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Kühl und ohne Gefühlsregung berichtet Marcel, wie er Marinus umbrachte
NEURUPPIN Am Dienstag, dem 19. November 2002, — vier Tage nach der Entdeckung von Marinus Schöberls Leiche — machte Staatsanwalt Kai Clement eine unheimliche Berufserfahrung. “Ich war schockiert”, sagte der Ermittler am Mittwoch als Zeuge im Neuruppiner Landgericht. Es war der zweite Verhandlungstag im Potzlow-Prozess, in dem die Brüder Marcel und Marco S. aus Potzlow sowie der 18-jährige Sebastian F. aus Templin wegen des Verdachts vor Gericht stehen, aus menschenverachtenden, rechtsextremistischen Motiven einen Menschen ermordet zu haben.
“Kühl” und “ohne Emotionen” habe der damals 17-jährige Marcel S. in seiner Vernehmung berichtet, wie er vier Monate zuvor Marinus in einem Schweinestall getötet hatte, berichtete Clement. “An keiner Stelle war eine Gefühlsregung zu erkennen.” Nicht bei der Schilderung des Sprunges auf Marinus Kopf, der danach “Matsch gewesen” sei, wie Marcel sich ausgedrückt habe. Nicht, als Marcel von dem Gasbetonstein sprach, den er zweimal gezielt auf den Kopf des Sterbenden schmetterte. Kai Clement wirkt angespannt. Im Gerichtssaal ist es still.
Dass Jugendliche Schreckliches begehen könnten, sagt Clement, habe er gewusst. Er habe jedoch gedacht, dass sie unter ihrer Tat litten und sie bereuten. Seit damals weiß der Staatsanwalt es besser. “Es war anders als bei anderen Vernehmungen.”
Die Situation muss unwirklich gewesen sein. “Wie ein Kindergartenkind, das sich freut, etwas berichten zu können”, sei ihm der 17-Jährige erschienen, erinnert sich Richter Olaf Zech, der die Vernehmung leitete. Mehrfach habe er den jungen Mann auf sein Recht hingewiesen, sich zuvor mit einem Anwalt zu beraten. Marcel wollte nicht. Dann redete er, “sehr flüssig und von sich aus”, so Richter Zech. Marcel schien “weder bedrückt noch stolz auf die Tat”. Er habe nie versucht, die zwei Mitangeklagten zu belasten.
Nach Marcels Geständnis starb Marinus Schöberl folgendermaßen: Marcel, sein damals 23-jähriger Bruder Marco sowie Marcels Kumpel Sebastian F. tranken am Abend des 12. Juli 2002 Alkohol in der Wohnung eines Bekannten. Auf dem Weg, Nachschub zu holen, trafen sie zufällig Marinus, der sich anschloss. Marinus und Marcel kannten sich recht gut. Sie tranken nun gemeinsam, es blieb friedlich.
Erst nach Mitternacht, in einer anderen Wohnung, wurde Marinus beleidigt und geschlagen. Die maßgebliche Aggression ging wohl von Marco aus, der plötzlich meinte, Marinus sei Jude. Marco — begabt mit einem IQ von deutlich unter 60 — glaubte, dies an Marinus blond gefärbten Haaren und dessen weit geschnittener Hose erkennen zu können. Die Gewalt steigerte sich. Sebastian urinierte auf den am Boden Liegenden, ein anderes Mal schlug er Marinus so kräftig, dass er vom Stuhl fiel.
Dann radelten die Täter davon und ließen den betrunkenen Marinus im Haus der Bekannten zurück. Bald kehrten sie jedoch zurück, zerrten Marinus auf die Straße und fuhren zu einer verlassenen LPG. Die Täter waren wohl nicht so betrunken, dass sie nicht mehr wussten, was sie taten.
Im Schweinestall wurde Marinus erneut misshandelt. Marcel forderte Marinus “aus Spaß” auf, in eine Steinkante auf dem Stallboden zu beißen. Marinus wurde wohl von Marco und Marcel in die Knie gezwungen. Der Vorgang wiederholte sich. Marco, Marcel und Sebastian standen bei Marinus, der am Boden in die Steinkante biss. In dem Augenblick erinnerte sich Marcel an einen Film, in dem ein Neonazi einen am Boden liegenden Schwarzen umbringt. Nach diesem Vorbild sprang Marcel mit seinen Springerstiefeln auf Marinus Kopf. Sebastian wollte sich entfernen und sagte, er wolle damit nichts zu tun haben. Marco meinte, Marinus, der schwach röchelte, müsse nun umgebracht werden. Marco und Marcel suchten im Stall nach einem geeigneten Gegenstand. Marcel fand einen Gasbetonstein mit 30 Zentimetern Kantenlänge. Er warf zweimal.
LAUSITZER RUNDSCHAU
Die mutmaßlichen Mörder des 16-jährigen Schülers Marinus aus Potzlow
(Uckermark) haben Zeugen zufolge auch Monate nach der Tat kein
Mitgefühl für ihr
Opfer gezeigt.
“Ich war über ihr Verhalten beim Haftrichter schockiert”, sagte ein
Staatsanwalt gestern vor dem Landgericht Neuruppin. Die drei
Angeklagten schweigen
bislang im Prozess zu den Tatvorwürfen und zeigen auch vor Gericht
keine
Gefühlsregung.
Zwei 18 und 24 Jahre alte Brüder räumten am ersten Prozesstag in
schriftlichen Geständnissen ein, den Schüler stundenlang gequält und
dann getötet zu
haben. Der dritte, ebenfalls 18-jährige Angeklagte gab nur zu, das
Opfer
geschlagen zu haben.