Verfassungsschutz will von Tatverdächtigen nie gehört haben. Antifaschisten kennen zumindest einen der beiden seit längerem. Ein Gespräch mit Paula Müller, Mitglied des AK Antifa Potsdam
F: Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm bleibt dabei, daß ein rechter Hintergrund bei dem Überfall am Ostersonntag in Potsdam nicht bewiesen sei. Er argumentiert unter anderem damit, daß die Tatverdächtigen nicht organisiert seien. Bekannt sind sie aber schon, oder?
Zumindest einer der Verdächtigen. Thomas M. ist in der Potsdamer Linken sehr wohl bekannt. Er ist häufig bei Prozessen gegen Neonazis aufgetaucht, zusammen mit den bekannten Neofaschisten Thomas S. und Matthias R. Das ist eine rechtsextreme Schlägerkombo, die häufig bei Gerichtsprozessen gegen Neonazis aufgetreten ist, um Zeugen und Opfer einzuschüchtern.
F: Es gibt Berichte, daß Thomas M. einen Bruder hat, der ihm zum Verwechseln ähnlich sieht. Könnten Sie einer Verwechselung unterliegen?
Nein. Es handelt sich um drei Brüder, die allesamt in der rechten Szene aktiv sind. Aber es ist relativ sicher, daß die Person, die bei den erwähnten Prozessen aufgetaucht ist, der Tatverdächtige Thomas M. ist.
F: Die beiden Festgenommenen sollen sich unter anderem im Umfeld eines Motorradklubs mit Kontakten zur Neonaziszene bewegt haben. Ist Ihnen der Klub bekannt?
Nein. Aber die beiden stammen aus Potsdams Türsteherszene. Hier in der Stadt gibt es schon länger ein Problem mit Türstehern, die rechte Ansichten haben und Migranten nicht reinlassen. Es kam auch vor, daß vor der Bühne ein Hitlergruß gezeigt wurde und die Betreffenden nicht hinausbefördert wurden, weil die Türsteher fanden, daß es sich um eine freie Meinungsäußerung gehandelt habe.
F: Was Antifaschisten in Potsdam über Thomas M. wissen, will der Verfassungsschutz noch nie gehört haben. Zumindest laut Bild am Sonntag liegen ihm keinerlei Hinweise auf die beiden Tatverdächtigen vor. Ist das vorstellbar?
Ich finde das relativ unvorstellbar. Auch wenn der Verfassungsschutz immer ein bißchen hinterherhinkt, müßten ihm zumindest die Aktivitäten von Thomas M. bekannt sein, weil der wirklich in den letzten Jahren massiv aufgetreten und aufgefallen ist.
F: Haben Sie eine Erklärung für das Nichtwissen des Verfassungsschutzes?
Ich nehme an, daß der nur Leute beobachtet, die in festgefügten Kameradschaften oder Organisationen aktiv sind. Neben organisierten Neofaschisten gibt es aber in Potsdam ein großes Umfeld von Hooligans und Schlägern, die rechte Ansichten haben. Sie sind nicht unbedingt politisch aktiv, aber eben rechte Schläger.
F: Unabhängig davon, ob die Täter organisiert sind, müßte doch eigentlich die Mailbox-Aufnahme mit Beschimpfungen wie »Scheiß-Nigger« ausreichen, um festzustellen, daß es sich um einen rassistischen Übergriff gehandelt hat.
Ich empfinde es wirklich als erschreckend, daß jetzt in der Presse behauptet wird, daß das Opfer im Prinzip selber schuld sei, weil es eine Schlägerei angefangen oder seine Täter provoziert hätte. Ist ein Mordversuch etwa eine adäquate Antwort darauf, daß mich jemand als Schwein beschimpft? Da würde ich doch im Leben nicht anfangen, mit rassistischen Äußerungen zu kontern oder zuzuschlagen. Auch wenn die beiden Täter keine organisierten Neonazis sind, liegt ein rassistisches Mordmotiv vor. Es gehört inzwischen zur Strategie in der rechten Szene, daß Selbstjustiz geübt wird. Wenn ein Nichtweißer aufmuckt, hat er demnach erstens in Deutschland nichts zu suchen und läuft zweitens Gefahr, totgeschlagen zu werden.
F: Was Ostersonntag in Potsdam passiert ist, hat also mit einem Einzelfall nichts zu tun?
Gerade in Potsdam kann man beobachten, daß die Neonazis bzw. die Anti-Antifa einfach immer dreister auftreten. 20 Überfälle in den letzten Monaten gehen auf ihr Konto. Die haben keine Angst mehr, vor gar nichts. Erst recht nicht vor staatlicher Repression. Es ist ihnen inzwischen egal, ob sie ein Opfer am hellichten Tag mit Flaschen bedrohen oder ob sie das morgens um vier tun.
Das muß auch nicht verwundern, wenn sich der Blick von Polizei und Behörden stets auf die linke Szene richtet. Jedesmal, wenn etwas passiert, rückt die Antifa ins Visier. Dann wird zum Beispiel geschrieben, daß wir Bilder von Neonazis sammeln würden, um sie aus der Stadt zu vertreiben. Sofort, wenn eine Gewalttat von Neonazis begangen wird, fängt man an zu gucken, ob links nicht noch etwas viel Schlimmeres passiert.
Interview: Wera Richter