(Zitty — Berliner Stadtmagazin, 25/2004, Interview: Mirko Heinemann) Jochen (25) und David (18) (Namen bekannt und geändert) sind Mitglieder von
Gruppen, die sich im brandenburgischen Rathenow gegen Rechtsradikale
engagieren. Wir treffen uns an einer Tankstelle außerhalb und fahren
gemeinsam nach Rathenow hinein. „Stadt der Optik“, steht auf einem
Ortsschild. Zu DDR-Zeiten wurden hier Brillen für den gesamten Ostblock
gefertigt, heute führen nur noch wenige hundert Beschäftigte die Tradition
fort. Seit der Wende ist Rathenow von 33.000 auf 25.000 Einwohner
geschrumpft. Wir führen das Gespräch in einem Döner-Imbiss der Stadt.
Warum wollt ihr nicht, dass eure Namen veröffentlicht werden?
Jochen: Aus Vorsicht. Die Rathenower Nazis sind dafür bekannt, dass sie in
erster Linie Schläger sind. Es gibt hier zahlreiche Übergriffe von Rechten,
erst danach kommen politische Aktionen. Auch wir wurden schon öfter
attackiert, meinem Kollegen hier wurde schon zwei Mal das Auto demoliert.
Haben sich die Wahlerfolge von NPD und DVU in Sachsen und Brandenburg auf
das Selbstbewusstsein der Rechten ausgewirkt?
Jochen: Man hat im Wahlkampf und im Rahmen der Hartz IV-Debatte beobachten
können, dass die Nazis sich mehr und mehr organisieren und vermehrt
Propaganda streuen. Neben den Wahlplakaten wurden vor der Wahl auch rechte
Flugblätter und Aufkleber verteilt. Direkt nach der Wahl wurden im
benachbarten Premnitz flächendeckend NPD-Aufkleber verklebt mit der
Aufschrift: „1:0 für Deutschland“.
David: Die Nazis haben sich hier engagiert darum gekümmert, dass niemand
DVU-Plakate abreißt. Eines Abends war ich mit drei Freunden in meinem Auto
unterwegs. Wir wurden von einem Auto ausgebremst. Das waren Nazis, zu fünft,
maskiert und mit Totschlägern und Pistolen bewaffnet. In der Nähe waren
angeblich DVU-Plakate abgerissen worden, und die Nazis suchten jetzt Opfer.
Drei von uns konnten abhauen, einer ist unglücklicherweise im Auto sitzen
geblieben. Die Nazis haben das Auto völlig zertrümmert. Er hat es überlebt –
mit zwei Platzwunden am Kopf und vielen Prellungen, Schnitt- und
Schürfwunden.
Wie oft wird man hier im Alltag mit Nazis konfrontiert?
David: Man sieht sie jeden Tag auf der Straße. Ausschreitungen oder Gewalt
sind dabei aber eher selten. Es gibt allerdings Ecken in Rathenow, wo man
sich nicht frei bewegen kann. Am Wochenende zum Beispiel kann man an der
Disko „Remix Dancehouse“ nicht vorbeigehen, ohne beschimpft oder angegriffen
zu werden.
Jochen: Man muss immer aufpassen, wo man lang läuft, und ein paar Wege
meiden.
Kennt man sich?
David: Rathenow ist eine Kleinstadt. Wir kennen von den Nazis eigentlich
fast alle.
Wie ist die Situation an den Schulen?
Jochen: Vor drei Jahren gab es noch starkes Nazi-Potenzial an den Schulen,
vor allem an den Gesamtschulen. Aber das war eine Altersklasse – die haben
alle die Schule abgeschlossen und sind raus. Jetzt hat man den Eindruck,
dass die Kids eher links angehaucht sind – viele Skater sind dabei. Das kann
aber auch schnell wieder kippen.
In politisch aktiven Kreisen gilt Rathenow als Hochburg der Rechten, in den
Medien hört man nicht viel davon. Warum?
Jochen: Rathenow zeichnet sich vor allem durch die starke Gewaltbereitschaft
der rechten Szene aus. Es gibt hier keine politische Organisation in dem
Sinne, nur Kameradschaften. Aber das sind richtige Schlägerbanden. Dazu
kommt: Rathenow ist eine Abwanderungsregion, 25 Prozent Arbeitslosigkeit.
Man will so etwas nicht in der Öffentlichkeit haben. Das schreckt Investoren
ab. Das Übliche halt.
David: Das Problem wird totgeschwiegen, das war schon immer so.
Wie hat sich das Problem Rechtsradikalismus seit der Wende entwickelt?
Jochen: Es hat sich wenig getan. Vor vier Jahren gab es hier extrem viele
Übergriffe gegen Ausländer. Die Asylbewerber aus dem Heim haben damals ein
Memorandum geschrieben, dass sie verlegt werden wollten, weg von Rathenow.
