Potsdam — Am 30.10.2004 knallte es an der Langen Brücke in Potsdam. An diesem Tag wollten Neonazis durch die Innenstadt marschieren. Die Polizei versuchte den Protest gegen den Aufmarsch mit Gewalt zu unterbinden woraufhin entschlossene Antifaschist_innen sich mit Steinen, Flaschen und Pyrotechnik zur Wehr setzten. Kleinere Barrikaden wurden gebaut und Polizeifahrzeuge entglast. Wegen weiträumiger Polizeiabsperrungen marschierten die Neonazis letztendlich nach Potsdam-Babelsberg. Das Konzept ist also nur zur Hälfte aufgegangen.
FINGERMALFARBEN
Die bürgerlichen Proteste waren im Jahr 2004 noch symbolischer Art, wie beispielsweise ein „Toleranzfest“, das Basteln von großen Puppen oder mit dem Besen hinter den Neonazis hinterherzufegen — logischerweise verhinderten sie damit rein gar nichts. Aus der Erfahrung, dass Protest fernab des Geschehens kein erfolgversprechendes Konzept ist und es allein der Potsdamer Linken zu verdanken ist, dass der faschistische Aufmarsch nicht ungehindert durch die Innenstadt ziehen konnte, zog das „Potsdam bekennt Farbe“-Bündnis einen entscheidenden Schluss. Aus den damals durch die Regionalpresse geisternden Bildern eines „brennenden“ Potsdams schlossen sie, dass man den linken Chaoten nicht das Feld (des Ruhmes im antifaschistischen Kampf) überlassen könne. Sie stellten sich einem weiteren Neonaziaufmarsch im Jahr 2005 direkt entgegen und blockierten schlussendlich die Route und Seitenstraßen. Was die Potsdamer Politik in ihrem „Siegestaumel“ zu erwähnen vergaß: die angereisten Neonazis führten, wiederum massiv geschützt durch die Polizei, in Berlin einen Aufmarsch durch.
FEHLFARBEN
Es lässt sich feststellen, dass Neonazis, ihr Umfeld und die von ihnen begangenen Gewalttaten und Propagandaaktionen, oft erst spät zu einem „offiziellen“ Problem in Potsdam werden. Üblicherweise sind es linke Gruppierungen und Einzelpersonen, die auf derartige Probleme aufmerksam machen, lange bevor sie das bürgerliche Potsdam wahrnimmt. So wurde im Jahr 2005 der sogenannten „summer of hate“, welcher aus fast täglichen massiven gewalttätigen Naziübergriffen bestand, in der öffentlichen Wahrnehmung erst zu einem Problem, als sich linke Jugendlichen dagegen wehrten und versuchten den Neonazis Paroli zu bieten. Doch nun verschob sich die Wahrnehmung von der „Auseinandersetzung zwischen rivalisierenden Jugendgruppen“ hin zu einer angeblich von links ausgelösten „Gewaltspirale“. Dass die Stadt Potsdam ein massiven Problem mit Neonazis hat, wurde erst aufgrund intensiven linken Engagements öffentlich anerkannt.
Auch an einem jüngeren Beispiel wird die Strategie der Stadt Potsdam deutlich, Probleme mit Neonazis totzuschweigen, bis diese zu offensichtlich werden und den Ruf als „weltoffene Stadt“ gefährden, um sich dann an die Spitze des Protestes zu stellen. Schon zu Beginn des Jahres 2010 warnten antifaschistische Gruppen vor einem Wiedererstarken der Neonazi-Szene in Potsdam, das einher gehe mit gewalttätigen Übergriffen. Erst Ende 2011, nach einer Vielzahl von weiteren Übergriffen und einem Fackelzug der Neonazis durch Waldstadt, nahm sich das Bündnis „Potsdam bekennt Farbe“ dieses Problems, wiederum mit einer rein symbolische Aktion, an. Ein „Waldstadtspaziergang“ mit den Spitzen der Stadtpolitik in der ersten Reihe wurde organisiert, damit auch sie mal “Farbe bekennen können” um sich damit den Vorwurf der Untätigkeit vom Hals zu halten. Dass Neonazis während dieser Demonstration Fotos von antifaschistischen Jugendlichen gemacht haben und ins Internet stellten – keiner weiteren Erwähnung wert. Einzige Schlussfolgerung der Politik aus dieser Demonstration: Ein Toleranzfest muss her und zwar in Waldstadt.
