<b<ausstellung vom 24.Juni bis 6.Juli 2002
im Foyer der Fachhochschule Potsdam, Alter Markt
Fußball ist ein massenwirksames Ereignis: Millionen Menschen spielen
selbst, Millionen verfolgen Fußball im Stadion oder am Bildschirm.
Vielleicht noch in der Kirche versammeln sich Woche für Woche so große
Menschenmassen an einem Ort. Kein Wunder, dass neonazistische Gruppierungen
seit den 80er Jahren immer wieder versuchen, Fan- und Hooliganszenen zu
unterwandern, um Nachwuchs zu rekrutieren. Politische und persönliche
Konflikte werden auf Minderheiten als Sündenböcke projiziert. An ihnen kann
verfolgt und bekämpft werden, was eigentlich an sich selbst verurteilt
wird.
Neonazis bieten einfache, aber barbarische “Lösungen” an, gaukeln
Übersichtlichkeit und Eindeutigkeit vor. Damit finden sie bei jugendlichen
Fußballfans Gehör. Während die Grenzen in der Europäischen Union
verschwunden sind und die Globalisierung voranschreitet, beginnen viele
Menschen sich auf Regionalismus und Nationalismus rückzubesinnen. Sie
beziehen sich auf Hautfarbe oder ethnische Besonderheiten — und sind
“stolz, ein Deutscher zu sein”, obwohl sie nichts dafür können, dass sie in
Deutschland geboren sind.
Fanszenen und Stadionkurven sind kein großer brauner Sumpf, doch die
Verwirrung ist groß: Die gewaltorientierten Hooligans sind nicht per se
Neonazis und umgekehrt. Skinheads nicht per se Neonazis und umgekehrt. Als
beispielsweise Duisburger Hooligans vorschlugen, die “Kinder-Glatzen” aus
dem Wedau-Stadion zu jagen, herrschte nur wenige Tage später Verbrüderung:
Mit Sprechchören wie “Wir sind wieder einmarschiert” und “Frankreich-
Überfall” zogen sie bei einem UI-Cup-Spiel 1998 gemeinsam durch das
französische Auxerre.
In manchen Fanszenen gibt es personelle Überschneidungen zwischen Hooligans
und Neonazis. Oder es ergeben sich Situationen, in denen eine diffuse
Solidarisierung entsteht — nicht selten mit dem kleinsten gemeinsamen
Nenner: Gewalt. Aber Hooligans provozieren nicht nur gern mit
diskriminierenden Sprüchen. Die Verbindung zu Neonazis liegt im
chauvinistischen, oftmals nationalistischen Weltbild, im aggressiven
Härteideal und in der Männerbündelei. Ähnlich wie neonazistische Skinheads
sind Hooligans das ungeliebte Zerrbild einer “Erfolgsgesellschaft”.
Beide Gruppierungen verbindet eine Brutalität, die oftmals durch die
Sprache der Presse und des Fernsehens oder durch das Verhalten einzelner
Spieler, Trainer und Funktionäre gespiegelt wird. Der Gegner wird
ausgeschaltet, vom Platz gefegt, nieder- oder kampfunfähig gemacht. Spieler
sind Leitwölfe und Zerstörer, hart und kaltblütig, die “sich den Arsch
aufreißen” (Lothar Matthäus), um mit der Brechstange und “Granaten” aufs
Tor um jeden Preis zu siegen. Klaus Kocks, PR-Manager bei VW, ist im
Wirtschaftskrieg lieber “eine Art Hooligan der feineren Stände” (“Süddt.
Zeitung”) als “Muckefuck-Trinker”. Ebenso kämpft Leo Kirch als Medien-
Hooligan mit rücksichtsloser Ellenbogenmentalität für ein Monopol der
Fußball-TV-Rechte. Alle zusammen setzen sich mit ihren Mitteln,
Möglichkeiten und einfachen “Wahrheiten” gnadenlos gegen potentielle
Konkurrenten durch, im Notfall bis zur Vernichtung.
Nicht nur Medien, Funktionäre, Trainer und Spieler können als Beschleuniger
von rechten Ressentiments und Gewalt wirken, sondern auch die Tagespolitik.
