Sie flüstern in Königs Wusterhausen noch immer, wenn sie seinen Namen erwähnen: “Szczepanski war da.”
Dieser oder jener, meist aus der linken Szene, heißt es beteuernd, habe ihn gesichtet — wahrscheinlich, auch wenn das unwahrscheinlich ist: Carsten Szczepanski, den 1995 wegen versuchten Mordes an einem nigerianischen Asylbewerber verurteilten überzeugten Neonazi. Seit seiner Enttarnung 1999 als V‑Mann “Piato” des brandenburgischen Verfassungsschutzes lebt er, verfolgt von Morddrohungen enttäuschter, rachsüchtiger Gesinnungsgenossen, an einem unbekannten Ort, im Ausland vermutlich, aber genau wissen das nur wenige, und die es wissen, schweigen.
So dubios, wie Szczepanski nach seinem Untertauchen manchem erscheint, war sein Verhalten als Agent. In der rechtsextremen Szene war “Piato” für den Potsdamer Nachrichtendienst die wohl ergiebigste Quelle. Ein Präzisionsgewehr, das ein militanter Neonazi aus Königs Wusterhausen kaufen wollte, wurde nach seinem Hinweis sichergestellt. “Piato” führte die Fahnder auch zu einem Keller in Berlin. Die dort versteckte Rohrbombe sollte ebenfalls für eine Racheaktion gegen Linke benutzt werden.
Doch Szczepanski, einer der führenden NPD-Kader in Brandenburg, argwöhnen andere, war nicht nur jener Aufklärer, der gegen Geld seine Nazifreunde verriet. Merkwürdig erscheint bis heute, dass es nach seiner Haftentlassung nicht lange dauerte, bis in Königs Wusterhausen der Streit zwischen der linken und der rechtsextremen Szene eskalierte. Bald brannten Autos, auch Szczepanskis. Er selbst habe seinen Wagen angezündet, mutmaßen Insider: um die Stimmung anzuheizen und sich in Szene zu setzen. Nach seiner Enttarnung ging kein Wagen von Szene-Angehörigen mehr in Flammen auf.
“Piato”, lautet deshalb der Vorwurf, sei ein agent provocateur, ein vom Verfassungsschutz bezahlter Anstifter gewesen. Erst der Agent Szczepanski habe die rechtsextreme Szene maßgeblich strukturiert und mit seinem dominanten Führergehabe stabilisiert. Dann habe er im Auftrag und im Sold der Geheimen die von ihm geschaffenen Strukturen ausgekundschaftet.
Rätselhaft sind auch die Umstände von “Piatos” Enttarnung: Mal hieß es — dies wohl zu unrecht — Polizeibeamte hätten zuviel ausgeplaudert. Es ist hingegen nicht auszuschließen, dass die Verfassungsschutzbehörde selbst ihren Spitzel enttarnte, weil sich der ehemalige Ku-Klux-Klan-Anhänger nicht mehr führen ließ und eigenmächtig agierte. Möglicherweise hatte “Piato” den Bogen überspannt, als er dem damaligen stellvertretenden Vorsitzenden der brandenburgischen PDS, Stefan Ludwig, einen Drohbrief schickte und dem Landtagsabgeordneten aus Königs Wusterhausen vielsagend “ein neues Kampfjahr” ankündigte. Offiziell hat der brandenburgische Verfassungsschutz jedoch stets bestritten, dass V‑Mann “Piato” Straftaten begangen hatte.
Im Umgang der Verfassungsschutzbehörden mit Vertrauens-Leuten ist dies das entscheidende Problem — so auch in dem seit drei Wochen öffentlich geführten Streit zwischen Berlin um Brandenburg um die Rolle des enttarnten V‑Manns Toni S. aus Cottbus. Die Berliner Behörden sind überzeugt, dass der 27-Jährige eine Schlüsselfigur im neonazistischen Musikhandel ist. S. habe sich dabei in einem Ausmaß strafbar gemacht, dass er als V‑Mann sofort hätte “abgeschaltet” werden müssen. Schon mit der stillschweigenden Duldung seiner kriminellen Tätigkeit hätten sich Polizei und Staatsanwaltschaft strafbar, verlautet aus Berlin.
Rechtlich erscheint der Einsatz von V‑Leuten des Verfassungsschutzes eindeutig geregelt. In Paragraph 6, Absatz sieben des brandenburgischen Verfassungsschutzgesetzes werden unter der Überschrift “Befugnisse der Verfassungsschutzbehörde” die Einsatzbedingungen für V‑Leute beschrieben.
“Beim Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel dürfen keine Straftaten begangen werden”, heißt es dort. Dann jedoch wird eine “abschließende Aufzählung der Straftatbestände, die verwirklicht werden dürfen”, erwähnt. Diese Aufzählung erfolge “in einer Dienstvorschrift nach Vorlage in der Parlamentarischen Kontrollkommission”. Dieses Gremium, die PKK, setzt sich aus vier Landtagsabgeordneten von SPD, CDU und PDS zusammen und beaufsichtigt die Verfassungsschutzbehörde.