Aufgrund des geplanten Neonaziaufmarschs am 15.09. wird nun auch diese einzige Form des längerfristiges Engagement der Stadt in Potsdam-Waldstadt ausfallen, da sie sich mit ihrem Toleranzfest den Neonazis am Hauptbahnhof in den Weg stellen will. Ob diese Strategie aufgehen wird, liegt hauptsächlich an der Frage, welche Taktik die Polizei an diesem Tag fahren wird. Wird sie ihre Zusage einhalten, keine „Hamburger Gitter“ zu verwenden um die Neonazis und ihre Route von Protesten abzuschirmen? Wird sie gewalttätig Straßenblockaden auflösen? Wird sie, um den Neonaziaufmarsch ungestört durch die Stadt marschieren zu lassen, die halbe Stadt absperren? Wird sie den Potsdamer Sonnenkönig und Oberbürgermeister Jakobs genauso gewalttätig abräumen wie sie es mit Protestierenden in Neuruppin tat? Wir wissen es nicht, aber diese strategischen Überlegungen zur Verhinderung des NPD-Aufmarsches sind unserer Ansicht nach auch nicht der springende Punkt. Für uns ist es viel entscheidender, warum derartige Bürgerbündnisse im Kampf gegen Neonazis versagen müssen.
BRAUN JA BRAUN SIND ALLE MEINE FARBEN
Um zu verstehen, warum der bürgerliche Staat im Kampf gegen rechte Gewalt und alltägliche Diskriminierungen hoffnungslos scheitert und auch der Protest wohlwollender Bürger_innen daran nichts ändern kann, wollen wir einen Blick auf den „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) werfen.
Die Tatsache, dass diese Neonazis über Jahre ihr mörderisches Unwesen treiben konnten, ist keinem Versagen des staatlichen Sicherheitsapparats (Polizei, VS, LKA) zuzuschreiben. Die von Nazis nach dem zweiten Weltkrieg aufgebauten Sicherheitsbehörden sind schon von ihrer Struktur und ihrer Zielsetzung her nicht in der Lage Neonazis Widerstand entgegen zu setzen. Sie scheitern mit diesem Anliegen nicht, weil sie groteske Fehler machen (beispielsweise einen Hellseher befragen oder selbst einen Döner-Imbiss eröffnen) sondern weil sie dieses Anliegen nicht haben, nicht haben können. In einem kapitalistischen System wie unserem schützen staatliche Sicherheitsbehörden die wirtschaftlichen Interessen der besitzenden Klasse. Dieser „Schutz“ wendet sich gegen Menschen, welche dieses Wirtschaftssystem angreifen wollen. Es sind eben nicht Neonazis mit ihrem „romantischen Antikapitalismus“, der letztendlich nur eine nationalisierte Variante des Kapitalismus darstellt, die diese Interessen radikal in Frage stellen. Im Gegenteil, sie nehmen die von dieser Gesellschaft produzierte Aufteilung in Arm vs. Reich, Weiße Hautfarbe vs. Schwarze Hautfarbe, Deutsche Großmutter vs. polnische Großmutter, als naturgegeben hin, als seien diese Spaltungen nicht von Menschen gemacht, sondern von Gott gegeben. Neonazis wurzeln ideologisch also im kapitalistischen System und überspitzen nur die in diesem System produzierte Weltsicht. Sie berufen sich positiv auf den deutschen Staat und fordern lediglich mehr völkisches Bewusstsein. Somit gelten sie in der Öffentlichkeit als fehlgeleitete Jugendliche, die ab und an mal über die Strenge schlagen, wohingegen auch die kleinste linke Gruppierung unter Terrorverdacht geraten kann. In diesem Zusammenhang ist es unmöglich die abgedroschene Phrase von dem blinden rechten Auge nicht zu bemühen. Seitdem die parlamentarische Demokratie in Deutschland angekommen ist bzw. zwangseingeführt wurde, sind es zumeist Linke, auf die sich staatliche Repression auswirkt. Denn sie kämpfen für die völlige Abschaffung des Staates als kapitalistisches Herrschaftsinstrument und fordern eine klassenlose und herrschaftsfreie Gesellschaft.
