In Potsdam begann der erste Terrorprozess in der Geschichte des Bundeslandes. Schwere Vorwürfe gegen zwölf junge Rechtsextremisten
Potsdam — Sie sehen nicht aus wie harte Nazis. Keine Glatzen, keine Stiefel, keine Bomberjacken. Zwölf Jünglinge treten im Gebäude des Potsdamer Amtsgerichts auf, die Haare sind gegelt, manchmal auch halblang, bei der Bekleidung dominiert Sportswear ohne einschlägige Aufschrift. Der jüngste ist gerade 16 Jahre alt, der älteste 20. Doch harmlos ist das Dutzend aus der Region Nauen, die meisten sind Schüler und Auszubildende, offenbar nicht. Die Generalstaatsanwaltschaft nennt die Clique eine rechtsextreme Terrorgruppe. Seit gestern müssen sich die zwölf mutmaßlichen Mitglieder vor dem Brandenburger Oberlandesgericht verantworten, das aus Platzgründen in den großen Saal des Potsdamer Gerichts gekommen ist. Der prächtig renovierte Altbau ist nun die Kulisse für den ersten Terrorprozess in Brandenburg.
Oberstaatsanwalt Eugen Larres trägt die Anklage vor. Die Angeschuldigten hätten sich 2003 zu der rechtsextremen Kameradschaft „Freikorps” zusammengeschlossen, um Brandanschläge auf ausländische Restaurant- und Imbissbetriebe zu verüben. Mit dem Ziel, die wirtschaftliche Existenz der Betroffenen zu vernichten und somit sie und Ausländer überhaupt aus der Region Nauen zu vertreiben. Dann zählt der Oberstaatsanwalt auf: Von August 2003 bis Mai 2004 brannten in Nauen, Brieselang, Falkensee und Schönwalde fünf vietnamesische und türkische Imbisse und Restaurants.
Angezündet wurde auch ein von Vietnamesen geführtes Textilgeschäft in Nauen. Zwei Imbisse und ein Restaurant wurden sogar je zweimal heimgesucht. Und in einem Fall weitete sich das Feuer zum Großbrand aus. Als in der Nacht zum 31. August 2003 in Nauen der Imbisswagen des Vietnamesen Lan Hoang Thi angezündet wurde, griffen die Flammen auf den nahen „Norma”-Verbrauchermarkt, einen Getränkegroßmarkt und ein Einzelhandelsgeschäft über. Allein bei diesem Brand entstand ein Schaden in Höhe von mehr als einer halben Million Euro. Die Schäden aller Anschläge summieren sich sogar auf über 600 000 Euro. Nur durch Zufall kamen keine Menschen zu Schaden.
Den mit 20 Jahren ältesten Angeklagten, Christopher H., hält die Generalstaatsanwaltschaft für den Rädelsführer. H. soll im Sommer 2003, nur Monate vor seinem Abitur, zehn Angeklagte zur Gründung des „Freikorps” versammelt haben. Folgt man der Anklage, hat H. auf freiem Feld eine pubertär-martialische Zeremonie veranstaltet. Mit deutscher Gründlichkeit: Die Rechtsextremisten wählten einen Schriftführer und einen Kassierer.
Christopher H. ist der Einzige, der gestern aus der Untersuchungshaft vorgeführt wird. Der schmächtige Mann mit dem Mittelscheitel sieht blass aus, doch die Miene signalisiert Trotz. Die meisten Angeklagten waren bei der Polizei geständig. Einer gibt auf dem Gerichtsflur auch zu, er sei schuldig. Aber er bleibt dabei: In Brandenburg seien die Ausländer „zu ville”. Da erscheint der Erziehungsbedarf offenkundig. Die Vorsitzende Richterin des Staatsschutzsenats, Gisela Thaeren-Daig, schließt denn auch nach Verlesen der Anklageschrift die Öffentlichkeit aus. Im Interesse der Erziehung der Angeklagten müsse eine Stigmatisierung, vor allem in den Medien, verhindert werden.
