wird überraschend
abgelöst. Das kündigte Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) am Dienstag an.
Zuvor hatte er das Kabinett informiert. Zur Begründung sagte Schönbohm auf
Nachfrage: “Wenn Herr Wegesin keine Fehler gemacht hätte, stünde ich heute
vielleicht nicht hier.” Zu Spekulationen, Differenzen zwischen
Innenstaatssekretär Eike Lancelle und Wegesin hätten den Ausschlag gegeben,
sagte Schönbohm: “Herr Lancelle genießt mein absolutes Vertrauen und gibt
Anweisungen in meinem Namen.” Neue Verfassungsschutzchefin wird zum
Jahresbeginn die Polizeipräsidentin von Frankfurt (Oder), Winfriede
Schreiber.
Als eine seiner ersten Amtshandlungen hatte Schönbohm im Dezember 1999 den
heute 51-jährigen Wegesin nach Brandenburg geholt. Der Verwaltungsjurist war
zuvor Sicherheitschef im Bundeskanzleramt und galt als exzellenter Experte.
Verbunden war sein Amtsantritt mit der Ankündigung, vor dem Hintergrund des
zunehmenden Rechtsextremismus den Verfassungsschutz zu stärken und personell
auszubauen. Beides ist geschehen.
Pannen mit den V‑Leuten
Allerdings geriet der Christdemokrat Wegesin 2003 durch V‑Mann-Affären
mehrfach unter Druck. Unter anderem wurde ihm zur Last gelegt, dass einer
seiner V‑Männer im Februar 2001 eine Polizeirazzia an die rechte Szene
verraten haben soll. Den Tipp soll der Spitzel von seinem V‑Mann-Führer im
Verfassungsschutz bekommen haben. Der Fall sorgte bundesweit für Furore und
führte zu erheblichen Auseinandersetzungen mit den Berliner
Sicherheitsbehörden.
Obwohl Wegesin Fehler eingestehen musste, wies Schönbohm seinerzeit
Rücktrittsforderungen der PDS aber auch von Teilen der SPD vehement zurück.
Vor allem seit dieser Zeit gilt jedoch das Verhältnis zwischen Wegesin und
Lancelle als äußerst gespannt. “Wegesin war nicht die harte Führungsfigur,
wie von Lancelle gewünscht”, heißt es in Sicherheitskreisen. Aber offenbar
gab es auch inhaltliche Spannungen: Schönbohm kündigte am Dienstag an, dass
künftig neben der Bekämpfung des Rechtsextremismus auch der
Ausländerextremismus Schwerpunktaufgabe des Verfassungsschutzes sein werde.
Die designierte Verfassungsschutzchefin Winfriede Schreiber gilt als
Vertraute Lancelles. Im Sommer 2002 hatte die 58-jährige Verwaltungsjuristin
nach der Polizeireform eines der zwei Präsidien übernommen. Zuvor leitete
sie das Verwaltungsgericht in Cottbus.
Verfassungsschutz mit neuer Strategie gegen Extremisten
Schönbohm: Auch in Brandenburg gibt es Moscheen, in denen Haß gepredigt wird
(BM, 25.11., Gudrun Mallwitz) Potsdam — Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) hat eindringlich vor
ausländerextremistischen Tendenzen gewarnt. “Auch in Brandenburg gibt es
Moscheen, in denen Haß gepredigt”, sagte Schönbohm gestern. Wie der
Rechtsextremismus trete auch der Ausländerextremismus zunehmend in
veränderter Erscheinungsform und verstärkter Gefährlichkeit auf. Eine neue
Ausrichtung bei der Bekämpfung sei für beide Extremismusbereiche notwendig.
Nach Ansicht von Sicherheitsexperten werfen die “verbalen Gewalttätigkeiten”
von Haßpredigern nicht nur grundsätzliche rechtliche und politische, sondern
auch operative Fragen für die Sicherheitsbehörden des Landes auf. Beim
Rechtsextremismus bereitet den Innenpolitikern Sorgen, daß er sein
Erscheinungsbild und Auftreten wandle. Dumpfe chauvinistische Artikulation
und Programmatik sowie Auftreten würden zunehmend durch ein
pseudobürgerliches Erscheinungsbild ersetzt. Der Versuch, unerfüllte
Bedürfnisse und Sehnsüchte junger Menschen für sich zu instrumentalisieren,
rücke in den Vordergrund. Zudem bestehe die Gefahr, daß sich Rechtextreme
nicht nur zu taktischen Wahlbündnissen zusammentun, sondern auch sonst
stärker zusammenarbeiten.
