Ein rassistischer Angriff bewegt Potsdam. Auch wir als Initiative für Begegnung, eine Gruppe bestehend aus Menschen mit und ohne deutschen Pass, die sich gegen Diskriminierung und Rassismus engagieren, sind immer wieder erschüttert von der Brutalität, mit der Rassismus an die Öffentlichkeit tritt.
Die derzeitige Hysterie möchten wir durch diese Stellungnahme bereichern.
Unsere Überraschung über rassistische Angriffe hält sich in Grenzen. Seit Jahren warnen linke und antirassistische Gruppen den Normalzustand davor, dass Menschen mit Merkmalen, die allgemein als „fremd“ oder „undeutsch“ definiert werden, Opfer von rassistisch motivierter Entwürdigung, Vertreibung und Gewalt werden. Doch seit Jahren wird von verantwortlicher Seite verharmlost, obwohl klar ist, dass es immer und überall passieren kann.
Viele JournalistInnen wünschen nun plötzlich Lageeinschätzungen und Analysen. Was in Potsdam passiert, passiert überall in Deutschland. Nicht weniger schlimm, nicht schlimmer als anderswo – tagtäglich wird den „Undeutschen“ deutlich gemacht, dass Rassismus eine ganz reale Bedrohung ist, die ihr Existenzrecht in Frage stellt.
Während unserer langjährigen Arbeit mit Flüchtlingen in Potsdam haben wir niemanden kennengelernt, der/die selbst oder dessen/deren Familie nach Deutschland eingewandert ist und so genannte offensichtlich „fremde“ Merkmale trägt, und die/der nicht von Beleidigungen, Volksverhetzung oder Übergriffen berichten kann.
Doch wieso wird nicht intensiv von politischer Seite daran gearbeitet, dass sich etwas ändert? Die aktuelle Politik bemüht sich, deutlich zu machen, dass längst nicht alle Menschen in diesem Land gewollt sind. Politische Hardliner wie beispielsweise Brandenburgs Innenminister Schönbohm sind es, die Steilvorlagen für die Eskalation einer rassistischen Grundstimmung liefern. Wer sich nicht integriert, fliegt raus. Dass damit alle undeutschen Merkmale ein Anlass sind, Menschen ihr Recht zum Leben hier in Frage zu stellen, ist Realität. Dass dabei auch „gut“ integrierte „Ausländer“ Opfer von Beleidigung und Gewalt werden, ist nicht Zufall, sondern Logik. Die schwarzen Deutschen gibt es in der öffentlichen Wahrnehmung nicht und viele kommen ins Stottern, wenn ein Deutscher Opfer einer rassistischen Gewalttat wird.
Herr Schönbohm grenzt mit seinen Worten aus, er isoliert und setzt unter Druck. Hier ein Beispiel, nur wenige Tage vor dem Angriff auf einen schwarzen Deutschen: «Wer zu uns kommt, muss wissen, Deutschland ist anders als andere Länder. Wer nicht gewillt ist, das zu akzeptieren, tut sich und tut uns einen Gefallen, wenn er wieder geht. […] Für mich bedeutet Integration in diesem Zusammenhang das Erlernen der deutschen Sprache, die Erkenntnis, dass wir in Deutschland leben und nicht in Multikultistan» (Zitat aus Netzeitung, 31.3.06). Der Rassist sieht schwarz und schlägt zu.
Herr Schönbohm rechnet im Nachgang zwei böse Deutsche gegen einen guten Deutschen auf, der eingreift (so im rbb-Spezial vom 18.04.06). Das ist schon mal gut für die Bilanz. Apropos Bilanz: das einzige, was Bilanzen sagen ist, dass es rassistische Gewalt schon lange gibt. Jeder Einzelfall aber hat zusätzlich seine Vorgeschichte in verbalen Attacken, in erlebter Angst. Wer was wann warum anzeigt, sagt keine Statistik. Wer der Eskalation ausweicht, schönt die Bilanz. Alle Zahlenspiele helfen nicht.
Wir können die Probleme nicht runterrechnen oder dauerhaft verdrängen. Genauso wie wir die kriminellen Rassisten nicht abschieben können und sollten, können und sollen wir nicht die Nicht-vernünftig-Deutsch-lernen-Wollenden oder „kriminellen Ausländer“ abschieben – weil es nicht darauf ankommt, welchen Pass und welchen Aufenthaltsstatus jemand hat. Sondern allein darauf, gesellschaftliche Probleme hier zu lösen. Eine Aufenthaltsberechtigung bringt jeder Mensch mit – immer und überall, allein durch seine Existenz.
Viele Flüchtlinge beispielsweise verfügen über kein großes soziales Umfeld, dass nach einem Angriff solch eine Betroffenheit transportieren kann. Deshalb bleibt angesichts der zahlreichen Angriffe und fehlende öffentliche Reaktion darauf ein fader Beigeschmack.
Herr Schönbohm kann mit seinem ambivalenten Bild guter und böser Deutscher und guter und böser Ausländer nichts ausrichten. Und wem es nur um das Image der „Freunde“ geht, bei denen die Welt zu Gast sein darf, sollte sich aus dieser Debatte heraushalten.
Genug Handlungsmöglichkeiten gäbe es, wenn man nur wollte: mit potenziell Betroffenen rassistischer Gewalt über Angsträume und reale Bedrohungserfahrungen reden; sie nach ihren Bedürfnissen in dieser Thematik fragen; selbstverständlich Räume anbieten, wo sich MigrantInnen außerhalb der üblichen gesellschaftlichen Nische treffen und artikulieren können; die rechtliche und soziale Isolation von Flüchtlingen beenden; allen Menschen die direkte und gleichberechtigte Teilnahme am alltäglichen Leben ermöglichen; jene Initiativen auch finanziell zu unterstützen, die sich antirassistisch und antifaschistisch engagieren.
Dabei sind Bundes‑, Landes- und Lokalpolitik gefragt. In Potsdam gibt es sicher schon zahlreiches Engagement, aber wohl zu wenig, um Sicherheit zu geben. Organisierte und weniger organisierte Neonazis sowie eine rassistische Hetzkampagne gegen eine Sammelunterkunft für Asylsuchende, Pöbeleien und Übergriffe – all das ist schon länger auch in Potsdam bekannt. Und das macht eins deutlich: Wir dürfen uns im Kampf gegen Ausgrenzung und Diskriminierung derzeit nicht ausruhen. Es bedarf einer kontinuierlichen breiten gesellschaftlichen Initiative, die nicht ausschließlich auf dem Engagement Einzelner beruhen darf.
Wir hoffen, dass dieses Statement einfließt in Analysen und Berichterstattung, die sich weniger auf den Einzelfall, als auf das gesellschaftliche Problem dahinter stürzen sollte. Und dass diese Berichterstattung sich darauf konzentriert, worum es geht: zu erkennen, dass nie zählen kann, woher wir kommen oder welche Ausweispapiere wir bei uns tragen. Und dass nur fremd ist, was wir fremd machen.
Die Potsdamer Initiative für Begegnung ist ein antirassistisches Projekt und wurde im Jahr 2005 mit dem Integrationspreis der Stadt Potsdam ausgezeichnet. Die Initiative arbeitet seit 1998 kontinuierlich mit Flüchtlingen in der Stadt Potsdam zusammen, um gemeinsam deren soziale Isolation zu überwinden. Sie erreichen uns unter ifbpotsdam@yahoo.com.