Aus diesen Gründen bleibt bürgerlich-demokratischer Protest gegen Neonazis hoffnungslos, solange nicht die tatsächliche kapitalistische Ideologie, sondern nur ihre zugespitzte Form kritisiert wird. Antifaschistische Kritik bedeutet, dass der deutsche Staat als das erkannt wird was er ist: Gewaltherrschaft. Und die Faschist_innen sind seine Kinder.
FARBE BEKENNEN
Eben diese Dimension beziehen Bürger_innen in ihre Proteste nicht mit ein. Sie feiern einfach nur die Vielfalt, Couscous neben Bratwurst, Conga-Trommel neben Klarinette, Regenbogenfahne neben Garnisonkirche. Aber selbst dieser Wunsch nach Vielfalt ist kapitalistisch strukturiert. Es ist nicht die Vielfalt als solche die gewünscht wird, sondern es ist Vielfalt die etwas „nutzt“, die etwas hermacht und die vorgezeigt werden kann – wie zum Beispiel ein multikultureller Markt, oder ein vietnamesisches Restaurant, oder eine Männer-Fußball-Weltmeisterschaft unter dem Motto „Die Welt zu Gast bei Freunden“.
Vielfalt entspricht in diesem Zusammenhang nicht einem Verständnis der verschiedenen Lebenszusammenhänge in welchen Menschen sich befinden, sondern einer statischen Rollenzuschreibung. Die von ihnen propagierte Vielfalt ist ein äußerst dehnbarer Begriff. So lässt sich ein Drecksblatt wie die Bild, eine deutlich nach rechts offene Partei wie die CDU, die unterschiedlichen Lebensrealitäten von Leiharbeiter_innen und der Unternehmensleitung, wunderbar in diese Ideologie einreihen. Nichts ist wirklich falsch, alles hat eine Berechtigung.
Tatsächliche Kämpfe um gesellschaftliche Anerkennung werden bagatellisiert und zum Ausdruck kultureller Verschiedenheit verniedlicht. So sind offiziell „gut integrierte“ Menschen dem rassistischen gesellschaftlichen Druck immer noch ausgesetzt – genauso wie es nach wir vor in einem Großteil von Deutschland schwierig ist als lesbi_schwul_trans-Pärchen Händchen haltend zu flanieren, oder mit einem Davidstern um den Hals tragend einkaufen zu gehen. Dies zu erkennen würde als Konsequenz erfordern, nicht nur alle paar Jahre gegen Neonazis auf die Straße zu gehen, sondern den Kampf gegen Ausgrenzung und Unterdrückung auf allen Ebenen mit allen Mitteln aufzunehmen.
FARBENLEHRE
Veränderung ist mit Kritik allein nicht zu schaffen. Sie kann nur durch praktisches Handeln erreicht werden. Dieses zu entwickeln, erfordert immer wieder Organisationserfahrungen. Deshalb rufen wir dazu auf, sich an den Protesten am 15.09.2012 zu beteiligen. Proteste gegen Nazis, in all ihrer politischen Begrenztheit, haben zumindest das Potential, Erfahrungen zu vermitteln, die einer wirklich antifaschistische Praxis den Weg bereiten, sei es die Ohnmachtserfahrung vor staatlicher Repression, die das Vertrauen in den bürgerlichen Rechtsstaat zu erschüttern vermag aber auch das Erfolgserlebnis, sich durchzusetzen, den Nazis den Weg abzuschneiden und der Polizei die Kontrolle der Situation zu entwinden.
Antifaschistische Praxis wollen auch wir am 15.09.2012, im Rahmen des linken Bündnisses “They shall not pass”, walten lassen und den Nazis kräftig in den Arsch treten.
Radikal, Dezentral, Phänomenal!
Ab 11.00 Uhr in der Innenstadt
Check: http://ak.antifa.cc & http://theyshallnotpass.blogsport.eu