Am Mittwoch dem 12.11.08 um 15 Uhr betraten etwa 40 junge Menschen den Plenarsaal der Potsdamer Stadtverordnetenversammlung. Mit Transparenten, Flugblättern und Lärm wurde die Sitzung unterbrochen und die Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Ziel der Aktion war eine erneute Thematisierung der Freiraum-Problematik und des Polizeiübergriffes auf eine Party am vergangenen Wochenende. Zunächst wurde seitens der Sitzungsleitung versucht den Protestierenden zu erklären, dass sich ein Rederecht nur bei Einhaltung der Formalitäten erwirken lassen würde. Der Oberbürgermeister Jann Jacobs (SPD) belehrte die Protestierenden sogar über demokratische Grundregeln. Als es dann zu einer eben solchen Abstimmung über das Rederecht kam und dieser stattgegeben wurde, verließen er und einige andere Abgeordnete (v.a. CDU) den Plenarsaal. Nach dem Verlesen eines Textes (siehe unten) wurde die Stadtverordnetenversammlung wieder verlassen. Im Anschluss wurde in einem weiteren Antrag beschlossen, die Rede in das Sitzungsprotokoll aufzunehmen. Als Fazit bleibt festzuhalten: Nach der Demonstration von 1500 Menschen am 8.11. eine weitere prägnante Ansage an die Stadt Potsdam, dass vielen Menschen die Situation stinkt!
Text des Flugblattes:
Positiver und negativer Höhepunkt der Kämpfe um Freiräume in Potsdam
Seit einigen Monaten häufen sich die Nachrichten über bedrohte oder bereits geschlossene Kulturprojekte und Freiräume in Potsdam. Diese Situation wirkt besonders grotesk, führt man sich die einstige Bewerbung um den Titel „Kulturhauptstadt 2010“ vor Augen. Das vergangene Wochenende um den 8.November stellte den bisherigen Höhepunkt des Kampfes um Freiräume dar. Die sich seit Monaten und Wochen abzeichnende Vernetzung der Potsdamer Projekte, Initiativen und Häuser sorgte dafür, dass etwa 1.500 Menschen zum Hauptbahnhof mobilisiert werden konnten – also fünfmal mehr als die Pro-Stadtschlossfraktion vor einigen Tagen. Der Demonstrationszug schob sich friedlich, aber entschlossen durch die Potsdamer Straßen und wurde von Redebeiträgen, kreativer Performance und Musik begleitet. Am Platz der Einheit wurde die Versammlung mit einem Open-Air-Konzert beendet. Die Potsdamer Innenstadt war an diesem Nachmittag ein lebendiger Ort. Voller Menschen, die sich eine pulsierende, attraktive und alternative Stadt wünschen und kein steriles, überteuertes Freiluftmuseum. Das Fazit bis zum Abend: Es war ein erfolgreicher, bunter und lautstarker Protest, der nicht übersehen und überhört werden kann.
Doch die Freude über den Erfolg der Demonstration schlug bei vielen bereits einige Stunden später erneut in blanke Wut um. Der Grund hierfür war ein brutaler Polizeieinsatz am Sonntagmorgen, der sich gegen eine Elektro-Party in der Skaterhalle richtete. Die Skaterhalle in der Kurfürstenstraße – ein weiterer Ort, der demnächst dem Erdboden gleich gemacht werden soll- wurde für eine Partynacht besetzt. Gegen fünf Uhr morgens stand eine Berliner Einsatzhundertschaft behelmter Polizisten vor der Skaterhalle. Die Party wurde daraufhin beendet und die Musikanlage abgebaut. Doch anstatt alle BesucherInnen friedlich den Nachhauseweg antreten zu lassen, eskalierte die Lage in der Behlertstraße. Die jungen PotsdamerInnen wurden von den aggressiven Polizisten als „Schwuchteln“ und „Wixer“ beschimpft und mit Schlagstöcken und Fäusten verletzt. Ihren Einsatz feierten die Beamten mit lauten „Auswärtssieg“ – Rufen. Nachfragen um die Dienstnummern herauszubekommen wurden mit Aussagen wie: „Was, du hast mir einen Dicken gezeigt?“ beantwortet. Zu Boden geworfenen Jugendlichen wurde eingeredet, sie hätten mit Flaschen versucht die Beamten zu attackieren. Diese Geschehnisse hören sich unfassbar an – und das sind sie auch. Besonders für diejenigen, die diese Demütigung, unverfrorenen Lügen und Gewalt erfahren und erleben mussten. An dieser Stelle soll unbedingt noch mal darauf hingewiesen sein, dass es Berliner Beamte waren, die diesen brutalen Einsatz vollzogen. 1.500 Menschen hatten am Nachmittag bewiesen, dass sie friedlich protestieren wollen. Es gab auch keinen Grund für Auseinandersetzungen, zumal die Polizei zahlenmäßig recht schwach vertreten war und sich auch zurück hielt. Doch in der darauf folgenden Nacht wurde erneut der Zusammenhang zwischen dem Auftreten der Polizei und Gewaltexzessen unter Beweis gestellt. Diese Polizei ist ein wesentlicher Eskalationsfaktor und denkbar ungeeignet, mögliche Konflikte friedlich zu lösen. Der Korpsgeist bei der Polizei, der es nahezu unmöglich macht, Schuldige zu identifizieren wird das ohnehin kaum vorhandene Vertrauen in die Rechtstaatlichkeit bei vielen jungen Menschen weiter auslöschen.
Nun stellt sich die Frage, wie die jungen Menschen mit diesen Ereignissen umgehen werden. Auf der einen Seite wird das eigene Handeln – angefangen bei der Vernetzung, über die Mobilisierung bis hin zu der erfolgreichen Demonstration – euphorisierend wirken und Kraft für weitere Aktionen geben. Doch auf der anderen Seite, konkret von der Städtischen, erfahren sie Ignoranz, Lippenbekenntnisse und Hinhaltetaktik. Von staatlicher Seite erleben sie gar Gewalt und Demütigung. Daraus braut sich eine Wut zusammen, die für niemanden mehr zu kalkulieren ist.
Wir werden die Vernetzung zwischen Potsdamer Projekten und Initiativen vorantreiben und unseren Forderungen weiterhin lautstark Gehör verschaffen.
Wir fordern:
— Aufklärung des brutalen Polizeieinsatzes bei der Beendigung der Party in der Skaterhalle
— Neue Räume für den Spartacus und den S13-Club in der Innenstadt
— Erhalt und Absicherung des Archiv
— Erhalt für „La Datscha“
— Für bestehende Projekte langfristige und bezahlbare Verträge, ohne absurde (Sanierungs-)Auflagen
— Ausreichend Räume und Flächen für die verschiedenen Jugendszenen (Skater, Graffiti etc.)
— Erhalt der Skaterhalle und mögliche Umnutzung als großen, innerstädtischen Freiraum
— Bezahlbare Mieten in Potsdam; keine Verdrängung von Nicht-Reichen-BürgerInnen
— Keine Ausgrenzung, sondern Integration von Menschen und Ideen (z.B. Flüchtlinge, alternative Jugendkultur etc.)
— Konkrete Maßnahmen statt wertloser Lippenbekenntnisse
Wir fordern eine Stadt, die perspektivisch wieder lebenswert wird. Gerade für Jugendliche und Menschen mit wenig Geld! Wir geben unsere Stadt nicht auf! Unser Kampf geht weiter!