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Stadt ohne Aussicht

(Olaf Sun­der­mey­er, Tagesspiegel) Frank­furt (Oder) — Wenn Wirtschaftsmin­is­ter Wolf­gang Clement (SPD) mor­gen Frank­furt (Oder) besucht, wird ihm zumin­d­est eines bekan­nt vorkom­men. Die Arbeit­slosigkeit von 19,7 Prozent wird inzwis­chen auch in eini­gen Teilen des Ruhrge­bi­ets erre­icht. Doch in Nor­drhein-West­falen, wo Clement Min­is­ter­präsi­dent war, hat der Struk­tur­wan­del wenig­stens begonnen. In Frank­furt kann davon keine Rede sein. Das let­zte Pro­jekt, auf das die Frank­furter gehofft hat­ten, erwies sich als Chimäre: Aus der geplanten Chip­fab­rik wurde nur eine Bau­ru­ine aus Beton. Und ein­er von vie­len dunken Fleck­en auf dem Image ein­er Stadt, aus der das Land fast nur Übles hört. 

So wie zulet­zt die Geschichte von der 39-jähri­gen Mut­ter, die ver­mut­lich neun neuge­borene Kinder getötet und in Blu­menkästen ver­schar­rt hat. Oder den Fall des Gewal­texzess­es im Frank­furter Plat­ten­bau­vier­tel Neu­beresinchen, bei dem drei junge Män­ner aus dem recht­en Milieu einen Mann stun­den­lang folterten und fast umbracht­en, wofür sie vor kurzem zu lan­gen Haft­strafen verurteilt wur­den. Oder die Mut­ter, die ein paar Haus­num­mern weit­er ihre zwei Kinder ver­dursten ließ. Und immer wieder ras­sis­tis­che Über­griffe aus der recht­en Szene. 

Wie all das passieren kon­nte, kann hier kein­er erk­lären. Der Ansatz von Bran­den­burgs Innen­min­is­ter Jörg Schön­bohm (CDU) allerd­ings, der die Ursache in der durch die DDR betriebe­nen Pro­le­tarisierung sucht, wird ein­hel­lig zurück­gewiesen. Annegret Schmidt von der Frank­furter Arbeit­slos­enini­tia­tive sagt: „Solche Fälle, wie der mit den neun toten Babys oder den ver­dursteten Kindern hätte es in der DDR nicht gegeben, weil damals die soziale Kon­trolle in den Haus­ge­mein­schaften und Kindergärten funk­tion­iert hat. Heute nicht mehr.“ 

Schmidt küm­mert sich auch um Schuld­ner­ber­atung und sagt, dass die finanzielle Lage der Frank­furter wegen des Job­man­gels immer schlim­mer werde. „Viele Men­schen ver­fall­en in Lethargie.“ Auch Peter Boehl, Sucht­ber­ater vom Par­itätis­chen Wohlfahrtsver­band, hat mit der Per­spek­tivlosigkeit der Frank­furter zu kämpfen – „von den Suchtkranken kom­men höch­stens fünf Prozent zu uns“. 

In Kneipen wie dem „Biereck“ auf der Leipziger Straße oder in der Spiel­halle „Cal­i­for­nia“ an der Stadt­brücke über die Oder ist vor­mit­tags mehr los als in den Geschäften auf der Karl-Marx-Straße, der Einkauf­s­meile im Zen­trum. „Die Leute kaufen nichts, weil sie keine Arbeit haben“, klagt eine Ladenbe­sitzerin, die schon ans Aufgeben denkt. 

Den­noch sind die Mieten ver­gle­ich­sweise hoch – bei der Stadtver­wal­tung gibt es sog­ar einige, die sagen, dass sie von den Woh­nungs­ge­sellschaften „kün­stlich hochge­hal­ten wer­den“. Dabei ist der Leer­stand der städtis­chen Woh­nun­gen mit rund 20 Prozent so hoch, dass Häuser abgeris­sen werden. 

So wech­seln manche Stu­den­ten und Abgänger der Europau­ni­ver­sität Viad­ri­na über die Oder ins pol­nis­che Slu­bice, wo sie schwarz wohnen und in Frank­furt nur ihre offizielle Meldead­resse und ein Post­fach haben. Die Mieten sind ein­fach viel gün­stiger, und das bedeutet auch, dass die tat­säch­liche Ein­wohn­erzahl Frank­furts noch niedriger ist als die 64 000, die die Stadtver­wal­tung nen­nt und die auch regelmäßig nach untern kor­rigiert wird. Rund 2000 Abwan­der­er dürften die Stadt auch im kom­menden Jahr verlassen. 

Da kann der Frank­furter Ober­bürg­er­meis­ter und gel­ernte Sozialar­beit­er Mar­tin Patzelt (CDU) noch so oft beto­nen, dass er „der Jugend wieder eine Per­spek­tive geben will“. Arbeit­splätze kann er nicht schaf­fen – auch keine Aus­bil­dungsplätze: 999 Frank­furter ohne Arbeit sind unter 25 Jahren alt. So wie Kay, der lieber im „Cal­i­for­nia“ sitzt und das aggres­sive Com­put­er­spiel „Counter Strike“ spielt, als Bewer­bun­gen zu schreiben: „Das bringt ja doch nichts.“ Vom Min­is­ter erwartet er nichts. Zwar will Clement ein Pro­jekt besuchen, bei dem es darum geht, Unter-25-Jährige wieder in Arbeit zu brin­gen. Kay aber sagt: „Die Poli­tik­er sollen bleiben, wo sie sind. Die ner­ven hier nur.“

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