Bis die Polizei durchgegriffen hat. Seitdem sind Angriffe auf Ausländer
seltener geworden, aber es ist natürlich immer noch Ausländerfeindlichkeit
da. Von dem Döner-Imbiss, in dem wir jetzt sitzen, wurden zwei Mal die
Scheiben eingeworfen.
David: Eine neue Entwicklung ist, dass relativ viele junge Nazis
dazugekommen sind, die politisch aktiv sind und auf Demos wie in Potsdam
oder in Halbe marschieren.
Haben die antifaschistischen Gruppen Rückhalt in der Bevölkerung?
Jochen: Einerseits gibt es Stillschweigen von Seiten der Presse und der
Bevölkerung. Auf der anderen Seite gibt es genügend Leute, die Opfer rechter
Gewalt geworden sind. Die unterstützen wir auch. Gemeinsam mit der
Initiative „Opferperspektive“ kümmern wir uns um Rechtsbeistand und betreuen
die Opfer rechter Gewalt.
Wie viele seid ihr, wie seid ihr vernetzt?
Jochen: Das spielt keine Rolle. Wichtig ist, dass es funktioniert. Wir haben
Kontakte zu anderen Antifa-Gruppen in Berlin, Brandenburg und
Sachsen-Anhalt, zur PDS und zu Kirchenkreisen. So gab es zum Beispiel im
vergangenen Jahr die Friedensdemos gegen den Irak-Krieg, da sind wir auch
mitgelaufen. Was Aktionen angeht, profitieren wir natürlich vor allem von
der Berlin-Nähe. Mit dem Zug ist man in 45 Minuten von Berlin in Rathenow.
Konntet ihr in letzter Zeit Erfolge verzeichnen?
Jochen: Wir sehen es als unsere Aufgabe an, die Nazigewalt, die
totgeschwiegen wird, öffentlich zu machen. Und da hatten wir schon Erfolge.
Zum Beispiel wurde das Asylbewerberheim von einem Nazi-Wachschutz bewacht.
Das haben wir immer wieder publiziert, und irgendwann hat das auch der
Verfassungsschutz mitbekommen, der ja auch unsere Publikationen liest.
Typisch war aber, dass wir unsere Infos erst an das Magazin „Focus“
weiterreichen mussten, bevor der Wachschutz abgelöst wurde.
David: Außerdem hat eine Kneipe der Rechten zugemacht, eine Woche, nachdem
wir eine Demonstration dagegen organisiert haben.
Wie geht man mit der Angst um?
David: Früher waren die alternativen Jungendlichen eingeschüchtert von den
Nazis. Wir haben denen gezeigt, dass das auch nur Menschen sind. Wie und wo
man sie angreifen kann…
Jochen: …durch Dokumentationsarbeit…
David: …also jetzt nicht durch Schläge oder so, das wollte ich nicht sagen.
Jochen: Wir machen allerdings auch Schutz, wenn es Drohungen gibt, klar.
Wichtig ist, dass man weiß, dass man nicht alleine ist. Solidarität. Das ist
es, was uns die Angst nimmt
Was finden Jugendliche an den Rechten faszinierend?
David: Ich vergleiche das gerne mit Tieren. Die bilden Rudel, und die
Jugendlichen sehen, dass andere Respekt davor haben. Es ist auch vielfach
Angst dabei: Wenn du bei den Rechten bist, kriegst du von den Rechten nicht
auf die Fresse. So einfach ist das.
Wie stark verankert ist rechtes Gedankengut bei den Erwachsenen?
Jochen: „Asylanten“, „Neger“, so was ist durchaus normaler Sprachgebrauch
hier. Solche Begriffe hört man auch bei Jugendlichen, die nicht rechts
eingestellt sind.
David: Das wird in der Familie weitergegeben, du hast einen großen Bruder,
dann scharen sich ein paar Jungs drumherum, die sehen den als großes
Oberhaupt und eifern ihm nach.
Jochen: Es trägt sich aber auch durch die Eltern weiter. Schon zu DDR-Zeiten
hat es hier Übergriffe auf Gastarbeiter gegeben.
Außerhalb der Antifa – welche Strukturen gibt es, die den Rechten entgegen
treten?
Jochen: Es gibt eine Subkultur von Jugendlichen, HipHopper, Goten, Skater,
Punks. Aber die meisten sind eher unpolitisch, immerhin nicht rechts.
Gibt es B&uum
l;rgerinitiativen oder Projekte, an Schulen beispielsweise?
David: An einer Schule gibt es ein Aufklärungsprojekt im Rahmen des Fachs
Lebensgestaltung, Ethik und Religion. Zwei Stunden wöchentlich, soviel ich
weiß. Außerhalb des Unterrichts gibt es keine Projekte, definitiv nicht.
Jochen: Vor einiger Zeit gab es von der Stadt aus eine Initiative, die
nannte sich „Tolerantes Rathenow“, die trafen sich alle 14 Tage. Aber das
war eine Initiative von Abgeordneten. Bürger waren da kaum vertreten, auch
wir nicht. Offiziell gilt Rathenow als befriedet.
Gibt es von Rechten dominierte Regionen, also so etwas wie National Befreite
Zonen in der Region?
