Von Nazis ermordet: Neuruppin verlor seine jüdischen Mitbürger und ein Stück Geschichte – seit gestern kommt die Erinnerung zurück
NEURUPPIN/ALT RUPPIN „Hier wohnte Edith Frank, geborene Anker, Jahrgang 1914, deportiert 1943, verschollen in Auschwitz.“ Manche Neuruppiner erinnern sich noch an das Mädchen, mit dem sie spielten und das Nachhilfeunterricht gab. Seit gestern ist die Erinnerung nicht nur in den Köpfen, sondern auch im Pflaster.
Gestern, 10 Uhr: Auf Neuruppins Schulplatz treffen zwei Welten aufeinander. Nach zehn Tagen Amüsement bauen die Besitzer von Riesenrad und Geisterbahn ihre Fahrgeschäfte ab. Der Rummel ist vorbei. Zur selben Zeit steht eine größere Gruppe vor dem Café Schröders und ist Zeuge einer im Land Brandenburg bislang einmaligen Aktion des Erinnerns. Der Kölner Künstler Gunter Demnig buddelt einige Steine aus dem Pflaster, um sie gegen in Messing gehauene Geschichte auszutauschen. Stolpersteine hat der Kölner Künstler sein Projekt genannt, bei dem an Menschen vor ihrem letzten Zuhause erinnert wird, bevor sie die Nazis einkerkerten, erschossen, vergasten. In 25 Städten sind bereits mehr als 3000 dieser mit Messing beschlagenen Steine samt der wenigen Angaben über das ungewisse Schiksal der einstigen Mitbürger und Nachbarn verlegt worden.
Neuruppin ist nach Zwickau und Schneeberg erst die dritte ostdeutsche Stadt, die auf diese Weise Geschichte schreibt. Den Anstoß dafür gaben Jugendliche, die sich daran stießen, dass am 9. November 2002 – dem Gedenktag an die Reichspogromnacht 1938 – im Café Schröders ein munteres Konzert stattfand.
Das Gebäude gehörte einst einem jüdischen Kaufmann und beherbergte das Kaufhaus Anker. Kurze Zeit später fand die Neuruppinerin Katharina Motschmann einen Hinweis aut das Projekt Stolpersteine. Monate der Vorbereitung und des Spendensammelns vergingen, bis Demnig gestern die zehn mal zehn Zentimeter großen Steine verlegte.
3000 Messingplatten bedruckten, 3000 Steine verlegen – stumpft der Künstler da bei der Arbeit ab? Demnig verneinte. „Es sind immer wieder neue Schicksale. Manchmal wird es zur Routine. Dann kommt wieder ein Stein für einen Menschen mit dem Geburtsjahr 1940 oder 1941. Das deprimiert, da wird einem schlecht bei.“
Was dem Kölner auch immer wieder Kraft gibt: Das Erinnerungsprojekt lebt nur von Spenden, er verzichtet bewusst auf städtische Mittel. Und erst fünf Steine, davon wurde einer zerschlagen, musste er ersetzen. Oftmals kommt er bei seiner Arbeit mit Menschen ins Gespräch. Gestern war es eine Neuruppinerin, Jahrgang 1926, die sich spontan für die Erinnerungsarbeit interessierte: „Da darf man nicht locker lassen!Man muss immer wieder an die Geschichte erinnern!“
Es war bereits dunkel, als neben der Alt Ruppiner Kirche der vorerst letzte Stein seinen Platz fand. Im Gotteshaus berichtet Demnig vor rund 70 Zuhörern davon, dass er seit zehn Jahren nicht nur Stolpersteine verlegt, sondern ihm solche auch in den Weg gelegt werden. Zum Beispiel in Köln: Drei Jahre dauerte es, ehe 17 Genehmigungs-Instanzen überwunden waren. Und der Anwalt eines Hausbesitzers argumentierte: Die Steine „stellen eine ganz erhebliche Erschwernis im Fall des Verkaufs oder der Vermietung der Wohnungen dar.“
Pfarrer Heinz Joachim Karau fand in der Kirche die passenden Worte: „Gott sei Dank haben wir eine Stelle, zehn mal zehn Zentimeter groß, wo wir unser heiligen Pflicht, diese Wunde offen zu halten, gerecht werden. Ich glaube, es ist ein wichtiger Tag für Neuruppin.“
Stolpersteine in Neuruppin
Am 17.November 2003 wurden in Neuruppin die ersten Stolpersteine zum Gedenken an die Opfer des zweiten Weltkriegs verlegt.
Stolpersteine, sind eine Erfindung von dem Künstler Gunter Demnig. Er startete mit diesem Projekt vor 10 Jahren und hat, in Köln angefangen, schon mehrere Städte mit seiner Kunst den Opfern des Faschismus zu mehr Aufmerksamkeit verholfen. Die Stolpersteine bestehen aus Pflastersteine, die mit einer Messingplatte versehen sind, auf der der Name, das Geburts- und Sterbedatum, die Wohnadresse und der Ort, bzw. die Todesursache der Opfer eingraviert sind. Sie werden vor den Häusern zwischen die Pflasterseine gesetzt, in denen die Verfolgten lebten. Mit diesen Stolpersteinen, will der Künstler diese Menschen aus der Anonymität holen.
Erstmals wurde nun in Brandenburg eine Stadt mit solchen Steinen versehen. Aber längst nicht wurden alle benannt und deswegen ist dieses Projekt damit nicht abgeschlossen, sondern wird versucht weiter zu führen. Denn die Nachforschungen sind noch nicht vollständig. Und bemerkenswert ist, dass schon nach fünfzig Jahren so viele Dinge nicht mehr nach geschaut werden können, da Unterlagen unvollständig sind.
Etwa 100 Menschen haben an der letzten Stein Setzung teilgenommen und an der darauf folgenden Veranstaltung teilgenommen. Insgesamt wurden bis jetzt neun solcher Steine in den Bürgersteig ein gebettet. Die in Zukunft die blinde Bevölkerung zum Nachdenken anregen und aufwecken soll.
Nie wieder Krieg!
Nie wieder Faschismus!