Jörg Schönbohm nennt seine Unterschrift unter der “Irak-Resolution” einen
Fehler — auf Druck von Platzeck und aus Sorge um die Koalition
(Tagesspiegel) Potsdam. Während maßgebliche SPD-Politiker am Donnerstag erneut eine
Beendigung der großen Koalition forderten, bemühte sich CDU-Landeschef und
Innenminister Jörg Schönbohm fieberhaft, den drohenden Bruch abzuwenden.
“Wir müssen die Irritationen ausräumen”, mahnte er und versicherte: “Ich
werde meinen Beitrag dazu leisten.” Zugleich pfiff Schönbohm seinen
Partei-Vize Sven Petke zurück. Dieser hatte Regierungschef Matthias Platzeck
am Donnerstag in einem Radiointerview wegen seiner harschen Reaktion auf die
CDU-Solidaritätsadresse an US-Präsident Bush “Dünnhäutigkeit” und
“Führungsschwäche” vorgeworfen. SPD-Politiker hatten Petkes Attacke auf
Platzeck als neue Provokation gewertet.
Der einflussreiche SPD-Bezirkschef und Landtagsabgeordnete Ulrich Freese
forderte am Donnerstag den Rücktritt Schönbohms. “Glaubwürdig wäre es
gewesen, den Brief zurückzuziehen”, sagte Freese. “Ein Mann, der nicht
einmal liest, was er unterschreibt, ist als Minister ungeeignet.” Freese
forderte, dass der SPD Landesvorstand am Montag ernsthaft die Frage
diskutieren müsse, die große Koalition aufzukündigen. Einen Schritt, den
auch der SPD-Bundestagsabgeordnete Peter Danckert befürwortet. Die
“Anbiederung an Bush” offenbare eine empörende Haltung des
Koalitionspartners, die keinen Rückhalt in der Bevölkerung habe.
Schönbohm selbst zog am Donnerstag die Notbremse. Ähnlich wie der
Generalsekretär der Bundes-CDU, Laurenz Meyer, distanzierte er sich von Ton
und Diktion des Schreibens. Seine Unterschrift unter das von Platzeck als
“peinlich für das Land” bezeichnete Solidaritätsschreiben an Bush nannte er
einen Fehler. “Der Duktus des Briefes ist missverständlich, das muss ich
zugeben.” Er habe den Brief nicht mit der gebotenen Sorgfalt gelesen, bevor
er unterschrieben habe. Zugleich rüffelte er Petke: Er habe diesen gebeten,
seine Platzeck-Kritik “unverzüglich zurückzunehmen”. Sie sei “so nicht
hinnehmbar”. Petke bedauerte darauf hin, Platzeck persönlich angegriffen zu
haben. Schönbohm sagte weiter, zum Wohle des Landes sei es an der Zeit,
“sich insgesamt in mehr Mäßigung und Gelassenheit zu üben”. Er verwies
darauf, dass die Koalition im Landtag nächste Woche wichtige Gesetze zur
Gemeindereform verabschieden wolle. Zugleich relativierte er seine Aussagen
zum Folter-Freibrief für Terroristen-Fahnder.
Krisenstimmung herrscht auch in der CDU-Landtagsfraktion, wo Fraktionschefin
Blechinger alle Termine absagte und die SPD zu beruhigen versuchte. Dem
Vernehmen nach entschuldigten sich Christdemokraten wegen der
“Ergebenheitsadresse” an Bush bei SPD-Politikern, darunter auch ein
Unterzeichner. In Teilen der Union wird die Rolle von Landeschef Jörg
Schönbohm zunehmend kritisch gesehen, der mit seiner Unterschrift unter das
Schreiben an Bush und seine Aussagen zur Folter bei Terrorverdacht die
Koalitionskrise ausgelöst hatte.
“Er wird immer unberechenbarer, weil er nicht über die Folgen nachdenkt”,
sagte ein CDU-Landtagsabgeordneter dem Tagesspiegel. Aufgefallen war, dass
führende CDU-Politiker wie Fraktionschefin Beate Blechinger,
Vize-Landtagspräsident Martin Habermann, aber auch die Minister Ulrich
Junghanns, Johanna Wanka und Barbara Richstein das Solidaritätsschreiben an
Bush nicht unterzeichnet hatten.
Wirtschaftsminister Junghanns, der als möglicher Nachfolger Schönbohms
gehandelt wird, weilte am Donnerstag bei BASF in Ludwigshafen — gemeinsam
mit SPD-Regierungschef Matthias Platzeck.
Richstein gegen Anwendung von Folter
(MOZ) Potsdam (ddp-lbg). Brandenburgs Justizministerin Barbara Richstein (CDU)
lehnt die Anwendung von Gewalt gegen Tatverdächtige oder Straftäter ab.
Forderungen nach einer schärferen Gangart bei Polizeiverhören sowie der
Zulassung staatlicher Folter bei schweren lebensbedrohenden Gefahren seien
«verfassungsrechtlich unhaltbar», betonte die Ministerin am Donnerstag in
Potsdam.
Sie reagierte damit unter anderem auf Äußerungen des innenpolitischen
Sprechers der CDU-Landtagsfraktion und stellvertretenden Landeschef der
Union, Sven Petke. Die Forderungen Petkes seien mit dem Menschenbild der CDU
unvereinbar, unterstrich Richstein. Folter sei unter keinen Umständen mit
den Grundwerten einer christlich-demokratischen Partei in Einklang zu
bringen.