Jochen: Zeitweise, aber nicht endgültig. Wenn sie vor der Disko sitzen, ist
klar, dass es zur Sache geht, wenn man vorbeiläuft. Einen Raum, den man nie
und zu keiner Tageszeit betreten kann – so etwas gibt es nicht.
Also brauchen Ausländer keine Angst zu haben, durch Rathenow zu laufen?
Jochen: Moment, das ist etwas anderes. Für Ausländer ist es immer
gefährlich. Die Ausländer bewegen sich hier nur in kleinen Gruppen. Es gibt
auch kaum Ausländer hier. Die meisten leben im Asylbewerberheim, das ist
mehr oder weniger ihr Gefängnis: Ein DDR-Plattenbau mit einem Zaun
drumherum. Nur wenige trauen sich dort heraus.
Welche rechte Kameradschaften gibt es in Rathenow, wie sind sie organisiert?
Jochen: Wir haben hier eine führende Kameradschaft in der Region, zwei
Dutzend Leute, die nennt sich das „Hauptvolk“. Die halten regelmäßige
Treffen ab und machen sportliche Aktionen: Sie fahren zu Fußballspielen des
BFC Dynamo, machen Märsche durchs Gelände und trainieren Kickboxen. Außerdem
gibt es eine jüngere Kameradschaft von rund 20 Leuten, die nennt sich „Sturm
27“. Die sind deutlich politischer, die machen Aktionen zum Heldengedenktag
und fahren zu Demos, als „Nationale Bewegung Rathenow“.
Was tut die Polizei?
Jochen: Wir haben hier eine Spezialeinheit, die Tomeg („Täterorientierte
Maßnahmen gegen extremistische Gewalt“, der Autor). Man hat aber den
Eindruck, dass sie eher uns auf die Nerven gehen. Die überprüfen Rucksäcke,
ob wir Sprühdosen dabei haben…
David: Jeder, der eine schwarze Jacke dabei hat, ist für die ein Sprayer.
Jochen: Die Kameradschaft hat auch eine Fußball-Mannschaft, die nennt sich
„Sportvolk“. Die spielen in der zweiten Stadtliga. Wir haben die zweistellig
besiegt.
Wie — ihr spielt Fußball gegen die Nazis?
Jochen: Wir müssen, das ist halt Liga kein Freundschaftsspiel. Unserm
Innenminister Schönbohm kommt das allerdings durchaus gelegen. Devise: Man
muss die Jungs beschäftigen, also lass sie Fußball spielen. Es gab auch
schon Spiele der Rechten gegen eine Mannschaft aus Aussiedlern. Dabei hat es
auch schon Ausschreitungen gegeben.
Innenminister Jörg Schönbohm beharrt ja auf dem Standpunkt, eine
Extremismus-Gefahr gebe es von Rechts und Links gleichermaßen. Hat das
Auswirkungen?
David: Ja, ich habe aber auch einen Fehler gemacht. Für eine Spontandemo vor
einem Jahr habe ich Flyer entworfen, die waren ein bisschen splattermäßig –
ein Nazi, der einen Tritt ins Gesicht kriegt. Es folgte eine
Hausdurchsuchung und mehrere Gerichtsverfahren.
Jochen: In Rathenow wurde er freigesprochen, die Staatsanwaltschaft hat in
Potsdam Revision eingelegt. Dort wurde er verurteilt, jetzt geht es wieder
in die nächste Instanz.
David: Dabei war die Demo sehr friedlich, das hat selbst die Tomeg gesagt,
von der einige Leute vor Ort waren. Wir haben mit uns reden lassen, wir sind
auf alle Bedingungen eingegangen, aber hintenrum kam dann der Hammer:
Hausdurchsuchung und ein Gerichtsverfahren wegen Aufrufs zur Brandstiftung.
Jochen: Wir haben gekontert mit dem Argument, dass der Flyer Jugendsprache
ist, siehe Motörhead: „Eat the Rich“. Hat nichts genützt, die ziehen das
durch.
David: Das Komische dabei ist, es hat überhaupt nicht lange gedauert: Ein
Monat, dann war das Schreiben vom Gericht da. Wegen der Sache mit meinem
Auto warte ich jetzt schon sieben Monate, da passiert überhaupt nichts.
Wie seht ihr eure Zukunft in Rathenow?
David: Im Großen und Ganzen wird sich in Rathenow nicht viel ändern. Seit
langer Zeit ist es so, dass die Jugendlichen keinen Bock haben, sich mit
Politik wirklich auseinander zu setzen. Das Thema hier bleibt: Wer hat wem
auf die Fresse gehauen? Ich werde wahrscheinlich nach Hamburg gehen.
Jochen: Ich würde gerne dazu aufrufen, hier zu bleiben, aber man kann nichts
tun. In Rathenow kann man vielleicht eine Ausbildung machen oder das Abitur,
aber am Ende bleibt nichts anderes als wegzugehen, um woanders zu studieren
und einen Job zu finden.