(BM)Jeder zehnte Berliner überlegt, bei den nächsten Wahlen seine Stimme einer
rechtsextremen Partei zu geben. Etwa sechs Prozent der Hauptstädter haben ein mehr
oder weniger gefestigtes rechtsextremes Weltbild. In Brandenburg liegen die Zahlen
zum Teil weitaus höher.
Das geht aus einer Untersuchung zum Thema Rechtsextremismus in Berlin und
Brandenburg hervor, die Wissenschaftler der Freien Universität (FU) in
Zusammenarbeit mit dem Meinungsforschungsinstitut Forsa über mehrere Monate hinweg
durchgeführt haben. Gestern stellten Vertreter der FU gemeinsam mit Forsa-Chef
Manfred Güllner die Ergebnisse der Untersuchung vor.
Wie FU-Professor Oskar Niedermayer dabei erläuterte, wurden 2000 Berliner und
Brandenburger befragt. Dabei legten die Initiatoren der Befragung sechs Kriterien
für ein rechtsextremes Weltbild fest: Befürwortung einer rechtsautoritären Struktur,
übersteigerter Nationalismus, Ausländerfeindlichkeit, Antisemitismus,
Sozialdarwinismus und Verharmlosung des Nationalsozialismus.
Zu jedem Kriterium wurden die Befragten mit einer These konfrontiert, die sie
befürworten oder ablehnen konnten. Die Antworten ergaben zum Teil ein erschreckendes
Bild. Beispiel Sozialdarwinismus: Der provokanten These “Es gibt wertvolles und
unwertes Leben” stimmten 16 Prozent der Berliner und sogar 27 Prozent der
Brandenburger zu.
Auch die Zeit des Nationalsozialismus sehen, wie die Befragung ergab, etliche
Berliner und Brandenburger eher positiv. Zwölf Prozent aller Berliner (Brandenburg
24 Prozent) zeigten sich aufgeschlossen für die These, wonach es in Deutschland auch
heute wieder einen Führer geben sollte, der “zum Wohle aller mit harter Hand
regiert”. Und 15 Prozent der Befragten in der Hauptstadt sowie 20 Prozent der Märker
vertraten die Ansicht, der Nationalsozialismus habe auch seine guten Seiten gehabt.
Die Untersuchung machte darüber hinaus deutlich, daß Ausländerfeindlichkeit und
Antisemitismus weiterhin ein ernst zu nehmendes Problem sind. Der These “Die Juden
haben zuviel Einfluß”, Lieblingssatz aller Antisemiten, stimmte sowohl in Berlin wie
auch in Brandenburg jeder Sechste zu.
Noch höher lag die Zustimmung beim Kriterium Ausländerfeindlichkeit. “Wenn
Arbeitsplätze in Deutschland knapp werden, sollte man die Ausländer nach Hause
schicken”, lautete die These. Zustimmung gab es von 20 Prozent der Berliner und 31
Prozent der Brandenburger.
Bei der Studie wurde auch nach der Haltung zur Demokratie gefragt. Offen
antidemokratisch äußerten sich dabei drei Prozent der Berliner und fünf Prozent der
Brandenburger. Und jeder vierte Hauptstädter bekannte sich zwar grundsätzlich zur
Demokratie, befand allerdings, daß in der Praxis einiges im Argen liege.
Ungeachtet aller bei der Befragung zutage getretenen Symphatien für rechtsextremes
Gedankengut halten die Initiatoren einen großen Erfolg rechter Parteien bei den
nächsten Wahlen für eher unwahrscheinlich. “Die Untersuchung brachte das
überraschende Ergebnis, daß ein rechtsextremes Weltbild bei vielen Menschen nicht
automatisch auch zu einem entsprechenden Wahlverhalten führt”, begründete
FU-Professor Richard Stöss, Mitinitiator der Untersuchung, diese Auffassung.
Die Ergebnisse der Befragung geben ihm offenkundig recht. Befragt, welche Partei sie
wählen würden, gaben mehr als die Hälfte aller bei der Untersuchung als rechtsextrem
eingestuften Personen in Berlin an, für SPD (30 Prozent) , CDU (26 Prozent) oder PDS
(7 Prozent) zu stimmen.
Oft geäußerte Befürchtungen, der Rechtsextremismus infiziere immer häufiger junge
Menschen, wurden durch die Untersuchung deutlich widerlegt. Nur fünf Prozent der 15-
bis 25jährigen äußerten sich positiv zu den vorgebrachten Thesen. Bei den über
60jährigen waren es dagegen mehr als 15 Prozent. Eine weitere Erkenntnis der Studie:
Je höher der Bildungsstand, desto geringer die Anfälligkeit für rechtes Gedankengut.
Aufklärung gegen rechts
(BM)Die Ergebnisse der Rechtsextremismus-Umfrage unter 2000 Berlinern und Brandenburgern
sind besorgniserregend. Denn immerhin tragen sich zehn Prozent der Befragten mit dem
Gedanken, ihre Stimme bei der nächsten Wahl einer rechtsextremen Partei zu geben.
Erschreckend ist auch, wie viele Menschen Thesen auf den Leim gehen, die
antisemitisch und ausländerfeindlich geprägt sind oder den Nationalsozialismus
verherrlichen. Ohne einer tiefergehenden Ursachenforschung vorgreifen zu wollen,
liegt es auf der Hand, wie dieses Problem angegangen werden muß: Mit historischer
Aufklärungs- und politischer Bildungsarbeit. Die sollte schon in den Schulen viel
intensiver betrieben werden. Aber auch die demokratischen Parteien täten gut daran,
Ursachen, Realität und Folgen des Nationalsozialismus stärker zu thematisieren.
Schließlich ließen jüngst sogar mehrere Bezirksbürgermeister (alle Mitglieder in
großen Volksparteien) auf diesem Gebiet Wissenslücken erkennen.
Braunes Gedankengut
(Berliner Zeitung)Für ihre Studie befragten die beiden Politik- und Sozialwissenschaftler
Richard Stöss und Oskar Niedermayer 2 000 Menschen. Jeweils rund 500 davon
kamen aus Ost- und aus WestBerlin, aus dem “Speckgürtel” direkt um Berlin
und aus den stadtfernen Teilen des Landes Brandenburg.
In Berlin stellten sie dabei keine Unterschiede in der Verteilung rechts-
extremer Weltbilder fest: sechs Prozent in Ost und West. In dem Teil
Brandenburgs in der unmittelbaren Umgebung von Berlin liegt der Anteil der
Menschen mit einem rechten Weltbild bei neun Prozent, an den äußeren Grenzen
Brandenburgs bei 13 Prozent.
Das Wahlverhalten der Menschen mit rechtsextremer Gesinnung bildet sich in
Umfragen oft nicht korrekt ab. Auf die Frage, welche Partei sie am nächsten
Sonntag wählen würden, antworteten die meisten (30 Prozent) der Menschen mit
einem rechtsextremen Weltbild “SPD”. Andere Antworten gab es auf die weniger
direkte Frage “Würden Sie unter Umständen eine rechte Partei wählen?” Hier
bekannten sich 26 Prozent der Berliner und 31 Prozent der Brandenburger
Extremen zu ihrer Gesinnung.