Es entsteht eine Wechselwirkung.
So wie die Beschneidung des Asylrechts durch Innenminister Manfred Kanther
Ende der 90er Jahre und ihre rigorose Fortführung durch seinen Nachfolger
Otto Schily den gesellschaftlich tolerierten Alltagsrassismus verstärken,
hatte vor dem Türkei-Länderspiel 1983 der Berliner Innensenator Heinrich
Lummer Öl in Feuer gegossen. Angelehnt an die Bonner “Rückführungskampagne”
hatte er die Losung “Berlin muss deutsch bleiben” ausgelobt und behauptet,
der Unterschied zwischen Türken und Deutschen beginne schon beim Geruch.
Bis heute werden “Ausländer” zunehmend danach beurteilt, ob sie nützlich
für “das Land” sind.
Solche Politik ist das Schmierfett im Getriebe der Fremdenangst und des
Rassismus in Deutschland. Mitläuferische, vor allem jugendliche Fußballfans
können sich so durchaus als vollstreckende Speerspitze der Gesellschaft
fühlen. In vielen Fällen können sie sich rechtfertigen, lediglich das offen
auszusprechen und umzusetzen, was “die da oben” oder sogar Familien am
Küchentisch verbreiten.
Der allgemeine Rechtsruck seit der Wiedervereinigung hat mit offenem
Nationalismus und neoliberalen Krisenstrategien bis heute zur Etablierung
einer rechten Jugendkultur geführt. Nach neonazistischen Ausschreitungen
deutscher Hooligans beim Länderspiel Polen — Deutschland 1996 bestätigte
Frederik Holtkamp, damaliger Polizeisprecher der “Zentralen Sammelstelle
Sport”, in der “Frankfurter Rundschau”: “Das sind im Grunde genommen keine
Probleme der Polizei, sondern der Gesellschaft. Wir stehen nur am Ende der
Kette und müssen für die Dinge gerade stehen, die durch die Politik
verursacht werden.”
Tatort Stadion ist — ohne Anspruch auf Vollständigkeit — ein erster
Versuch, Rassismus und Diskriminierung im deutschen Fußball in ihren
Tendenzen, Kontinuitäten und ihrer Militanz nachzuzeichnen. Tatort Stadion
ist ein Beginn sozialhistorischer Aufarbeitung, die eine ständige
Fortschreibung erfordert.
Tatort Stadion greift aber auch Gegenbewegungen in den Fanszenen, Vereinen
und Verbänden auf. Faninitiativen und Fanzeitungen zeigen kreative
Alternativen auf, wie antirassistisches und antidiskriminierendes
Engagement in Stadien aussieht und der menschenverbindende Charakter des
Fußballs genutzt wird.
Ziel von Tatort Stadion ist es, Fußballfans, Interessierte und besonders
Jugendliche; aber auch Verbände, Vereine und die Öffentlichkeit für das
Problem von Rassismus und Diskriminierung in den Stadien weiter zu
sensibilisieren. So kann eine Grundlage geschaffen werden, rassistische und
rechtsextreme Strömungen in den Fankurven effektiv zu bekämpfen.
Furore um die Ausstellung
Nach der Eröffnung der Ausstellung fand sich “Tatort Stadion” wochenlang
auch außerhalb der Sportseiten in den Schlagzeilen. Insbesondere die
Schilderung rechtsextremistischer Vorfälle bei Länderspielen der deutschen
Nationalmannschaft in den letzten Jahren und eine Schautafel mit Zitaten
des DFB-Präsidenten Gerhard Mayer-Vorfelder sorgte für Verärgerung beim
DFB. Der DFB behauptete, die Zitate wären aus dem Zusammenhang gerissen und
drohte, die bereits zugesagte Unterstützung der Ausstellung mit 10.000 DM
zurückzuziehen. Die Fußballfunktionäre versuchten damit Einfluß auf die
inhaltliche Gestaltung von “Tatort Stadion” zu nehmen. BAFF bot an,
eventuelle Ergänzungen oder Klarstellungen zu den Zitaten in die
Ausstellung aufzunehmen. Dies lehnte der DFB ab. So bleibt bis heute
fraglich, in welchem Zusammenhang z.B. der 1989 von Mayer-Vorfelder
geäußerte Satz “… Was wird aus der Bundesliga, wenn die Blonden über die
Alpen ziehen und statt dessen die Polen, diese Furtoks und Lesniaks,
spielen?…” nicht rassistisch aufgefaßt werden könnte. Letztlich
zog der
DFB nicht nur seine Unterstützung zurück, sondern forderte auch die Vereine
der 1. und 2. Bundesliga auf, die Ausstellung nicht zu unterstützen.