Terror-Prozess gegen zwölf Neonazis
600 000 Euro Sachschaden durch zehn Brandanschläge
POTSDAM. Die Anklagebänke erinnern an eine Abschlussprüfung in der Schule: vier Reihen, jeweils drei Plätze und dazwischen immer ein Platz frei. Auch die zwölf Angeklagten sehen aus wie harmlose Schüler: linkische Bewegungen, modisch gegelte Haare, Jeans, Sweat-Shirts. Einer trägt auf dem T‑Shirt das Wort “Rebel”. Keiner ist äußerlich als Neonazi zu erkennen. Und doch werden die heute 16- bis 20-Jährigen aus dem Kreis Havelland am Montag vom Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts als erste Brandenburger Neonazi-Gruppe wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung angeklagt. Wegen der vielen Angeklagten ist das Gericht extra in den größten Saal des Potsdamer Amtsgerichts gezogen.
Der Staatsanwalt verliest die Anklageschrift. Sie wirft den jungen Männern vor, zwischen Juni 2003 und Mai 2004 zehn Brandanschläge gegen Restaurants und Imbisse von Ausländern in und um Nauen gemeinsam geplant und in unterschiedlicher Besetzung auch verübt zu haben. Gesamtschaden: 606 400 Euro, verletzt wurde niemand. Um ihre Anschlagsserie zu verüben, sollen sich die Angeklagten in den Sommerferien 2003 zur Terrorgruppe “Freikorps” zusammengeschlossen haben. Ziel sei “die Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz” der Imbissbetreiber gewesen, damit diese “aufgeben” und die Region verlassen. Die Anschläge sollten ein “Fanal” zur Vertreibung von Ausländern sein, sagt der Vertreter der Generalstaatsanwaltschaft. Alle Angeklagten hätten aus ausländerfeindlichen Motiven heraus gehandelt und wollten ihre Aktionen auf das gesamte Havelland ausdehnen.
Öffentlichkeit ausgeschlossen
Der Chef der rechtsextremen Kameradschaft soll der heute 20-jährige Abiturient Christopher H. sein — der Einzige, der in Untersuchungshaft sitzt. Bei der Gründung der Gruppe soll im “Protokoll” auch ein Schriftführer und ein Kassierer benannt worden sein, der einen monatlichen Mitgliedsbeitrag von fünf Euro sammelte — zum Kauf von “Benzin für die Brandsätze und die Fluchtfahrzeuge”. Einige der Angeklagten hätten sich nicht an der Ausführung der Anschläge beteiligt, sondern nur an der Planung und an der “Beschaffung von Alibis”, sagt der Staatsanwalt.
Als er die Anklage verlesen hat, beantragen einige Verteidiger, die Öffentlichkeit aus diesem Jugendprozess wegen des geringen Alters der Angeklagten auszuschließen. Da acht der Angeklagten zur Tatzeit noch Heranwachsende waren — sie hatten das 18. Lebensjahr nicht vollendet — und die vier anderen nicht viel älter waren, werden die Medienvertreter aus dem Gerichtssaal geschickt. Die Vorsitzende Richterin Gisela Thaeren-Daig begründet dies damit, dass sich einige der Angeklagten in speziellen Erziehungsprogrammen befinden, deren Erfolg nicht gefährdet werden soll. Bis zur Urteilsverkündung am 14. Februar sind elf weitere Prozesstage vorgesehen und 60 Zeugen geladen.
Terrorbande vor Gericht
Junge Neonazis wollten Ausländer aus Brandenburg vertreiben
POTSDAM/NAUEN Christopher H. aus Pausin bei Nauen im Havelland hinterließ nicht den Eindruck, den man sich von mutmaßlichen Rädelsführern rechtsextremer Terrorbanden zu machen geneigt ist, als der 20-Jährige, blass und schmächtig, gestern früh den wuchtig wirkenden, großen Verhandlungssaal des Amtsgerichts betrat.
