Mit einer überraschenden Entdeckung konfrontierte die Verteidigung das Potsdamer Amtsgericht gleich zu Beginn des nun schon 7. Verhandlungstages im Prozeß um die von
einem Mitglied der Potsdamer Kampagne gegen Wehrpflicht gegen den Polizeieinsatz am 25.8.01 in der Babelsberger Breitscheidstraße 6 erhobenen Vorwürfe. Am Ende eines
Videos aus einem anderen Strafverfahren befinden sich nämlich weitere Aufnahmen der Polizeikameras, die den Abmarsch der Hertha-Hools und die Stürmung des alternativen
Wohnprojektes durch die LESE zeigen. Überwiegend handelt es sich dabei um Wiederholungen bekannter Videoaufnahmen. Interessant ist aber, daß keine Wiederholung völlig identisch mit dem bislang bekannten Material ist.
Eine plausible Erklärung hatte dafür auch der Polizeizeuge nicht, der die Videos von den kleinen Kassetten der Polizeikameras auf eine große Kassette überspielt und
diese beschriftet hatte. Auch zum Verbleib der Originalkassetten konnte der Polizeitechniker nichts sagen. (Die bislang für die Originalkassetten gehaltenen
kleinen Kassetten in der Akte hatten sich als Filmmaterial zum Ausbau des Ausweichobjektes in der Zeppelinstraße entpuppt.) Er versicherte, die ordnungsgemäße
Kopie und die Originalkassetten an den Leiter des Staatsschutzkommissariats Wetzel weitergegeben zu haben. Dieser hatte ihn beauftragt, mehrere Kopien anzufertigen.
Dafür wäre eigentlich eine Genehmigung der Staatsanwaltschaft erforderlich gewesen.
Die einzige Erklärung für die vorliegenden unterschiedlichen Varianten des Videomaterials ist die Manipulation von Beweismitteln durch den Staatsschutz.
Die Verteidigung hatte inzwischen auch eine erste Prüfung angestellt, was aus den Videos entfernt worden war. Dabei hatte sich herausgestellt, daß auf dem fehlenden
Stück die Betitelung einer festgenommenen Frau als “Schlampe” zu hören ist.
Auch die folgenden Vernehmungen von zwei Passantinnen belegten ein völlig unangemessenes Vorgehen der Polizei bei der Festnahme und die Beschimpfung als Schlampen.
Einen Beweisantrag auf die Bestellung eines Gutachters zur Prüfung der Videos lehnte die Richterin ab, weil sie inzwischen auch Beschimpfungen der BewohnerInnen als
“Schlampe” für erwiesen hält.
Nach sieben Verhandlungstagen und ca. 50 Zeugen wurde die Beweisaufnahme geschlossen.
Es folgten die Plädoyers und das letzte Wort des Angeklagten.
Obwohl auch die Staatsanwaltschaft die Verwüstungen des Hauses durch die Polizei als erwiesen ansah und vereinzelte Beschimpfungen für möglich ansah, bestritt der Staatsanwalt daß die Polizei Getränke und Bargeld im Haus entwendet und ins Haus gepinkelt hat. Für diese Tatsachen sei zumindest der Wahrheitsbeweis nicht zweifelsfrei erbracht. Es wurde eine Geldstrafe von 70 Tagessätzen à 35 Euro beantragt und darauf hingewiesen, daß beim nächsten Vergehen keine Geldstrafe mehr in Frage käme.
Die Verteidigung beantragte Freispruch, weil die Anklageschrift fehlerhaft, der Kreis der angeblich geschädigten Beamten nicht abzugrenzen und der Wahrheitsbeweis lückenlos erbracht sei.
Das Urteil wird am 28.02. 9.30 Uhr im Amtsgericht Potsdam verkündet.
Lutz Boede soll 2450 Euro Strafe zahlen
Plädoyers im Beleidigungsprozess gegen Sprehcer der
Anti-Wehrpflicht-Kampagne
(MAZ) Der Staatsanwalt verlangte für Lutz Boede gestern eine “letztmalige”
Geldstrafe von 70 Tagessätzen á 35 Euro. Er verwies auf Boedes Vorstrafen,
die von Beleidigung, Hausfriedensbruch bis zu Sachbeschädigung reichten. Im
Prozess gegen den Sprecher der Kampagne gegen Wehrpflicht sind am gestrigen
siebten Verhandlungstag die Plädoyers gehalten worden. Nachdem das Gericht
41 Zeugen, darunter 30 Polizisten, geladen hatte, ist die Beweisaufnahme
beendet.
Boede ist der “üblen Nachrede” gegenüber der Polizei angeklagt. Er hatte
einen Einsatz um den 25.August 2001 kritisiert. Nach einem Fußballspiel war
es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen radikalen Hertha-Fans und
Bewohnern der Rudolf-Breitscheid-Straße 6 gekommen, in deren Folge das
alternative Wohnprojekt geräumt wurde.
Boedes Vorwürfe: Uniformierte sollen bei Durchsuchungen das Haus verwüstet,
Getränke und Geld gestohlen, Bewohner als “Zecke” und “Schlampe” bezeichnet
sowie hinter dem Tresen und in Polstermöbel uriniert haben. Boede sah sich
in der “Beweisführungspflicht”, musste also seine Vorhaltungen beweisen.
Dies ist ihm nach Ansicht von Staatsanwalt Thomas Jaschke “nicht annähernd
gelungen”. Schließlich haben alle befragten Polizisten die Anschuldigungen
“mit Empörung” zurück gewiesen. Er traue den Beamten “genauso wenig” zu, die
Unwahrheit zu sagen, wie er dies den Hausbewohnern unterstelle. Auch
bezweifelte Jaschke die Neutralität der von der Verteidigung als
“unabhängige Passanten” dargebrachten Zeugen: “Die standen alle in
Verbindung mit dem Haus.”
Boedes Anwältin Antje Klamann forderte Freispruch für ihren Mandanten, der
sich, selbst Jurastudent, immer wieder in die Zeugenbefragung einschaltete.
Die Polizei sei als Gruppe nicht eingrenzbar, also nicht
“beleidigungsfähig”, argumentierte sie. Unklar sei, welche Beamten sich
zwischen Räumung und Übergabe im Haus befanden. Somit sei auch keine
konkrete Person “in ihrer Ehre” verletzt. Da die Polizei auf unabhängige
Zeugen, die die Strafprozessordnung vorsieht, bei den Durchsuchungen
verzichtete, könne sie den Zustand des Hauses nur anhand der von Bewohnern
aufgestellten Schadensliste beurteilen. Demnach fehlten 200 bis 500 Mark
sowie zwei Kästen Wasser. Zu den Schimpfwörtern gebe es auch Aussagen eines
Polizeibeamten. Dass die Verwüstung auf den Polizeieinsatz zurückzuführen
sind, hält Richterin Lange bereits für erwiesen.
Die Wahrheit und die Polizei, das sei “keine Liebesbeziehung”, sagte Boede
in seinem Schlusswort. Am 28. Februar ist Urteilsverkündung.