Während der Hertha BSC-Torjäger Michael Preetz seine Funktion als
Schirmherr zurückzog, hat Bundestagspräsident Wolfgang Thierse keinen Anlaß
gesehen, die Schirmherrschaft für “Tatort Stadion” aufzugeben.
Fankultur in Potsdam
Eine besondere Tafel der Ausstellung beschäftigt sich mit der Babelsberger
Fankultur.
Seit Jahren hat sich im Umfeld des SV Babelsberg 03 eine unabhängige,
emanzipierte Fankultur herausgebildet, die sich gegen rassistische
Tendenzen im Karl-Liebknecht-Stadion und eine weitere Kommerzialisierung
des Fußballs wendet.
Babelsberger Fans beteiligten sich an Aktionen der bundesweiten
Faninitiative Pro 15:30, die sich für fanfreundliche einheitliche
Anstoßzeiten der Bundesligaspiele einsetzt und erreichten Teilerfolge mit
Protesten gegen Eintrittspreiserhöhungen für die Heimspiele des SV
Babelsberg 03 in der 2.Bundesliga.
Bundesweit in die Schlagzeilen geriet das DFB-Pokalspiel des SV Babelsberg
03 gegen Hertha BSC am 25.08.2001. Während Herthafans während des Spieles
den Hitlergruß zeigten und rechtsextreme Parolen skandierten, drängte die
Polizei den Babelsberger Fanblock ab, der “Nazis raus” rief. Auch nach dem
Spiel ließ die Polizei die rechten Herthafans gewähren und räumte statt
dessen ein alternatives Wohnprojekt, von dem aus die Herthafans angeblich
provoziert wurden. In den Wochen nach dem Spiel recherchierten Fans
gemeinsam mit antirassistischen Gruppen den Polizeieinsatz und machten die
offensichtliche Duldung rechter Pöbeleien und Übergriffe durch die Polizei
öffentlich zum Thema. Ein Fanspaziergang und eine Demonstration “Farbe
bekennen heißt Dinge beim Namen nennen: Gegen Rassismus und Polizeigewalt”
wurden maßgeblich durch Babelsberger Fans getragen.
Zum 2. Mal findet am 29.06.02 das Antirassistische Stadionfest “Der Ball
ist bunt” statt. Neben einem attraktiven Rahmenprogramm mit Theater,
Konzerten, Seifenkistenrennen, Spielen und Informationsständen stehen
natürlich das große Fanklubturnier und das Jugendturnier im Mittelpunkt des
von Babelsberger Fans organisierten Fußballfestes. Ein weiterer Höhepunkt
ist diesmal das Freundschaftsspiel des SV Babelsberg 03 gegen Borussia
Mönchengladbach.
Die Ausstellung “Tatort Stadion. Rassismus und Diskriminierung im Fußball”
vom 24.06. bis 6.Juli 2002 in Potsdam wird organisiert und betreut von:
Bündnis Aktiver Fußballfans e. V.
Football Against Racism in Europe
Heinrich-Böll-Stiftung Brandenburg e.V.
Fanzeitung ABSEITS
03-Fans gegen Rechts
FC Munke
Stehplatz-ermäßigt
Filmstadt Inferno 99
FC Rhoter Rhombus
Faninitiative PRO 15:30
Nähere Informationen zur Ausstellung unter www.tatort-stadion.de
Auf Wunsch bieten wir auch Führungen an.
Anfragen: telefonisch unter 0177–876 79 69 oder an webmaster@stehplatz-ermaessigt.de