(Jan Lange und Juri Eber) Rund 50 Demonstranten machten am 6. Mai die Bewohner des Ortes Wollin bei Brandenburg auf ihren 82-jährigen Nachbarn Karl Gropler aufmerksam. Er wurde 2005 in Italien als Kriegsverbrecher zu lebenslanger Haft verurteilt.
Am 12.August 1944 fiel die 16. Panzergrenadier-Division “Reichsführer-SS” über das Dorf St. Anna di Stazzema und seine Bewohner her. Angeblich als Reaktion auf Partisanenangriffe wurden 560 Zivilisten, Männer, Frauen und Kinder, durch die Waffen-SS brutal ermordet. Der Ort wurde danach niedergebrannt.
Die italienische Justiz machte Karl Gropler und neun weitere Deutsche ausfindig, die damals als Angehörige der Einheit vor Ort gewesen sein sollen und verurteilte sie im Sommer 2005 wegen Mordes zu lebenslangen Haftstrafen.
Verschwundene Beweise
Dass die Urteile erst nach mehr als sechzig Jahren gesprochen werden konnten, hatte politische Gründe. Der Schrank, in dem die Akten zu St. Anna und anderen Verbrechen der Deutschen in Italien während des zweiten Weltkrieges lagerten, wurde erst nach dem Zusammenbruch des Ostblocks geöffnet. Der kalte Krieg verhinderte die juristische Aufarbeitung der Verbrechen. Deutschland war als Nato-Mitglied ein Partner Italiens.
Inzwischen sind viele der Beteiligten verstorben und können nicht mehr zur Verantwortung gezogen werden. Das Verfahren in Italien hatte daher ohnehin nur eine symbolische Bedeutung und wird für die Verurteilten vorerst folgenlos bleiben. Gropler ist in Revision gegangen, was die Vollstreckung des Urteils vorerst aussetzt. Als deutscher Staatsbürger ist er in Deutschland zudem vor einer Auslieferung an Italien sicher. Den Überlebenden von St. Anna, die auch im Prozess berichteten, ging es vor diesem Hintergrund hauptsächlich um eine juristische Anerkennung des Verbrechens.
“Es geht um das Politikum und um die historische Anerkennung des Massakers”, machte auch Susanne Schröder klar, die gestern in Wollin mit demonstrierte. Sie war mit 50 anderen am Sonnabend, den 6. Mai in den brandenburgischen Ort gekommen, um die Bewohner auf ihren Nachbarn Karl Gropler und dessen Vergangenheit hinzuweisen. Die Demonstranten zogen bis auf wenige Meter vor das Haus Groplers, verteilten Flugblätter an die Anwohner und hängten eine Liste mit den Namen der 560 Toten von St. Anna di Stazzema auf. Auf Transparenten forderten sie eine Anklageerhebung gegen die Beteiligten des Massakers in Deutschland. Anderer Meinung waren nicht nur die etwa acht Rechtsextremisten, die laut Polizeiangaben mehrmals versuchten, die Veranstaltung zu stören. Auch die Bewohner des Ortes, die die Demonstration von ihren Häusern und Gärten aus beobachteten, äußerten sich größtenteils ablehnend gegenüber der Aktion. Ein ehemaliger Arbeitskollege Karl Groplers meinte zu den Vorwürfen und dem Urteil in Italien, er “müsse das nicht glauben” und verwies auf den “Verrat” der Italiener im 2. Weltkrieg, die schließlich “unsere Verbündeten” gewesen seien. Andere meinten, “er wäre doch bestimmt erschossen worden, wenn er das nicht gemacht hätte” und beschränkten sich des Weiteren auf Pöbeleien und Zwischenrufe zu den Redebeiträgen.
Verschleppte Verfahren
Ob Gropler “einen eigenen Handlungsspielraum hatte und nicht nur bloßer Befehlsempfänger war oder ob ihm bewusst war, dass es für andere Tatbeteiligte eine andere Handlungsalternative gegeben hat”, versucht die Staatsanwaltschaft Stuttgart noch herauszufinden. Sie führt in Deutschland die Ermittlungen zu St. Anna di Stazzema und muss jedem einzelnen der Beschuldigten Mord nachweisen. Laut einer Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft vom Sommer letzten Jahres muss hierfür “eines der in Frage stehenden Mordmerkmale” nachgewiesen werden. Als solche gelten Grausamkeit oder niedrige Beweggründe. Zum voraussichtlichen Abschluss der Ermittlungen wollte die Staatsanwaltschaft “noch keine Prognose abgeben”. Im Vorfeld der Demonstration wollte sich die Staatsanwaltschaft nicht weiter zu dem laufenden Verfahren äußern.
Karl Gropler selbst war am Sonnabend für Journalisten nicht zu sprechen. Sein Anwalt Hartmut Meyer erklärte jedoch, die Vorwürfe seien “soweit nicht haltbar”. Zwar sei die Demonstration mit dem Ziel, eine Anklageerhebung durchzusetzen, durchaus nachvollziehbar. Diese sei aber vor dem Sitz der Staatsanwaltschaft durchzuführen, statt Einzelne “durch Nennung von Namen und Adresse im Umfeld zu diskreditieren” und in deren Persönlichkeitsrechte einzugreifen. Die Aktion komme einer “Vorverurteilung” gleich und gehe am Ziel der Veranstalter vorbei.
Nicht nur in Wollin gab es indes Aktionen wegen der Ereignisse in St. Anna. Vor insgesamt sieben Häusern, Wohnungen und Altenheimen von wegen des Massakers Verurteilten wurde demonstriert. Den Abschluss des Aktionstages bildete eine Demonstration am 8. Mai vor der Stuttgarter Staatsanwaltschaft. Diese, so kritisieren die Organisatoren, verschleppe seit 2002 die Ermittlungen. Auch Andreas Köhn, Sprecher der AG Rechtsextremismus bei Ver.di kritisiert: “Der Umgang der deutschen Justiz in diesem Fall ist skandalös”. Anscheinend gäbe es ein “mangelndes Interesse”, die Täter endlich anzuklagen.
Laut dem Simon-Wiesenthal-Center hatte die Verfolgung von überlebenden NS-Kriegsverbrechern in Deutschland nur einen minimalen Erfolg vorzuweisen. Ein Ende April veröffentlichter Zwischenbericht der vom Center initiierten “Operation last Chance” platziert Deutschland daher in der dritten von fünf Kategorien. In Ländern dieser Kategorie wurden im beobachteten Zeitraum weder Urteile gefällt, noch Anklagen erhoben. Angesichts eröffneter neuer Verfahren und fortschreitender Ermittlungen sieht der Bericht jedoch ernsthafte Chancen für Verurteilungen. Insgesamt sei ein weiteres Engagement jedoch “dringend erforderlich”.
Die Demonstranten in Wollin haben ein weiteres Engagement angekündigt. Vom Lautsprecherwagen hieß es, sie würden so lange weiter machen, “bis Karl Gropler im Zug nach Italien sitzt”, um seine Haftstrafe anzutreten.