POTSDAM/BERLIN Der Streit um den enttarnten V‑Mann des brandenburgischen Verfassungsschutzes, den 27-jährigen Toni S.* aus Guben, wird immer bizarrer. Sicherheitsexperten aus Brandenburg schließen nicht mehr aus, dass die Enttarnung auf einer Verwechselung beruhte.
Ganz offensichtlich war die Berliner Polizeiaktion vorrangig gegen den Kopf der Neonazi-Band “White Aryan Rebels” gerichtet, die auf ihrer CD “Noten des Hasses” zum Mord an Michel Friedman, Rita Süssmuth, Alfred Biolek und anderen Prominenten aufruft.
Fälschlicherweise, vermutet der Insider, hätten die Berliner Behörden Toni S. als Anführer ausgemacht und nicht den vorbestraften Lars B. Der etwa 40-jährige Berliner zählt seit mehr als zehn Jahren zu den Top-Neonazis der Hauptstadt. Nach einer Analyse des Berliner Zentrums für demokratische Kultur hatte er zeitweilig fünf der acht rechtsextremistischen Kameradschaften “unter seiner Kontrolle”. Dies sind auf den ersten Blick lose Zusammenschlüsse von Rechtsextremisten, die jedoch “zum Teil sehr straff durchorganisiert” sind und sehr stark untereinander kooperieren.
Zuvor war B. der Berlin-Chef der 1995 verbotenen neonazistischen Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei (FAP). Wegen eines Überfalls, bei dem ein Opfer erblindete, wurde B. seit Sommer 1992 von der deutschen Polizei gesucht. Er nutzte seine internationalen Neonazi-Kontakte zur Flucht nach Norwegen, wo er schließlich festgenommen wurde. Für brandenburgische Sicherheitskreise ist Lars B. der Kopf der “White Aryan Rebels”. “Der schrieb die Texte”, heißt es.
Der märkische V‑Mann ist jedoch kein unbeschriebenes Blatt. Er sei “ein absolut Krimineller”, sagt ein Insider, “ein durch und durch überzeugter Neonazi”, der unter anderem wegen Körperverletzung vorbestraft ist.
Die Staatsanwaltschaft Cottbus ermittelt seit März 2001 gegen Toni S., wie der Leitende Oberstaatsanwalt Wilfried Robineck gestern bestätigte. Vorgeworfen werden dem 27-Jährigen Volksverhetzung sowie das Verwenden von Zeichen verfassungswidriger Organisationen. In die Ermittlungen der Cottbuser Staatsanwaltschaft wurde im vergangenen Jahr auch das brandenburgische Landeskriminalamt eingebunden. Bei den Ermittlungen stellte sich heraus, dass S. “bestimmte Beziehungen zum Verfassungsschutz unterhielt”, räumte der Sprecher der Cottbuser Staatsanwaltschaft, Günter Oehme, ein. Für die Ermittlungen gegen S. habe diese Erkenntnis jedoch keine Folgen gehabt. “Wir haben das Verfahren normal weiterbetrieben.”
Toni S. führt seit Ende der 90er Jahre ein Bekleidungsgeschäft namens “Top One” in Guben. Auf einem Schild an der Tür steht “Hate Crime” (Hassverbrechen). Nach Informationen intimer Kenner der Gubener Neonazi-Szene war das “Top One” ein geheimer Treffpunkt der rechtsextremen Szene. “Im Hinterzimmer trafen sich NPD-Leute und Skinheads.” Unter der Ladentheke seien auch Nazi-CDs und Aufnäher verbotener rechtsextremer Organisationen verkauft worden. Bei Überfällen in jüngerer Zeit sei Toni S. allerdings nicht in Erscheinung getreten.
Angesichts der Ermittlungen der Cottbuser Staatsanwaltschaft sei das Verhalten der Berliner Justizbehörde, das zur Enttarnung des V‑Manns führte, “unglaublich”, schimpft der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU-Fraktion im Potsdamer Landtag, Dierk Homeyer. Die Berliner Behörden versuchten, den brandenburgischen Behörden die Schuld an der V‑Mann-Pleite zuzuschieben.
*S. war in einigen Ermittlungsberichten bislang Thilo genannt worden, sein wirklicher Name ist jedoch Toni.