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Schweigen im Nazi-Prozeß


Münch­n­er Recht­sex­treme sollen Bombe­nan­schlag gegen jüdis­ches Gemeindezentrum
geplant haben

(BM) München — Mar­tin Wiese wird schweigen. Der 28 Jahre alte mut­maßliche Chef
der recht­sex­tremen “Kam­er­ad­schaft Süd” und drei führende Mit­glieder sind vor
dem Bay­erischen Ober­sten Landgericht angeklagt, eine terroristische
Vere­ini­gung gebildet zu haben. Bekan­nt wurde die neon­azis­tis­che Gruppierung
vor allem durch die Pla­nung eines Anschlags während der Grund­stein­le­gung für
das Jüdis­che Gemein­dezen­trum in München am 9. Novem­ber 2003. 

Bun­de­san­walt Bernd Steudl sagte, Anliegen der Organ­i­sa­tion sei gewe­sen, “auf
ein Regime nach dem Vor­bild der nation­al­sozial­is­tis­chen Diktatur
hinzuwirken” und dieses Vorhaben auch “mit ter­ror­is­tis­chen Straftaten
durchzuset­zen”. Ähn­lich war die Ein­schätzung des bay­erischen Innenministers
Gün­ther Beck­stein. Er sei “froh und stolz”, erk­lärte der CSU-Poli­tik­er vor
dem Prozeß, daß die bay­erischen Behör­den dieses “sym­bol­trächtige Verbrechen”
ver­hin­dert hät­ten. Hier könne “nur ein hartes Urteil auch ein gerechtes
Urteil” sein. 

Wie groß das Inter­esse an diesem Ver­fahren ist, wußten auch die Angeklagten.
Der 28jährige Alexan­der Maet­z­ing hat­te während der Ermit­tlun­gen noch
umfan­gre­ich aus­ge­sagt. Vor Gericht ver­suchte der aus dem brandenburgischen
Luck­en­walde stam­mende Zim­mer­mann dieses Geständ­nis jedoch zu relativieren.
Was ver­mut­lich auch in sein­er Plazierung auf der Anklage­bank seine Ursache
hat­te. Maet­z­ing saß unmit­tel­bar neben Wiese. Der ver­mied zwar jeden
Augenkon­takt mit dem ehe­ma­li­gen Kumpan und star­rte, die Arme verschränkt,
vor sich hin. Aber den­noch war er für den immer wieder ängstlich zu ihm
blick­enden Maet­z­ing offen­bar sehr präsent. 

Ken­nen­gel­ernt hat­ten sich die bei­den im Herb­st 2002 bei einem sogenannten
Stammtis­chtr­e­f­fen der Kam­er­ad­schaft Süd. Wiese hielt damals eine Rede und
sprach von Pla­nun­gen, geplanten Aktio­nen gegen die Wehrma­cht­sausstel­lung in
München. Kurz darauf sei auch das Parteipro­gramm der NSDAP thematisiert
wor­den. Das habe ihm gefall­en, sagte Maet­z­ing. Es habe Diszi­plin geherrscht.
“Und da bin ich halt dabei geblieben.” Es fol­gte ein schneller Aufstieg:
zunächst in die Schutz­gruppe der Kam­er­ad­schaft Süd — von Wiese als
“Eli­teein­heit” aufgestellt. Kurz darauf avancierte Maet­z­ing sog­ar zu Wieses
Stellvertreter. 

Bei der Polizei und vor einem Haftrichter hat­te Maet­z­ing seinen Chef Wiese
noch stark belastet: Der Rädels­führer habe “bis zu zehn­mal” darüber
fab­u­liert, die Ein­wei­hungs­feier für das jüdis­che Gemein­dezen­trum mas­siv zu
stören. “Er sprach ganz ein­deutig von einem Sprengstof­fan­schlag.” Bei einer
anderen Vernehmung sagt Maet­z­ing sog­ar: “Wiese hätte die Bombe gezündet.”
Vor Gericht wollte Maet­z­ing das so nicht ste­hen lassen. Er sei wegen einer
anderen Sache — eine schwere Kör­per­ver­let­zung, für die er zwei Jahre und
acht Monate bekam — schon seit Juli 2003 inhaftiert gewe­sen. “Ich wußte
nicht, was wirk­lich gelaufen war”, sagte er. Die Polizei habe ihm diese
Aus­sagen sug­geriert. Man habe in der Gruppe zwar über einen Anschlag
gesprochen, “aber das war doch alles nur Gerede”. 

