Die arranca!-Redaktion bat uns, eine kleine Reflexion zum Thema Überlebensstrategien in Brandenburg zu verfassen und wir gingen davon aus, unkompliziert einen spannenden kleinen Text fertig stellen zu können. Als wir aber versuchten, eine Diskussion innerhalb unseres Netzwerkes zu diesem Text zu organisieren, sind wir bald an Grenzen gestoßen. Kaum war eine Diskussion träger und müder geführt worden als diese — Überlebensstrategien… Ja, überleben wir denn überhaupt? Ist es überhaupt angemessen, von Überleben zu sprechen? Das Thema der Diskussion war zwar wunderbar offen, dadurch aber gleichzeitig unstrukturiert, unfokussiert und wenig Ergebnis bringend. Neben den vielen spannenden Diskussionen, die dabei am Rande geführt wurden, ließ sich auf dieser Basis jedoch kein Text produzieren. Schließlich und letztendlich sind wir jedoch zu einem kleinen Interviewergebnis gekommen. Per Mailingliste organisiert und in kleiner Redaktionsgruppe editiert.
Wie sehen die gegebenen Umstände in Brandenburg aus? Wie ist die politische Situation?
Suse: Brandenburg besteht zum größten Teil aus ländlichen Gegenden, es gibt kaum größere Städte und selbst die sind sehr provinziell. Darüber hinaus gibt es — und das ist sicher allen bekannt — ein großes Problem mit einer von allen Bevölkerungsschichten getragenen rassistischen Einstellung, die ganz selbstverständlich von der Ungleichheit im Sinne einer unterschiedlichen Wertigkeit von Menschen ausgeht. Dazu kommen noch ein unkritisches Verhältnis zum Militarismus und ein Autoritätsdenken, das Werte wie Gehorsam, Disziplin und Ordnung in den Vordergrund stellt. Neben diesen plumpen Bevölkerungsbeschreibungen lässt sich sicherlich einiges zur politischen Situation sagen: Bei Betrachtung der Parteienlandschaft stellt sich Brandenburg als traditionell rot dar. Das heißt, es gibt eine SPD-Mehrheit und eine starke PDS. Die CDU hat es durch Schönbohm endlich geschafft, in Brandenburg eine Rolle zu spielen und treibt sich seither auf Wahlplatz zwei umher. Das bedeutet erst mal nicht viel. Alle setzen in ihrer politischen Außenwirkung auf das Landesvaterimage — konservativ, bodenständig und autoritär. Die PDS ist wenig progressiv, aber hat dennoch das Problem, an vielen Punkten ihre Basis (inhaltlich) zu verlieren, weil die leider noch weniger progressiv ist.
Auf dem außerparlamentarischem Gebiet gibt es nicht allzu viel sichtbare Bewegung. Dennoch lassen sich zumeist an allen Orten kleinere oder größere Grüppchen von AktivistInnen finden, die sich engagieren, die Welt zu verändern. Jedenfalls so lange, bis sie dann weggehen aus Brandenburg. Aber nicht nur sie gehen weg — generell drängt sich an vielen Orten dieses Landes der Eindruck so genannter “brain drain”-Phänomene auf. Was übrig bleibt, sind hauptsächlich die, die bald weggehen werden oder die es nicht schaffen, wegzugehen. So sieht es gerade in vielen Dörfern und Kleinstädten aus.
Dann ließe sich noch einiges zum Organisations- und Verbreitungsgrad von Neofaschisten sagen, aber dazu gibt es genügend Publikationen. Es gibt Nazis und das ist auch eigentlich allen bekannt. Viel wesentlicher finde ich in Brandenburg jedoch den problematischen Kontext: die starke Unterstützung von Nazis aus Teilen der Politik (z.B. Innenminister) und der Bevölkerung, die strukturschwachen Gegenden, denen weitere Strukturabbaumaßnahmen bevorstehen, die fehlende kritische Gegenwehr. Im Verhältnis zu diesem ganzen Wahnsinn sind wir leider nur eine Handvoll hilfloser AktivistInnen, die zwar eine ganze Menge beeinflussen, aber diese Verhältnisse erst mal nicht abschaffen können.
Ist Brandenburg ein brauner Sumpf, aus dem alle Menschen, die klar denken können, möglichst schnell abhauen sollten? Oder anders gefragt: Ist Potzlow wirklich überall?
