(CAROLA HEIN) Für den Fall, in den Schützengräben des Ersten Weltkrieges zu verbluten, hatte sich der als Sanitäter eingezogene Karl Heinrich Schäfer von dem jungen Künstler Carl Georg Heise ein Heldengrab entwerfen lassen. Doch musste kein Steinmetz diesen Auftrag ausführen, denn der Sohn eines hessischen Klempnermeisters überlebte die Hölle von Verdun und auch die Zuchthaushaft in Luckau während der Nazizeit. Und doch gibt es kein Grab für den Wissenschaftler und Publizisten, der in Potsdam seine produktivsten Jahre erlebte.
Schäfer starb am 29. Januar 1945 im Konzentrationslager Sachsenhausen. Die Lagerakten vermerkten als Todesursache “Rippenfellentzündung”. Neben zahlreichen Publikationen erinnert nur der stattliche Findling im Vorgarten der akkurat restaurierten Villa in der Meistersingerstraße 2 an den katholischen Kirchenhistoriker mit Faible für Regionalgeschichte. Mit dem Gedenken im Gottesdienst am vergangenen Sonntag anlässlich seines 60. Todestages und einer Ausstellung ab 31. März im Alten Rathaus ehrt die Gemeinde der Propsteikirche St. Peter und Paul jenen Mann, der “ein Leben lang für die Wahrheiten des Christentums eingetreten ist”, wie sein Biograf Bernhard Stasiewski schreibt.
1920 war Schäfer ans Deutsche Reichsarchiv auf dem Brauhausberg berufen worden. Für das Mitglied der Zentrumspartei die erste Festanstellung mit angenehmer Folge: Es konnte endlich eine Familie gründen. Schäfer heiratete die luxemburgische Industriellentochter und Sängerin Barbara Marx. Das Paar erwarb das Haus in der damaligen Sophienstraße 2, das Schäfer zu Ehren seiner Frau “Lützelburg” taufte und mit einem Fresko des Erzengels Gabriel und einem Madonnen-Relief schmücken ließ. Noch heute lebt dort zurückgezogen die 82-jährige Tochter Renate.
Schäfer hatte beste Erinnerungen an die königliche Residenzstadt. Während er sich nach dem Studium der evangelischen Theologie im Berliner Domstift aufs Pfarramt vorbereitete, verdingte er sich als Hauslehrer bei Pfarrer Pietschker in Potsdam. Einer der Zöglinge war dessen Sohn Werner Alfred, der spätere Flugpionier. Das Ehepaar verkehrte mit Künstlern und Gelehrten. Dermaßen inspiriert, war Schäfer ab und an als Kanzelredner in der Erlöserkirche zu hören. Ordinieren ließ er sich aber nicht, sondern beschloss, sich ganz der Forschung zu widmen. 1902 konvertierte er zum katholischen Glauben. Nach der Promotion arbeitete der Experte für mittelalterliche Kirchengeschichte und Urkunden — deren schon damals in Zweifel gezogene Echtheit Schäfer stets verteidigte — bis 1914 für die Görres-Gesellschaft in Rom.
Beim Dienstantritt in Potsdam musste der Reichsarchivrat quasi erneut an die “Front”: Kriegsakten des Generalquartiermeisters ordnen. Nebenher erforschte er mit geradezu faustischem Elan die Geschichte der Mark Brandenburg und der Region, die er zugunsten der Hohenzollernhistorie vernachlässigt sah. Ein streitbares Ergebnis der Recherchen: Schäfer proklamiert bereits 1929 Potsdams Millennium. Er begründet seine These in der zum 27. Märkischen Katholikentag erschienenen Schrift “Potsdams tausendjährige Geschichte” mit dem Beginn der Christianisierung des Havellandes anno 928/29. Andere Aufsätze behandeln “Die Vorgängerin der Heiliggeistkirche”, “Nowawes und die Neuenburg”, “Die ältesten Straßen Potsdams” und “Potsdam-Charlottenhof in alter und neuer Zeit”.
Wie die Pietschkers führten auch Schäfers ein offenes Haus. Bei Musikabenden begleitete der Gastgeber seine Gattin am Flügel. Unter den prominenten Zuhörern: der Organist der Garnisonkirche, Otto Becker, der Maler Heinrich Basedow, der Komponist Arnold Waldwagner.
Schäfer, der aus seiner Ablehnung des Nationalsozialismus kein Geheimnis gemacht hatte, war 1934 vorzeitig in den Ruhestand versetzt worden. Er vertiefte sich in seine Studien — im Schutze der “Lützelburg”. Dort trafen sich nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges Gleichgesinnte, um “Feindsender” zu hören, was eine Hausangestellte der Gestapo meldete. Schäfer wurde wegen “planmäßig organisierter Zersetzungsarbeit” zu zwei, Ehefrau Barbara zu eineinhalb Jahren Haft verurteilt. Am Tag der Entlassung kam der gesundheitlich geschwächte 73-Jährige ins KZ. Als Häftling in Luckau hatte er seiner Frau bei einem Besuch aufgetragen: “Wenn ihr meine Asche angeboten bekommt, so nehmt sie nicht an.”