Doch es gibt Aus­sagen aus einem Par­al­lelver­fahren, bei dem Mit­glieder der
“Kam­er­ad­schaft Süd” Wiese und dessen Stel­lvertreter unter Auss­chluß der
Öffentlichkeit zum Teil schw­er belastet haben sollen. Zudem wird ein V‑Mann
des Bay­erischen Lan­desamts für Ver­fas­sungss­chutz als Zeuge erwartet, der
sich in die recht­sex­treme Gruppe eingeschlichen und für eine Abhörmaßnahme
in Wieses Münch­n­er Woh­nung gesorgt hat­te. Anschließend gab es die
Verhaftungen. 

Wiese wird ver­mut­lich während des gesamten zunächst bis in den März hinein
ter­minierten Prozess­es schweigen. Schon um nicht wie sein Kumpan Maetzing
ver­bal ins Schlingern zu kom­men. So ist es bei sein­er Vertei­di­gerin Anja
Seul her­auszuhören. “Er hört sich nun mal gern reden”, beschrieb sie Wiese
vor dem Prozeß. Und auf die Frage, ob er sich geän­dert habe, sagte sie: “Der
war ein Nazi und ist ein Nazi, auch wenn er sich selb­st nicht so
bezeichnet.” 


“Man kön­nte ne Hand­granate reinwerfen”


Prozess gegen Kam­er­ad­schaft Süd: Angeklagter berichtet, man habe “viel
Blödsinn” über mögliche Anschläge geredet

(TAZ) MÜNCHEN Gewalt­frei, ordentlich und diszi­plin­iert. So sei es bei der
“Kam­er­ad­schaft Süd” zuge­gan­gen, sagt Alexan­der M., 28. Deswe­gen sei er, bis
dahin “eher im unpoli­tis­chen Skin­head-Milieu in München” aktiv, auch im
Herb­st 2002 zu einem Stammtisch der irgend­wie schon rechtsextremistischen,
aber gemäß sein­er Aus­sage ja doch ver­fas­sungstreuen und friedliebenden
Truppe gestoßen. Dass er nun, zwei Jahre später, wegen des Vor­wurfs der
Mit­glied­schaft in ein­er ter­ror­is­tis­chen Vere­ini­gung vor Gericht ste­ht, kann
er sich nicht so recht erklären. 

Es passte wenig zusam­men in der Aus­sage von M., mit der der Prozess gegen
Anführer der Neon­azi-Truppe “Kam­er­ad­schaft Süd” begann. So beste­ht M.
darauf, dass ein Bombe­nan­schlag auf die Eröff­nungs­feier des jüdischen
Gemein­dezen­trums in München, der den Neon­azis vorge­wor­fen wird, nie
ern­sthaft geplant wor­den sei, erzählt kurz darauf aber, “es wurde darüber
gere­det, man kön­nte ne Hand­granate rein­wer­fen”. Kurz darauf schwächt er ab:
“Es wurde viel gere­det, auch viel Blödsinn.” 

Das mag so gewe­sen sein — nur: M. und die drei anderen Angeklagten verfügten
über Hand­granat­en wie auch über 1,2 Kilo­gramm TNT, Zün­der und eine extra
ange­fer­tigte Rohrbombe. Das geste­ht auch M. ein, der dann berichtet, wie man
das Mate­r­i­al und weit­ere Waf­fen bei Gesin­nungsgenossen in
Meck­len­burg-Vor­pom­mern beschafft hat. Was mit dem Sprengstoff geschehen
sollte, darüber hat sich M. ange­blich “keine Gedanken gemacht”. 

Trotz aller Wider­sprüche lieferte M.s Aus­sage inter­es­sante Neuigkeit­en: So
hat­te sich Mar­tin Wiese, der Anführer der “Kam­er­ad­schaft Süd”, offen­bar auch
das Münch­n­er Rathaus als möglich­es Anschlagsziel aus­ge­sucht. Zudem soll
Wiese im Früh­jahr 2003 an ein­er Auto­bah­n­rast­stätte mehrere Pis­tolen an einen
Unbekan­nten übergeben haben. Da auch das Geld für die Beschaf­fung der Waffen
anscheinend aus bis­lang unbekan­nter Quelle stammt, stellt sich die Frage,
wer noch hin­ter der Gruppe steck­en kön­nte. Die Antwort kön­nte Anführer Wiese
geben, doch der ver­weigert einst­weilen die Aus­sage. Der Prozess vor dem
Bay­erischen Ober­sten Lan­des­gericht soll noch bis März 2005 dauern, mehr als
fün­fzig Zeu­gen sind geladen.

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