(Junge Welt, Emanuel Nahrstedt) jW sprach mit Claudia Luzar, Gruendungsmitglied und Bildungsreferentin des Vereins Opferperspektive, Beratung fuer Opfer rechtsextremer Gewalt in Brandenburg
F: Am Donnerstag sprach das Potsdamer Landgericht das Urteil gegen einen Neonazi, der am 23. Maerz 2003 einen 17jaehrigen angegriffen hatte. Was genau ist damals passiert?
Ein Potsdamer Punk war seinerzeit am Bahnhof Rehbruecke auf einige stadtbekannte rechte Schlaeger gestossen. Diese haben ihn mit einem Teleskopschlagstock bewegungsunfaehig gepruegelt und anschliessend auf die Bahngleise gestossen. Haette der einfahrende Zug keine Verspaetung gehabt, waere der Jugendliche ueberfahren worden. Der Haupttaeter wurde zu sechs Jahren Haft wegen gefaehrlicher
Koerperverletzung und raeuberischer Erpressung verurteilt. Den anderen beteiligten Neonazis wird erst ab April vor dem Amtsgericht Potsdam der Prozess gemacht. Das Opfer hat sich auch spaeter nicht von den Neonazis einschuechtern lassen, als der Haupttaeter es kurz nach der Tat zu einer ihn entlastenden Falschaussage bewegen wollte.
F: Welchen Eindruck machte auf Sie der Hauptangeklagte?
Der Angeklagte Heiko Groch hat gar nicht erst versucht, Reue zu zeigen. Groch ist sicherlich nicht der theoretische Kopf hinter den Versuchen der Neonazis, sich in Potsdam zu organisieren. Trotzdem baut die “Anti-Antifa” genau auf solche Schlaegertypen wie ihn. Die Rechten setzen ihre Strategie der Einschuechterung politischer Gegner durch massive Gewalt um. Die rechten Verbindungen wurden rund um
den Prozess noch einmal deutlich.
F: In welcher Weise?
An beiden Prozesstagen haben die “Anti-Antifa”-Leute aus Grochs Umfeld versucht, Unterstuetzer und Freunde des Opfers zu fotografieren – sogar im Gerichtssaal. Die Neonazis sind einfach noch zu sehr daran gewoehnt, schalten und walten zu koennen, wie sie wollen. Zum zweiten Prozesstag haben sie ihre Beziehungen zu organisierten rechten Schlaegern in ganz Brandenburg spielen lassen und Unterstuetzer etwa vom
“Maerkischen Heimatschutz” und anderen gefaehrlichen Gruppen nach Potsdam mobilisiert. Erfreulicherweise hat sich die Alternativszene in Potsdam davon nicht einschuechtern lassen.
F: Sind Sie mit dem Urteil zufrieden?
Wie hoch das Strafmass ausfaellt, ist nicht der alleinige Massstab. Es ist schon viel damit gewonnen, wenn Neonaziangriffe auf alternative Jugendliche nicht laenger
als alterstypische Jugendkonflikte verharmlost werden. Das ist dem Gericht und der Staatsanwaltschaft unbedingt zugute zu halten, auch die Art des Umgangs mit dem Opfer war hilfreich. Bedauerlicherweise wurde in dem Verfahren die politische Dimension des Falls nicht deutlich herausgearbeitet: Etwa die Tatsache, dass Gewalt
gegen nicht rechte Jugendliche Teil der Strategie der Neonazis ist, sich in Stadt und Region eine Hegemonie ueber die Jugendszenen zu erkaempfen, was ihnen hier und
da auch schon gelungen ist. Der Prozess hat aber gezeigt, dass man sich gegen die Neonazis sehr wohl wehren kann.