POTSDAM/KÖLN Toni S., der von der Berliner Polizei enttarnte Spitzel des brandenburgischen Verfassungsschutzes, war offenbar tiefer in den Vertriebs und die Produktion rechtsextremer Hass-CDs verstrickt als bisher bekannt. Dies hätte schon Ende 2000 zur sofortigen Abschaltung des V‑Manns führen müssen. Die kürzliche Festnahme des 27-Jährigen durch das Berliner Landeskriminalamt erscheint damit gerechtfertigt.
V‑Mann S. soll nach Informationen der MAZ an der Herstellung der CD “Ran an den Feind” der Berlin-Brandenburger Nazi-Kultband “Landser” beteiligt gewesen sein. Auf ihr wird zum Mord an Brandenburgs Generalstaatsanwalt Erardo Rautenberg und anderen prominenten Gegnern der Neonazis aufgerufen. “Es ist nicht auszuschließen, dass S. bei der Produktion in Polen dabei war”, heißt es. Gegen die Mitglieder der 1992 zunächst unter dem Namen “Endlösung” gegründeten Band ermittelt der Generalbundesanwalt in Karlsruhe wegen der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung.
Darüber hinaus soll sich S. im November 2000 gegenüber anderen Neonazis angeboten haben, den Vertrieb einer großen Stückzahl der verbotenen Landser-CD zu übernehmen. Die Rede ist von deutlich mehr als hundert Exemplaren. Der brandenburgische Verfassungsschutz soll zu jenem Zeitpunkt erwogen haben, Toni S. als Quelle abzuschalten. Doch nach Rücksprache mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz in Köln hatten die Potsdamer von ihrem Vorhaben wieder Abstand genommen. Beide Geheimdienstbehörden seien damals vielmehr übereingekommen, S. zu benutzen, um einen Einblick in das geheime, weitverzweigte Vertriebsnetz von “Landser” zu erhalten. Toni S., so der Geheimplan, solle die Landser-CDs an andere Zwischenhändler verschicken. Anschließend hätten die Geheimdienstler die Empfänger dieser CD-Sendungen observieren wollen, um bis zu der nächsten Vertriebsstufe vorzudringen. Toni S., heißt es, soll in dem Zusammenhang einige wichtige Erkenntnisse zur Enttarnung der Landser-Vertriebsstruktur beigesteuert haben.
S. soll nicht nur mit der Gruppe “Landser” Geschäfte gemacht haben. Er wird auch mit der Produktion und dem Vertrieb der CD “Kinder des Zorns” in Verbindung gebracht. Die Band “Sturmbrigade”, deren Mitglieder den Nachrichtendiensten bislang noch unbekannt sind, soll diese CD im Jahr 2000 in Dänemark produziert haben. Spitzel S., heißt es, sei dabei gewesen. Auch damit hätte der V‑Mann den Boden des ihm Erlaubten weit verlassen.
Offensichtlich war Toni S. seit seiner Anwerbung für den märkischen Verfassungsschutz zu Anfang des Jahres 2000 stets schwer zu steuern. Etwa ein Dutzend Mal soll er in diesen zwei Jahren ermahnt worden sein, sich an Gesetz und Ordnung zu halten. Wie groß das Misstrauen gegen ihn war, zeigt sich auch darin, dass seine Privatwohnung in Cottbus sowie sein Bekleidungsgeschäft “Top One” in Guben mehrfach durchsucht wurden. Überhaupt setzt sich in Potsdam immer stärker die Erkenntnis durch, “dass der einige Dinge gemacht hat”. “Der war ein Dealer und wollte immer was dazuverdienen.”
Berliner und Brandenburger Behörden hatten sich in der vergangenen Woche gegenseitig die Schuld um die Enttarnung des V‑Manns zugeschoben. Brandenburger Regierungspolitiker forderten sogar eine förmliche Entschuldigung der Berliner Senatoren für Inneres und Justiz. Die Berliner Staatsanwaltschaft nannte das mit Brandenburg unabgestimmte Vorgehen gegen S. hingegen fehlerfrei.