Künftig soll der Verfassungsschutz Aktionen der Sicherheitsbehörden und
aller staatlichen und gesellschaftlichen Einrichtungen vernetzen und die
Gefährdung von Jugendlichen verringern. Auch sollen die Defizite bei Kindern
und Jugendlichen intensiver analysiert werden. “Der Verfassungsschutz wird
weiterhin den Rechtsextremismus als Schwerpunkt sehen”, unterstrich der
Minister. Er wies damit Spekulationen zurück, wonach die Gründe für die
Ablösung von Verfassungsschutzchef Heiner Wegesin in inhaltlichen
Differenzen um die Bewertung des Ausländerextremismus liegen. Auch ein
Zerwürfnis mit Staatssekretär Eike Lancelle sei nicht der Grund für die
Trennung gewesen. In Sicherheitskreisen heißt es, Minister und
Staatssekretär waren mit der Arbeit Wegesins seit langem unzufrieden. Seinen
Posten übernimmt ab Januar die Polizeipräsidentin von Frankfurt (Oder),
Winfriede Schreiber.
Im Landtag hat Regierungschef Matthias Platzeck (SPD) gestern zu mehr
Sachlichkeit in der Debatte über die Integration von Ausländern aufgerufen.
Wer in Deutschland leben wolle, habe die Pflicht, die deutsche Sprache zu
erlernen und die Regeln einzuhalten, sagte Platzeck. Dies sei der klare
Standpunkt der Landesregierung. Schönbohm hatte zuvor seine Position zur
“deutschen Leitkultur” gegen Angriffe der PDS verteidigt. Für neue
Diskussionen sorgten am Rande des Plenums Schönbohms jüngste Äußerungen. In
einem Zeitungsinterview hatte er einen Teil des Programms der rechtsextremen
Deutschen Volksunion (DVU) “inzwischen als Allgemeingut” bezeichnet. Sogar
der Bundeskanzler habe bereits ähnliches gefordert.
Gefahr von Rechts erfordert neue Strategie
Verfassungsschutz vor erweiterten Aufgaben
(Berliner Zeitung, 25.11.) POTSDAM. Vor einer neuen Qualität des Rechtsextremismus in Brandenburg hat
Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) gewarnt. Die rechtsextreme Szene habe ihr
Erscheinungsbild verändert “und ist dadurch noch viel gefährlicher
geworden”, sagte der Minister am Mittwoch in Potsdam. Das erfordere neue
Gegen-Strategien. In diesem Zusammenhang trat der Minister Spekulationen
entgegen, behördliche Differenzen über Arbeitsschwerpunkte hätten zur
überraschenden Ablösung von Verfassungsschutzchef Heiner Wegesin geführt:
“Es ist unstreitig: Der Rechtsextremismus bleibt die Gefahr Nummer 1”, sagte
er.
Laut Schönbohm prägen mittlerweile nicht mehr die dumpf-chauvinistischen
Aktivisten das Bild der rechtsextremen Szene. Vielmehr gäben sich die
Wortführer einen pseudo-bürgerlichen Anstrich und träten betont korrekt auf.
“Das sind kaltblütige Demagogen, die sich die Sehnsucht Jugendlicher nach
Orientierung zu Nutze machen wollen”, sagte Schönbohm.
Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik zeichne sich ab, dass sich
rechtsextreme Parteien nicht nur zu taktischen Wahlbündnissen zusammentun,
sondern verstärkt auch operativ und arbeitsteilig zusammenarbeiten. Bei den
Landtagswahlen im September hatten 15 Prozent der Erstwähler (bei den jungen
Männern sogar 19 Prozent) DVU gewählt. Die rechtsextreme NPD trat in
Brandenburg nicht mehr an.
Das erkennbare Bemühen der Rechtsextremisten, gerade bei Jugendlichen um
Anhänger zu werben, erfordere ein engeres Zusammenwirken staatlicher und
gesellschaftlicher Einrichtungen, so der Minister. Dabei müsse der
Verfassungsschutz eine Koordinierungsfunktion wahrnehmen und sich stärker
als Berater der Politik verstehen. Alle Institutionen seien gefordert, mit
gefährdeten Jugendlichen oder Heranwachsenden zu reden.
Schönbohm wies auf eine “verstärkte Gefährlichkeit” des Ausländerextremismus
auch in Brandenburg hin, vor allem von islamistischer Se
ite. Wie €pa- und
bundesweit seien veränderte Erscheinungsformen wahrzunehmen. Deshalb werde
dieses Feld ein weiterer Arbeitsschwerpunkt des Verfassungsschutzes sein.
“Es gibt leider auch hier Moscheen, in denen Hass gepredigt wird”, sagte
Schönbohm.