Firma aus Zeesen benutzt angeblich NS-Symbole — Justiz zerstritten über
weiteres Vorgehen
(Berliner Zeitung, 6.11.) NEURUPPIN. Das ist bisher ohne Beispiel in Deutschland: Es gibt eine
offiziell zugelassene Bekleidungsfirma, die Jacken, Pullover und anderes
vertreibt. Und es gibt eine Staatsanwaltschaft, die das Tragen dieser
Kleidungsstücke unter Strafe stellt. Die Staatsanwaltschaft Neuruppin
begründet dies mit altgermanische Runen, die als Markenzeichen auf den
Jacken und Pullovern der Marke “Thor Steinar” prangen: “Das Logo der
Bekleidungsmarke ‚Thor Steinar′ ist als ein Kennzeichen zu behandeln, das
dem einer ehemaligen nationalsozialistischen Organisation zum Verwechseln
ähnlich ist”, so die Staatsanwaltschaft. Die Behörde hat das altgermanische
Runenalphabet äußerst akribisch studiert: Demnach ist jene pfeilähnliche
Tyr-Rune einst Abzeichen der SA-Reichsführerschulen gewesen und die
Gibor-Rune, einer Wolfsangel gleich, ist von der Waffen-SS benutzt worden.
Und deshalb steht laut Staatsanwaltschaft Neuruppin das Tragen dieser
Kleidungsstücke mit Logo unter Strafe. Ein 23-jähriger Mann hat vom
Amtsgericht Prenzlau in diesem Jahr einen inzwischen rechtskräftigen
Strafbefehl erhalten. Er muss 30 Tagessätze a 10 Euro zahlen, weil er einen
Pullover mit dem Runen-Logo getragen hat. Zwei weitere Verfahren stehen an.
Nun ist es in Sicherheitskreisen längst bekannt, dass die Marke
“Thor-Steinar” der Firma Mediatex aus Zeesen in der rechtsradikalen Szene
bevorzugt getragen wird. Auf Sweatshirts der Marke steht mitunter das
martialische “Division Thor Steinar”, laut Staatsanwaltschaft eine
Anspielung auf die von einem General Steiner geführte SS-Division. Beim
jüngsten Neonazi-Aufmarsch in Potsdam machte es die Polizei zur Auflage,
dass die Rechtsradikalen keine Thor-Steinar-Kleidung tragen dürfen. Und
Mediatex vertrieb Pullover, auf denen der Drohspruch “Hausbesuche”
abgedruckt war. Matthias Adrian vom Zentrum demokratische Kultur in Berlin
sagt: “Die rechtsradikale Szene geht weg vom Glatzen-Outfit hin zum
Livestyle-Look von ‚Thor Steinar′”. Damit bestimme man in manchen Regionen
die Jugendkultur.
Die Mediatex-Geschäftsführung weist jede politische Ausrichtung von sich:
“Wir haben keine Klamotten für Rechte konstruiert, wir stellen nur Sport-
und Freizeitbekleidung her”, sagt Reiner Schmidt, Assistent der
Geschäftsführung. “Und wir orientieren uns an Norwegen, deshalb die Runen.
Eine Wolfsangel wird da nur reininterpretiert.” Seine Kunden aber könne man
sich nicht aussuchen. Jetzt könnte man auf die Bekleidungsfirma Lonsdale
verweisen, deren Produkte in rechtsradikalen Kreisen ebenfalls gerne
getragen werden. Die dortige Geschäftsführung hat sich deutlich von seiner
radikalen Klientel distanziert, sponsert den Christopher Street Day. Nichts
davon ist beim “Thor Steinar”-Label erkennbar.
Markus Roscher, Anwalt der Firma Mediatex, sagt stattdessen: “Der
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist durch die Haltung der Neuruppiner
Staatsanwaltschaft verletzt.” Und als “rechtswidrig” bezeichnet er es, dass
die Polizei Ende Oktober zwei Hennigsdorfer Läden durchsucht und
“Thor-Steinar”-Klamotten beschlagnahmt hat. Tatsächlich hat die Polizei jene
Textilien inzwischen zurückgeben müssen. Aber der Anwalt sagt auch: “Sollte
es strafbar bleiben, würde ich der Firma raten, ihr Logo zu verändern.”
Innerhalb der Justiz ist die Rechtsauffassung der Neuruppiner Behörde höchst
umstritten. Bei der Generalstaatsanwaltschaft und den Behörden in Potsdam
und Cottbus ist gar von “Gesinnungsstrafrecht” die Rede. “Wenn das so
weitergeht, können wir bald alles verbieten”, sagt ein Staatsanwalt. Die
Generalstaatsanwaltschaft hofft nun darauf, dass die anstehenden Verfahren
letztlich vor einem Obergericht geklärt werden. “Dann würde Klarheit
bestehen”, sagt Sprecher Rolf Grünebaum.
Die Staatswanwaltschaft Neuruppin ermittelt nun gegen Mediatex selbst wegen
möglicher Propandadelikte. Die eigentlich zuständige Potsdamer Behörde
wollte das Verfahren unbedingt abgeben. Die “Thor Steinar”-Jacken werden
unterdessen auch mit abnehmbaren Logos angeboten.