Familie C. floh Anfang Juli 2021 aus der Türkei über die Ukraine nach Berlin. Schlepper zwangen die verzweifelten Eltern, ihre 19- und 11-jährigen Töchter in Odessa zurückzulassen. Mit den verbleibenden Kindern – den 16 und 17 Jahre alten Töchtern und ihrem 6‑jährigen Sohn – beantragte die Familie bei Ankunft am Flughafen BER am 16. Juli Asyl. Der Antrag wurde im Schnellverfahren vier Tage später abgelehnt. Die Familie wird seitdem im Flughafengefängnis festgehalten.
Der Familienvater wurde in der Türkei Opfer von Folter. Frau C. war bis zu ihrer Flucht in einem politisch exponierten Büro der kurdischen Partei HDP aktiv, deren Parlamentsmitglieder vom Erdogan-Regime verfolgt werden. Frau C. wurde von den Behörden observiert und kontrolliert und entging Anfang 2021 mit einer ihrer Töchter nur knapp einem bewaffneten Angriff auf das Parteibüro.
Die Asylbefragung der Familie C. wurde ohne Rücksicht auf die erlittene Folter und die psychische Erkrankung des Vaters durchgeführt. Weder fanden die von ihm vorgelegten Atteste Beachtung noch wurde ein:e auf die Anhörung von Folteropfern geschulte:r Anhörer:in eingesetzt. Die Anhörung der Familie dauerte insgesamt fast neun Stunden, Pausen gab es nicht. Die Übersetzung hatte erhebliche Fehler und Lücken. Die mehrfache Bitte, eine:n Anwält:in kontaktieren zu dürfen, wurde der Familie verwehrt, obwohl nach europäischem Recht in allen Phasen des Asylverfahrens, also auch vor der Anhörung, „effektiv Gelegenheit“ zu geben ist, ein:e Anwalt:in zu konsultieren. Ein:e Psychiater:in wurde vor der Asylentscheidung zu keinem Zeitpunkt hinzugezogen.
Erst nach Ablehnung des Asylantrags durch das BAMF bekam die Familie Kontakt zu einer Anwältin. Einen Eilantrag auf aufschiebende Wirkung der eingereichten Asylklage lehnte das Verwaltungsgericht Potsdam ohne Anhörung der Betroffenen im Schnellverfahren am ab.
Als Reaktion auf die Asylablehnung des Gerichts unternahm Frau C. einen Suizidversuch. Schon am Folgetag wurde sie anstelle eines zunächst ärztlich angeratenen längeren Psychiatrieaufenthaltes aus dem Klinikum Neukölln in die Haftanstalt zurückgebracht, da durch die polizeiliche Aufsicht erneute Suizidversuche ausgeschlossen seien. Kurz darauf musste sie erneut notfallmäßig in eine psychiatrische Klinik aufgenommen werden. Eine nach dem Suizidversuch von der Bundespolizei beauftragte Vertragsärztin erklärte beide Ehepartner für reise- und flugunfähig. Die Bundespolizei beauftragte daraufhin einfach einen zweiten Vertragsarzt, der noch am selben Tag wunschgemäß die Reisefähigkeit beider Ehepartner bescheinigte.
Die Bundespolizei plant nun die Abschiebung der Familie am Freitag 13. August 2021 mit Ryanair FR 6925 um 6 Uhr ab BER nach Odessa/Ukraine in Begleitung von neun Polizist:innen und einem:r Ärzt:in. Es ist zu vermuten, dass aus der Ukraine umgehend eine Abschiebung in die Türkei erfolgt.
„Wir lehnen die Inhaftierung Schutzsuchender am Flughafen und die Durchführung von Asylverfahren unter Haftbedingungen grundsätzlich ab“, sagt Georg Classen vom Flüchtlingsrat Berlin. „Besonders zynisch ist, dass im Flughafen Willy Brandt sogar Kinder ins Gefängnis gesperrt werden.“
„Menschen, die gefoltert wurden, sind in der Asylanhörung häufig nicht zu einem den Anforderungen genügenden Sachvortrag in der Lage. Die Ermittlung der Asylgründe und die gebotene medizinische Diagnostik ist bei psychisch Traumatisierten nicht im Schnellverfahren möglich, schon gar nicht in einer Haftanstalt unter Polizeibewachung. Vielmehr folgt dann aus dem Asylgesetz in Verbindung mit den Maßgaben der EU für besonders schutzbedürftige Asylsuchende ein Anspruch auf unmittelbare Entlassung aus der Haft am Flughafen“, sagt Dietrich Koch von Xenion e.V.
„Wir sind entsetzt über die Grausamkeit und die Rechtswidrigkeit, mit der die Bundespolizei und das BAMF gegen Familie C. vorgehen“, so Lotta Schwedler vom Flüchtlingsrat Brandenburg. „Die Art und Weise der Asylanhörung in der Haftanstalt des Flughafens widerspricht grundlegenden rechtsstaatlichen Prinzipien, die etwa auch bei der Vernehmung von Straftäter:innen zu beachten sind.“
Die fortdauernde Inhaftierung der Familie C. ist untragbar. Die Familie wird mitsamt ihren Kindern einer unerträglichen psychischen Belastung ausgesetzt. Die Mutter ist suizidal, der traumatisierte Vater leidet unter nächtlichen Panikattacken und ist psychisch nicht in der Lage, sich um die Familie zu kümmern, und die Kinder werden durch die Erlebnisse in der Haft schwer traumatisiert.
Der Umgang mit Asylsuchenden am Flughafen Willy Brandt, dessen Namensgeber selbst Asyl vor dem Naziregime suchen musste, ist eine Schande für Berlin und Brandenburg.
Wir fordern die Länder Berlin und Brandenburg auf,
• die Haftanstalt für Asylsuchende am Flughafen Willi Brandt umgehend aufzulösen.
Wir fordern die Bundespolizei und das BAMF auf,
• Familie C. mit sofortiger Wirkung aus der Asylhaftanstalt zu entlassen, die Einreise zu gewähren sowie
• eine Wiederholung der Asylanhörung unter fairen Bedingungen und in Freiheit mit der Möglichkeit einer vorherigen anwaltlichen Beratung und fachärztlichen Diagnostik.