Vor dem in Potsdam tagenden 1. Strafsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts (OLG) unter Vorsitz von Gisela Thaeren-Daig müssen sich der Abiturient und elf jüngere Mitangeklagte im Alter von 16 bis 20 Jahren gegen den in Brandenburg einmaligen Vorwurf verteidigen, eine terroristische Vereinigung gegründet zu haben. Mit Rücksicht auf deren Jugend und erhoffte Erziehbarkeit wurde die Öffentlichkeit nach Verlesen der Anklage von dem Prozess bis zum Ende der Beweisaufnahme für vermutlich mehrere Wochen ausgeschlossen.
Nach Überzeugung der Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg hatte Christopher H. die Untergrundorganisation “Freikorps” in den Sommerferien 2003 mit dem Ziel gegründet, Brandanschläge auf Imbisse ausländischer Betreiber zu verüben. Die jungen Neonazis wollten die wirtschaftliche Existenzgrundlage de
r Besitzer vernichten. Die durch die Anschlagsserie letztlich flächendeckend erzeugte Angst sollte Ausländer zum Wegzug nicht nur aus der Region Nauen, sondern schließlich aus ganz Brandenburg bewegen. Bei den neun Brandanschlägen, die “Freikorps”-Mitglieder zwischen August 2003 und Mai 2004 in Nauen, Falkensee, Brieselang und Schönwalde verübten, entstand ein Sachschaden von schätzungsweise 600 000 Euro. Menschen gerieten nicht in Gefahr. Personenschäden hätten auch den Zielen der Satzung widersprochen, die sich die Neonazis gegeben hatten.
Der außergewöhnliche Organisationsgrad macht die Kameradschaft für die Generalstaatsanwaltschaft zu einer Terrorvereinigung. In einem von allen Mitgliedern unterzeichneten Gründungsprotokoll wurden die Funktionsträger bestimmt. Die heute 18-jährigen Patrick P. und Michael R. wurden zum Schriftführer und Kassierer gewählt. Ferner wurde ein Monatsmitgliedsbeitrag von fünf Euro festgesetzt. Mit den Einnahmen sollte Benzin gekauft werden, das man für die Fluchtfahrzeuge sowie zur Herstellung der Brandbomben benötigte, wie Oberstaatsanwalt Eugen Larres ausführte.
Die Vorzüge der Gruppenstruktur wurden von den Neonazis auch bei Planung und Durchführung der Anschläge bedacht. Laut Staatsanwaltschaft wollten nicht alle Freikorps-Mitglieder Brände legen. Die, denen das zu gefährlich erschien, wollten Fahrdienste leisten und Attentäter mit falschen Alibis unterstützen. Um den Verdacht zu streuen, sollten Anschläge jeweils von unterschiedlichen Mitgliedern verübt werden.
Die Attentäter gingen zunehmend professionell vor. Nur bei ihrem ersten Anschlag auf einen Asia-Imbiss in Nauen blieb es beim Versuch, weil die damals 17 und 18 Jahre alten Täter kein Gerät mit sich führten, um die vergitterte Tür und vernagelte Fenster des Imbisses aufzubrechen. Sie konnten den von Christopher H. gemixten Brandsatz deshalb nicht in das Innere der Bude schleudern und mussten ihren Plan aufgeben. Aus diesem Fehlschlag lernten die jungen Neonazis jedoch. Bei späteren Anschlägen hatten sie Hammer, Glasschneider und Brecheisen dabei.
Mit welcher Energie und Rücksichtslosigkeit die “Freikorps”-Mitglieder ihren Fremdenhass in Attentaten entluden, zeigte sich besonders deutlich nach ihrem zweiten Anschlag. In der Nacht auf den 31. August 2003 ging in Nauen nicht nur der Imbisswagen eines vietnamesischen Betreibers in Flammen auf, sondern auch der angrenzende Supermarkt. Der Schaden betrug mehr als 500 000 Euro und war unerwartet groß. Dennoch beschloss die Gruppe lediglich, bis zu neuen Anschlägen eine Weile zu warten. Von den im “Freikorps”-Gründungsprotokoll beschriebenen Zielen, Ausländer zunächst rund um Nauen wirtschaftlich zugrunde zu richten, rückten die jungen Neonazis jedoch nicht ab. Rädelsführer H. soll vielmehr versucht haben, den Zusammenhalt der Gruppe zu festigen und neue Mitglieder anzuwerben.