Die erwähnte Dienstvorschrift gibt es bis heute nicht. Daraus ist jedoch nicht zu schlussfolgern, dass V‑Leute als Quelle sofort “abgeschaltet” werden müssen, sobald sie straffällig werden. Ebenso wenig bedeutet das Fehlen der Dienstvorschrift zwangsläufig, dass der Nachrichtendienst seinen V‑Leuten einen “Freibrief zur Verübung von Straftaten ausgestellt” habe, wie die innenpolitische Sprecherin der PDS-Fraktion im Potsdamer Landtag, Kerstin Kaiser-Nicht, erklärte.
Die Verfassungsschutzbehörde selbst erkennt Gründe zur Rechtfertigung von Spitzel-Straftaten in den Paragraphen 86 und 86 a des Strafgesetzbuches. Sie behandeln das Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen sowie das Verwenden ihrer Kennzeichen. Als Strafe für diese Vergehen sieht das Gesetz zwar grundsätzlich einen Freiheitsentzug von bis zu drei Jahren oder eine Geldstrafe vor. Doch Paragraph 86, Absatz 3 nennt Ausnahmen. Demnach ist die Propagandaverbreitung beispielsweise gestattet, “wenn das Propagandamittel oder die Handlung der Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen dient”. Dieselben Ausnahmeregelungen gelten für die Paragraphen 86 a und 130 des Strafgesetzbuches. Letzterer definiert die Kriterien für Volksverhetzung. In den Paragraphen 86, 86 a und 130 geht es genau um jene Straftaten, die die Berliner Justiz dem Cottbuser V‑Mann Toni S. zur Last legt.
Das brandenburgische Innenministerium bezieht sich auf die Ausnahmebestimmung. Für die Behörde steht fest, dass die meisten dem Verfassungsschutz bekannten Straftaten des V‑Manns S. der “Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen” dienten. Das Verhalten des Agenten sei somit zu rechtfertigen — zumal durch Toni S.s Einsatz ein €paweites Netzwerk neonazistischer Musikhändler zerschlagen werden sollte. Vor diesem Hintergrund, argumentieren die Potsdamer, sei eine begrenzte Mitwirkung am Vertrieb der Hass-CDs zu akzeptieren. Nicht hinnehmbar gewesen wäre hingegen eine Beteiligung des Spitzels an der Produktion der zum Mord an prominenten Neonazi-Gegnern aufrufenden CD “Noten des Hasses” der Neonazi-Band “White Aryan Rebels”. Doch dass Toni S. an dieser CD-Produktion mitgewirkt habe, wird in Potsdam nach wie vor bestritten.
Strittig bleibt dennoch, ob der Paragraph 86, Absatz 3 des Strafgesetzbuches geeignet ist, Straftaten von V‑Männern zu legitimieren. Spitzenjuristen in Brandenburg widersprechen, allerdings inoffiziell, dieser Deutung des Nachrichtendienstes. “Für den Verfassungsschutzmitarbeiter gibt es keine Ausnahme”, heißt es in der Justiz. Paragraph 86, 3 sei “kein Freibrief” für den V‑Mann, mit Duldung des Geheimdienstes Propagandastraftaten zu begehen oder zur Volksverhetzung anzustacheln. Vielmehr müsse die Justiz ausnahmslos gegen jeden Straftäter ermitteln. Doch sei es dem Staatsanwalt erlaubt, das Ermittlungsverfahren im nachhinein einzustellen, wenn sich die Schuld des Spitzels als gering erweise.
In der Praxis kann der Staatsanwalt noch auf eine andere Weise auf den Erfolg einer Geheimdienstoperation Einfluss nehmen: über das Tempo der Ermittlungen. Habe ein Spitzel lediglich leichte Straftaten verübt, könne “man die Ermittlungen schon einmal zeitlich etwas strecken”, erläutert ein Spitzenjurist. Sollte jedoch der
Spitzel gewichtige Straftaten begangen oder sogar die Szene angeheizt haben, gebe es “keinen Grund, ihn nicht festzunehmen” — wie es die Berliner Justiz bei Toni S. getan hatte. “Wenn er der Motor war, kann man ihn nicht einfach weitermachen lassen.”
Ob Toni S. einer der Motoren des rechtsextremen Musikhandels in Berlin und Brandenburg war, ist noch nicht geklärt. Dafür sprechen könnte immerhin, dass ein Berliner Richter einen Haftbefehl gegen ihn erlassen hat. Für diese Maßnahme, heißt es, müsse es gravierende Gründe gegeben.