Zudem verwies die Ministerin auf Artikel 1 des Grundgesetzes zum Schutz der
Menschenwürde. Es sei nicht mit dem Grundgesetz vereinbar, in Gewahrsam
befindliche Tatverdächtige staatlich verordneter Gewalt auszusetzen. Würde
ein Rechtsstaat eine solche Praxis gesetzlich verankern, wäre Richstein
zufolge außerdem das gemäß Artikel 3 der Menschenrechtskonvention
völkerrechtlich garantierte Folterverbot außer Kraft gesetzt. Zudem würde
nach Ansicht von Richstein kein deutsches Gericht ein solches Gesetz
anwenden.
Ausgesprochen frostig
Am liebsten will Platzeck weiter mit der CDU — aber ohne Schönbohm
(MAZ) POTSDAM Es war weit mehr als nur eine Geste. Am Tag nach dem bislang
heftigsten Krach in der Koalition hob Ministerpräsident Matthias Platzeck
(SPD) auf dem Weg zu BASF nach Ludwigshafen hervor, wie wichtig jetzt
“Sacharbeit” in der Koalition sei, und schaute wohlwollend seinen neben ihm
stehenden Wirtschaftsminister Ulrich Junghanns (CDU) an. Der nickte und
fügte zur Zufriedenheit Platzecks hinzu: “Wir haben hier alle eine
Verantwortung übernommen, und die wollen wir weiter wahrnehmen.”
Platzeck lässt in diesen Tagen kaum eine Gelegenheit aus, den gut
100-Tage-Minister von der CDU zu loben, seine Verlässlichkeit hervorzuheben
und sich mit ihm öffentlich zu zeigen. Warum er das tut, hat einen einfachen
Grund. Mit seinem eigentlichen Pendant in der Koalition, Innenminister und
CDU-Chef Jörg Schönbohm, hat er sich überworfen. Es gebe, so ist aus
Platzecks Umfeld zu hören ist, schwere atmosphärische Verstimmungen. Beim
gemeinsamen Grünkohlessen am Mittwoch in Cottbus sei es “ausgesprochen
frostig” zwischen beiden zugegangen, meinte ein Beobachter.
Aktueller Auslöser für das Zerwürfnis war die von CDU-Parlamentariern aus
Brandenburg und Berlin initiierte Irak-Resolution, die auch Schönbohm mit
unterschrieb. Platzecks harsche Reaktion (“peinlich”, “eine
Ergebenheitsadresse”) am Mittwoch sorgte dafür, dass Schönbohm noch am Abend
einen Rückzieher machte. Er habe den “Duktus” des Textes nicht genügend
beachtet, räumte er ein. Zugleich war er um Schadensbegrenzung bemüht.
Selbst innerhalb der CDU gibt es Stimmen, die das Agieren ihres Vormannes
mit Skepsis verfolgen. “Wenn der so weiter macht, landen wir in der
Opposition”, fürchtet ein CDU-Abgeordneter, der sich allerdings auch nicht
vorstellen kann, wie Schönbohm “wieder eingefangen” werden kann. Auffallend
ruhig sind jene, die die Resolution nicht unterschrieben haben wie
Fraktionschefin Beate Blechinger.
Allerdings reicht in der CDU die Phantasie noch nicht so weit, über eine
Fortführung der Koalition mit der SPD ohne Schönbohm nachzudenken. “Wenn die
SPD das fordert, ist das eine unannehmbare Erpressung”, erregte sich gestern
der Potsdamer Abgeordnete Wieland Niekisch. Schönbohm sei “mit Stolpe der
Architekt der Großen Koalition in Brandenburg”.
In der SPD wird hinter den Kulissen Stimmung gegen Schönbohm und die CDU
gemacht. “Noch ein Ding und der Laden fliegt auseinander”, sagt ein
führender SPD-Mann. Aufmerksam wird registriert, wie Platzeck um jene in der
CDU wirbt, die nicht die Res
olution unterschrieben haben wie Blechinger oder
Landtagsvizepräsident Martin Habermann. Mit Junghanns könnte Platzeck auch
deshalb besser als mit Schönbohm, witzelte ein SPD-Vorstandsmitglied, “weil
der ihm keine Kamera weg nimmt”.
Hauptfürsprecherin für einen Wechsel zur PDS ist die stellvertretende
SPD-Landeschefin Katrin Molkentin (“das Fass ist übergelaufen”), die sich
“relativ sicher” ist, dass die Koalition platzen wird. Sie fordert einen
Sonderparteitag der SPD mit dem Ziel, ein Votum für das Ende der Koalition
mit der Schönbohm-CDU und für eine neue rot-rote Regierung herbeizuführen.
Sie will, dass die SPD-Spitze offiziell Gespräche mit der PDS führt.
Inoffizielle hat es schon gegeben. Platzeck hat sich mit PDS-Chef Ralf
Christoffers und dem parlamentarischen Geschäftsführer der Fraktion, Heinz
Vietze, getroffen. Allerdings ohne konkrete Verabredungen zu treffen. Nach
außen erklärt Christoffers zwar, die PDS stehe bereit, unter Bedingungen in
die Regierung einzutreten. Allerdings will die PDS nicht nur als
“Drohkulisse” gegen die CDU herhalten. Die PDS weiß auch nicht, ob ihr der
jetzige Eintritt in die Regierung nützt. Nach einem Jahr wäre sie im
Stimmungstief — in Berlin war das auch so. In gut einem Jahr aber sind in
Brandenburg Wahlen.