ORANIENBURG Von extremer Vergesslichkeit geplagt waren gestern zwei junge
Oranienburger vor dem Amtsgericht. Die beiden konnten sich nicht daran
erinnern, am 1. Juni 2002 einen Zeitungszusteller verprügelt zu haben. Auch
auf ihre Flucht vor der Polizei wollten sie sich zunächst nicht entsinnen.
Sie seien zu betrunken gewesen, gaben Ben F. und Nico S. an.
Am frühen Morgen des 1. Juni war der Zeitungszusteller Siegfried R. an der
Berliner Straße, vor dem Gerichtsgebäude, von zwei Betrunkenen aufgehalten
und angepöbelt worden. Die beiden forderten von R. die Herausgabe einer
Zeitung. Als dieser darauf nicht einging, hielt einer der beiden R. am
Kragen. Der Zeitungsbote wehrte sich mit einem Schlag ins Gesicht des
Betrunkenen, erhielt dafür aber einen Tritt von dem zweiten Angreifer. R.
ging zu Boden und es folgten weitere Tritte und Schläge, auch ins Gesicht.
So zumindest sagte es R. während seiner Zeugenvernehmung vor Gericht aus.
Eine Befragung, die sich für das Gericht zunehmend schwierig gestaltete. R.
wollte kaum Angaben zur Tat machen. “Auf Einzelheiten möchte ich nicht
eingehen”, sagte er immer wieder. Doch gerade darauf legte das Gericht Wert.
Heraus kam, dass der Zeitungszusteller auch Monate nach der Tat seiner
Arbeit nur mit großer Angst nachgehen konnte.
Jürgen M., der zum Tatort gerufene Polizist, bescheinigte dem Zeugen
mangelnde Kooperation. Auch damals wollte er kaum Angaben machen,
identifizierte aber Ben F. und Nico S., die sich noch immer an der Berliner
Straße aufhielten, als die Täter. Diese liefen daraufhin vor der Polizei
davon, wurden aber gefasst. Die Beklagten seien keineswegs so betrunken
gewesen, wie sie gestern glauben machen wollten, meinte der Polizist.
Auch sind die beiden für das Gericht keine Unbekannten. Ben F., 1981
geboren, kam mit der Justiz bereits wegen Diebstahl, Sachbeschädigung und
schwerer Körperverletzung in Konflikt. Die letzte Verurteilung des
19-jährigen Nico S. stammt vom November vorigen Jahres. Wegen Brandstiftung
war er zu 22 Monaten Bewährung verurteilt worden. Im März 2002 stand er
wegen Volksverhetzung vor Gericht.
Nach der Aussage des Polizisten kehrte die Erinnerung der Angeklagten
langsam wieder zurück. Sie verneinten allerdings, R. ins Gesicht getreten zu
haben. Das Gericht glaubte aber dem Zeugen und verurteilte Ben F. und Nico
S. wegen schwerer Körperverletzung. Die Strafe von Nico S. wurde mit der vom
November zusammengefasst. Beide Oranienburger haben nun eine Bewährungszeit
von 30 Monaten vor sich. Nico S muss 650 Euro an den Verein Pro Asyl zahlen
und auf Ben F. warten 100 Stunden gemeinnützige Arbeit.