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Spitzelwerbung per Zeitungsanzeige

Die Anzeige, die der 21jährige Mar­tin (Name geän­dert) in der Märkischen All­ge­meinen vom 22. März ent­deck­te, sah vielver­sprechend aus: »Neben­job! Suche poli­tik­in­ter­essierte junge Leute ab 18!«. Der Oranien­burg­er Stu­dent meldete sich sogle­ich bei der Kon­tak­t­tele­fon­num­mer des »Arbeit­skreis­es Wis­sen und Fortschritt«, der die Annonce geschal­tet hat­te. Schnell war ein Ter­min für ein Vorstel­lungs­ge­spräch aus­gemacht. Was Mar­tin damals noch nicht wußte: Den »Arbeit­skreis Wis­sen und Fortschritt« gibt es nicht wirk­lich. Es han­delt sich um eine Briefkastenfirma. 

Das Vorstel­lungs­ge­spräch von Mar­tin fand Ende März in einem Café in Berlin statt. Die Frau, die er dort trifft, erk­lärt ihm, es gehe um Recherchen für eine Polit­studie. »Wis­sen und Fortschritt« unter­stütze Autoren und Insti­tu­tio­nen bei ihrer Arbeit. »Wir wollen wis­sen, was Jugendliche dazu bewegt, Poli­tik zu machen. Wir wollen her­aus­find­en, warum sie in Oppo­si­tion zum Staat gehen«, sagt sie. Mar­tins Auf­gabe sei es, Ver­anstal­tun­gen zu besuchen und darüber Berichte anzufer­ti­gen. Mit einem Blick auf Mar­tins Dread­locks meint die Frau, für ihn komme »ja wohl eher die links­gerichtete Szene in Frage«. Mar­tin stimmt zu und freut sich über die gute Bezahlung, die in Aus­sicht ste­ht: Zehn Euro Stun­den­lohn gibt es für das Besuchen von Ver­anstal­tun­gen, fünf Euro für das Schreiben der Berichte. Auch Spe­sen wer­den übernommen. 

Stutzig wird Mar­tin erst, als ihm erk­lärt wird, es sei nicht möglich, einen Arbeitsver­trag abzuschließen, der Lohn solle bei regelmäßig stat­tfind­en­den Tre­f­fen bar aus­gezahlt wer­den. Trotz­dem soll alles seine Ord­nung haben und »schon ver­s­teuert« sein. Das Arbeitsver­hält­nis soll län­gere Zeit dauern. Auf drei bis sechs Jahre sei die Studie angelegt. Später werde es allerd­ings keinen Pauschal­lohn mehr geben, son­dern Bezahlung nach »Qual­ität der Infor­ma­tio­nen«. Um sich zu über­legen, ob er den Job haben will, kann sich Mar­tin ein paar Tage Zeit nehmen. Dann, schlägt die Frau vor, soll es ein zweites Tre­f­fen geben, zu dem sie ihm eine Liste mit Ver­anstal­tun­gen mit­brin­gen will, die er besuchen soll. 

Aus dem Tre­f­fen wurde nichts. Mar­tin sprach mit Vertretern der linken Recht­shil­fe­or­gan­i­sa­tion »Rote Hil­fe« über die Angele­gen­heit. Die bestätigten ihm, daß es sich mit hoher Wahrschein­lichkeit um einen Anwer­bev­er­such des Ver­fas­sungss­chutzes han­delte. Über ähn­liche Vor­fälle in Berlin hat­te die tageszeitung am 7. Novem­ber 2002 berichtet. In der Haupt­stadt wollte der Ver­fas­sungss­chutz im Herb­st 2002 über Anzeigen Stu­den­ten als Spitzel wer­ben, um das Kreuzberg­er Alter­na­tivzen­trum Mehring­hof auszus­pi­onieren. Auch damals soll­ten die Job­suchen­den anfangs ange­blich lediglich Recherchen für eine Studie anstellen. Das Com­ing Out der Sicher­heits­be­hörde fol­gte später. 

Obwohl die Frau von »Wis­sen und Fortschritt« beim ersten Tre­f­fen Mar­tin den Job zuge­sagt hat­te, rief sie ihn wenige Tage später an und erk­lärte, daß es nun doch kein Inter­esse an ein­er Zusam­me­nar­beit mehr gebe. Es drängt sich so der Ver­dacht auf, daß Mar­tins Handy abge­hört wurde. Wie viele Men­schen sich auf die Anzeige von »Wis­sen und Fortschritt« gemeldet haben, und wie viele davon nun in Bran­den­burg poli­tis­che Grup­pen bespitzeln, ist nicht bekannt. 

* Der Artikel wurde jW von der Redak­tion des im bran­den­bur­gis­chen Neu­rup­pin ansäs­si­gen linken Inter­net-Infor­ma­tions­di­en­stes Infori­ot (www.inforiot.de) zur Ver­fü­gung gestellt

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