Thierse ruft zu Protest gegen Neonazis auf
(MAZ) BERLIN/POTSDAM Bundestagspräsident Wolfgang Thierse hat an die CDU
appelliert, sich an den Protesten gegen den geplanten Neonazi-Aufmarsch
am 18. Juni in Halbe (Dahme-Spreewald) zu beteiligen. “Ich halte es für
wichtig, dass sich die Demokraten wehren und dass sie ihre Straßen und
ihre Plätze und ihre Gedanken und ihre Sprache gegen die Neonazis
verteidigen”, sagte Thierse am Wochenende. Er kündigte an, auf der
Gegenveranstaltung in Halbe zu sprechen. Thierse kritisierte die
Weigerung der CDU, sich an der Gegendemonstration mit dem lokalen
Aktionsbündnis zu beteiligen.
Zu ihr haben unter anderem SPD, PDS, Grüne und Gewerkschaften
aufgerufen. Auch Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) hat sein
Kommen zugesagt. Die CDU will nicht teilnehmen, weil eine solche
Demonstration den Rechtsextremisten nur ein unangemessenes Medienecho
verschaffe und zu den Organisatoren auch antidemokratische Kräfte wie
die DKP zählten. Seit Jahren versammeln sich Neonazis anlässlich des
Volkstrauertages zu einem “Heldengedenken” in Halbe. Dort liegt der
bundesweit größte Soldatenfriedhof, auf dem rund 23000 Tote der letzten
Kesselschlacht des Zweiten Weltkrieges begraben sind.
Brandenburgs CDU-Generalsekretär Sven Petke griff Thierse scharf an und
warf ihm vor, vom Versagen der Bundesregierung in der Auseinandersetzung
mit dem Rechtsextremismus ablenken zu wollen. SPD und Grüne trügen die
Hauptverantwortung für fünf Millionen Arbeitslose in Deutschland und
damit auch die Verantwortung “für diesen Nährboden des
Rechtsextremismus”. Obendrein sei die rot-grüne Koalition mit dem
NPD-Verbot “peinlich gescheitert”.
Kraftprobe in Halbe*
(Tagesspiegel) Wie ernst nimmt Brandenburgs Politik, wie ernst nimmt die CDU den Kampf
gegen den Rechtsextremismus? Die Frage ist berechtigt: Erneut wollen
Neo-Nazis am Sonnabend in Halbe aufmarschieren — aber die Koalition aus
SPD und CDU streitet über ihren Gegenkurs. Das ist besonders bedenklich,
weil die Neo-Nazis ein Exempel statuieren wollen: Im Mai beschloss der
Landtag ein Gesetz zum Schutz der Kriegsgräberstätten im Land. Einziger
Zweck: Braune Provokationen auf Deutschlands größtem Soldatenfriedhof zu
verhindern. Die “Lex Halbe” hat die Nazis angestachelt: Sie wollen sich
nun in der Nähe des Friedhofs, wo das Gesetz nicht greift, zum
“Heldengedenken” versammeln. Halbe soll jetzt erst recht ein
Wallfahrtsort für Extremisten werden.
Das zu verhindern, ist selbstverständliche Pflicht der Demokraten. Ein
breites gesellschaftliches Bündnis hat deshalb zu einer
Gegendemonstration aufgerufen. Bundestagspräsident Wolfgang Thierse wird
sprechen, Ministerpräsident Matthias Platzeck (beide SPD) kommt. Doch
CDU-Landeschef und Innenminister Jörg Schönbohm warnt vor einer
Beteiligung der Union. Ihm passt nicht, dass neben SPD, PDS, Grünen,
Gewerkschaften, Landessportbund und anderen auch DKP und KPD mit dabei
sind und die Neonazis ein “unangemessenes Medienecho” erhalten.
Überzeugend sind seine Argumente aber nicht: Kommt es nicht darauf an,
dass möglichst viele demonstrieren, die Nazis eine verschwindende
Minderheit sind? Und sorgt Schönbohm nicht selbst für ein ungutes
Medienecho, weil die Koalition bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus
wieder mal uneins ist?
Fest steht, dass entschlossener Kampfgeist der Demokraten gerade in
Brandenburg Not tut: Die rechtsextremistischen Straftaten nehmen zu, die
Szene wird gefährlicher. Wie passt das mit dem von Schönbohm geforderten
Boykott zusammen? Wo Tausende Bürger auf die Straße gehen, bleiben die
Nazis stecken — das haben der 13. Februar in Dresden und der 8. Mai in
Berlin gezeigt. Und schließlich: Wie verträgt sich Schönbohms Haltung
mit seiner eigenen Forderung nach einer zivilen Bürgerwehr, die dem
Rechtsextremismus entgegentreten muss?
Die Antworten ist Schönbohm bisher schuldig geblieben — auch seiner
eigenen Partei. Denn eine ganze Reihe von Christdemokraten teilt die
Ansichten ihres Parteichefs in dieser Frage nicht: So wollen
CDU-Kommunalpolitiker in Halbe gegen die Rechtsextremisten
demonstrieren. Die CDU-Hochschulministerin Johanna Wanka ermuntert als
Kreischefin von Dahme-Spreewald ihre Parteifreunde dazu, erwägt selbst,
sich dem Anti-Nazi- Zug anzuschließen. Es wäre auch mehr als merkwürdig,
wenn der von Schönbohms Union gänzlich boykottiert würde.