Es ist nicht auszuschließen, dass das Berliner Landeskriminalamt (LKA) Ermittlungserkenntnisse vorlegen konnte, die sogar eine Untersuchungshaft rechtfertigten. Schließlich hatte das LKA Toni S. monatelang observiert und sein Telefon abgehört. Wie gut die Berliner informiert waren, beweist auch, dass sie bei der Großaktion in der Nacht des 20. Juli das geheime CD-Depot des V‑Manns fanden. Mehr als 2000 Tonträger soll Toni S. dort versteckt haben. Der brandenburgische Verfassungsschutz als Auftraggeber des Neonazis soll davon nichts gewusst haben.
Überrascht war die Potsdamer Behörde auch darüber, dass Toni S. insgeheim erheblich mehr Exemplare der CD “Noten des Hasses” vertrieben hatte, als ihm gestattet war. Um sich in der rechtsextremen Szene zu tarnen, hatte man ihm den Vertrieb von 500 bis 1000 CDs erlaubt. Doch nach Berliner Erkenntnissen soll Toni S. 1500 “Noten des Hasses” verkauft haben: die Hälfte der ersten Auflage.
Es verstummen auch nicht die Hinweise, dass der Cottbuser ohne Wissen der Behörden an der Herstellung gewaltverherrlichender Musik beteiligt war. Als sicher gilt, dass er zumindest das Beiheft einer CD der Neonazi-Kultband “Landser” gedruckt hat. Für diese Beteiligung hat S. zwischen 90 und 100 Exemplare der CD “Ran an den Feind” erhalten, die er auf eigene Rechnung verkaufen durfte — ebenfalls ohne Wissen der Behörden. Toni S., der Neonazi, der “nur für Geld tickte”, wie es heißt, hatte damit CDs im Wert von etwa 1500 Euro erhalten.
Dass der Umgang mit V‑Leute kein spezifisch Brandenburger Problem ist, hat Anfang dieses Jahres das Verbotsverfahren gegen die rechtsextreme NPD bewiesen. In der gemeinsamen Begründung von Bundesregierung, Bundesrat und Bundestag, mit der die “aktiv kämpferische, aggressive Haltung gegenüber der bestehenden Ordnung” belegt werden sollte, fanden sich zahlreiche Zitate von V‑Männern des Verfassungsschutzes. Nach offiziellen Angaben sollen 30 der 210 NPD-Vorstandsposten auf Länder- und Bundesebene mit Spitzeln der Nachrichtendienste besetzt sein. Insider deuten an, dass auf dieser Ebene noch mehr staatlich bezahlte Agenten beschäftigt sind. Insgesamt sollen in den Reihen der NPD mehr als 100 V‑Männer sitzen.
Nach Einschätzung von Rechtsexperten könnte die starke Durchsetzung der NPD mit V‑Leuten das Verbotsverfahren scheitern lassen. Süffisant behauptet die NPD-Parteispitze, dass die Gründe für ein Parteiverbot erst durch Spitzel und Provokateure des Verfassungsschutzes geschaffen worden seien. Nach einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts von 1999 wäre dies strikt verboten. Das Gericht hatte auf eine Klage der Partei “Die Republikaner” betont, beim Einsatz von V‑Leuten sei darauf zu achten, “dass diese nicht die Zielsetzung oder Aktivitäten eines Beobachtungsobjekts entscheidend bestimmen”.
Unter Juristen kursiert bereits ein Witz, wie sich das Problem mit der NPD auch ohne Parteiverbotsverfahren rasch lösen ließe? Die Antwort: Die V‑Leute des Verfassungsschutzes in den Vorständen der Partei stimmen für die Selbstauflösung.
Kommentar von Frank Schauka
Skandalös
Agenten, V‑Leute, Informanten — wie immer man sie auch nennt: Der Umgang der Sicherheitsbehörden mit ihnen ist, nach allem, war jetzt bekannt wurde, skandalös. Der Name eines angeblichen Informanten des märkischen Landeskriminalamts hätte nie auf einer rechtsextremen Internet-Seite auftauchen dürfen. Die Verantwortung dafür liegt nicht bei der Staatsanwaltschaft, auch wenn das veröffentlichte Dokument aus ihren Ermittlungsakten stammt. Noch ist unklar, welches Landeskriminalamt die Verantwortung trägt. Die Behörde in Magdeburg hätte sich Kritik zu stellen, wenn sie von Sven Sch.s Nebenbeschäftigung bei Abhöraktionen erfuhr und sich mit dem Brandenburger Landeskriminalamt nicht konsultierte. Möglich ist auch, dass Potsdam die anhaltinischen Kollegen über die Dienste des Mannes informierte. Ganz gleich: Das Detail steht in Akten, die den Anwälten der Neonazi-Szene zugänglich sind. Durch diesen Dilettantismus wird der Neonazi möglicherweise Racheakten ausgesetzt.