Paul: Es ist schwierig, den Begriff Sumpf zu definieren. Grundsätzlich würde ich sagen, dass es auf jeden Fall einen rechten Mainstream sowie einen rechten Konsens in der Gesellschaft gibt. Das übliche halt, wovon wir schon Jahre lang reden. Ich denke, dass die öffentliche Debatte über Rechtsradikalismus im Jahr 2000 schon ein Stück weit dafür gesorgt hat, dass uns heute ein Ohr geschenkt wird. Somit wird es einfacher, einen linken Anspruch zu formulieren und ein Stück weit für das Thema zu sensibilisieren. Diesen Zustand zu nutzen bedarf allerdings Kräfte vor Ort, die diese Debatten führen wollen und können. Wo diese Kräfte nicht vorhanden sind, gibt es auch schnell ein Potzlow.
S: Genau! Kurz gesagt: Potzlow ist noch nicht überall und wird auch nie überall sein. Jedenfalls nicht, so lange es uns noch gibt. Überaffirmation mag ja ein sinnvolles politisches Mittel sein, aber es macht sicher keinen Sinn, Linkssein als ständiges Beklagen und Jammern zu begreifen. Mit Parolen, die behaupten, Potzlow wäre überall, vergeben wir uns nicht nur unsere Stärke, politische Konflikte genau zu beschreiben und darin polarisierend zu wirken, sondern wir machen uns auch noch unglaubwürdig, weil wir seit zehn Jahren das gleiche sagen — das kennt erstens inzwischen jede und jeder und zweitens ist es auch sehr unwahrscheinlich, dass sich zehn Jahre lang nichts ändert. Drittens ist es dann bei absehbarer Verschlechterung der Situation auch einfach dumm, das Leid zu beschreien, weil mehr als ein Gewöhnungseffekt dadurch nicht passieren wird.
Franziska: Es lassen sich immer noch Regionen finden, an denen Zustände wie in Potzlow glücklicherweise noch nicht anzutreffen sind und das hängt mit den seit Jahren bestehenden linken selbst bestimmten Jugendprojekten zusammen, die auf die lokale Kultur und das Klima in einer Stadt Einfluss ausüben.
S: Auch durch den zunehmenden Einbruch in der Förderpolitik und einem Rückzug des Staates aus sämtlichen zu fördernden Bereichen wie Jugend- und Sozialarbeit wird es Gegenden wie Potzlow immer häufiger geben. Nicht dass die Jugendarbeit daran schuld wäre, aber sie ist ja nun mal dafür geschaffen, zu befrieden und zu integrieren. Und in absurder Weise befinden wir uns in Brandenburg als Linke in der Situation, die Abschaffung solcher Befriedungsmaßnahmen zu beklagen. Denn das Potenzial, das damit freigesetzt wird, ist alles andere als im Sinne einer emanzipierten und linken revoltierenden Jugend: es ist das tief rassistische, antisemitische dorffestmordende Potenzial, das sämtliche erkämpften emanzipatorischen Freiräume einfach nur hoffnungslos angreift und zerstört. Was sollen wir tun? Sozialarbeit machen, um Freiräume zu erhalten? Staatliche Jugendarbeit einfordern und Gelder dafür? Oder dann doch lieber in Großstädte ziehen?
F: Ich denke, es geht nicht um ein Einfordern staatlicher Jugendarbeit, weil die herzlich wenig gegen den dorffestmordenden Mob getan hat. Befriedung bringt uns nicht weiter! Befriedung, wenn sie fehlschlägt, bringt doch noch größeren Schaden und wird außerdem immer wieder als Feigenblatt benutzt, anstatt den faschistischen und rassistischen Konsens tatsächlich zu thematisieren und dagegen vorzugehen. Besser doch die Zustände zuspitzen, oder?
Und was wir machen sollten? Jaaaa — warum uns so klein machen. In einigen Regionen haben und hatten wir Erfolg! Da sind Zustände wie in Potzlow weit weg und immer noch undenkbar. Ich finde, anstatt staatliche Befriedungspolitik / Jugendpolitik/ ‑arbeit einzufordern, sollten wir für unsere Arbeit immer wieder einstehen.
Gibt es Praxen oder Ansätze, die spezifisch in Brandenburg entwickelt wurden, um unter den gegebenen Umständen linke Politik zu machen?
P: Hast Du Ak
tion Noteingang und Aktion Analyse schon vergessen? Weiterhin gibt es da, glaube ich, nicht viel, was brandenburgspezifisch wäre. Nötig ist allerdings zu sagen, dass in Brandenburg häufig auch mit z.B. kommunaler Verwaltung verhandelt werden muss. Hier kann sich keiner auf ein Hunderte von Leuten starkes Mobilisierungspotenzial verlassen, das solidarisch auf die Straße demonstrieren geht, wenn die Kacke am Dampfen (Projekte in Gefahr o.Ä.) ist. Von daher läuft Konfrontation mit den Oberen hier immer etwas anders ab — glaube ich.
F: Es gibt sicher Praxen, die an Brandenburg und die gegebenen Situationen angepasst waren und sind. Die Ansätze oder Ideen, wie im Fall Noteingang, haben einen anderen Ursprung, aber wir haben das Konzept weiterentwickelt. Die Aktion hat unsere Praxis verändert, wir sind in die Offensive gegangen und haben uns nicht mehr nur noch an den Nazis abgearbeitet. Und es ist eine Vernetzung der Projekte über die Kampagne entstanden. Da wir in Brandenburg politisch agieren, obwohl nicht mehr alle dort wohnen, haben wir unsere Praxis und Ansätze natürlich aus der Analyse heraus an die Situation angepasst.
S: Ich glaube, wir haben uns zu einer sehr offenen Linken entwickelt. Ich finde uns sehr undogmatisch.
F: Ja, stimmt. Ist das dann das spezifische? Eine undogmatische Linke, die gerade für neue Leute die Möglichkeit bietet, mitmachen zu können bzw. andersherum, die immer wieder diese Möglichkeiten schafft, z.B. durch Aktion Noteingang und Aktion Analyse.
Gibt es in Brandenburg eine relativ gute Vernetzung linker Projekte, weil die Leute auf Grund dessen, dass alle so wenige sind, zusammenstehen müssen gegen Bürger, Mob und Nazi?
F: Ich glaube, die Vernetzung ergibt sich zu einem großen Teil aus persönlichen Kontakten, aus denen heraus dann gemeinsame politische Projekte entstehen.
S: Ich glaube, die Situation ist andersherum: Es ist eher erstaunlich, dass wir trotz des Umstandes, dass wir in einer vermeintlichen Defensive sind, so sehr zusammenhalten und zusammenarbeiten, gemeinsame Strategien entwickeln und uns aufeinander beziehen. Wir lassen uns halt nicht einschüchtern und auf das “wir müssen hier erst mal jeder für sich was aufbauen” zurückwerfen.
F: Also nicht andersherum, sondern genau deswegen? Weil wir wenige sind und gegen den braunen Mob zusammenhalten müssen? Eine Möglichkeit wäre ja auch, dass wir aus der Defensive heraus immer mal wieder in die Offensive gehen, d.h. nicht immer nur reagieren.
Was ist unser Erfolgsrezept? Warum sind wir nicht klein zu kriegen?
F: Aus einer Stärke heraus, die wir durch eine Vernetzung, Teilung der Kompetenzen und durch die Möglichkeit, in vielen verschiedenen Bereichen zu agieren, gewinnen.
P: Wir sind nicht klein zu kriegen, weil wir ganz klassisch sozialisiert, daher wissen wir, dass es notwendig ist, etwas zu tun. Es gibt keine linke Szene die so groß wäre, dass jede/r jederzeit aussteigen/ sich ums Studium kümmern/ Urlaub machen kann. Die Leute hier sind nicht ersetzbar wie in größeren Städten. Alle werden gebraucht und aufgrund der lokalen Situation auch immer wieder in die Pflicht genommen etwas zu unternehmen. Nicht zuletzt weil auch die Aktivisten immer wieder von den Problemen betroffen sind, die sie bekämpfen. Daraus resultiert diese Progressivität.
Was brachte in der Vergangenheit linke Projekte in Brandenburg zum Scheitern?
P: Cafe Ole scheitert grade am Konsumverhalten der Gäste, welches daraus resultiert, dass es den Leuten zu gut geht, aus ihrer Sicht. Ich denke aber dass so was überall passiert wenn Leute keinen politischen Anspruch (mehr) haben. Dann sterben auch linke Projekte, es sind halt keine mehr, wenn sie nur noch als billige Kneipe mit dem Oberbegriff Jugendclub funktionieren.
S: Die Schwierigkeit, mit hohen Ansprüchen an uns selbst und unsere Mitstreiter eine politische Handlungs- und Entwicklungsfähigkeit zu bewahren. Das Bedürfnis nach Gemeinsamkeit und die daraus resultierende Unfähigkeit zum Dissens. Dadurch dann irgendwann kommt der Stillstand. Und dann das Scheitern.
Der Beitrag stammt aus der aktuellen Ausgabe der linken Zeitschrift Arranca: arranca.nadir.org