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V‑Mann-Affäre geht immer weiter

POTSDAM/BERLIN In dem kleinen Dorf nicht fern von Pots­dam ist auch am Woch­enende nie viel los. Das Licht vor dem Rei­hen­haus in der Neubausied­lung war an jen­em Sam­stag, dem 20. Juli, schon erloschen. Im Schutz der Dunkel­heit näherten sich eine Staat­san­wältin und zehn Polizis­ten eines Spezialkom­man­dos des Berlin­er Lan­deskrim­i­nalamts “dem Zielob­jekt”. Als ein Beamter klin­gelte, war es etwa 23.15 Uhr. 

 

Hans G.* öffnete, obwohl es schon reich­lich spät war, die Haustür. Begrüßen kon­nte er die Über­raschungs­gäste nicht mehr. Sofort stürmten Berlin­er Spezialpolizis­ten die Woh­nung und ris­sen den Mittvierziger zu Boden. Als dessen Frau aus dem Wohnz­im­mer her­beistürzte und auf den Boden fiel, herrschte man sie an, sie solle sitzen bleiben. 

 

Allmäh­lich beruhigte sich die Lage, und G. samt sein­er Frau wur­den aufge­fordert, am Wohnz­im­mer­tisch Platz zu nehmen. Da erfuhr der freie Mitar­beit­er des bran­den­bur­gis­chen Ver­fas­sungss­chutzes den Grund des nächtlichen Stelldicheins: “Wir beschuldigen Sie der Volksver­het­zung”, hielt man ihm vor. G. stutzte. 

 

Die Berlin­er zück­ten einen Durch­suchungs­beschluss, erlassen vom Amts­gericht Tier­garten. G. deutete an, er sei, nach allem, was er wisse, nicht der, dessen Woh­nung durch­sucht wer­den dürfe. Auf dem Beschluss ste­he Lud­wig A.** — und er sei Hans G. 

 

Es wurde wieder hek­tisch. Ein Beamter zog sich zum Tele­fonieren zurück. Als er zurück­kehrte, wurde Hans G.s Woh­nung, wie geplant, durch­sucht. Schränke wur­den geöffnet, Schubladen her­aus­ge­zo­gen — obwohl der Inhalt doch nicht kon­trol­liert wurde. Mit Blit­zlicht fotografierte ein Fah­n­der G.s Haus von außen und innen. Wofür sich die LKA-Män­ner nicht inter­essierten, waren die CDs der Fam­i­lie. Merk­würdig: Immer­hin hat­ten sich die Berlin­er ins Umland aufgemacht, um mehrere hun­dert ver­boten­er Neon­azi-CDs zu beschlagnah­men, die sie bei G. vermuteten. 

 

Für Bran­den­burg­er Regierungskreise ist die Aktion der haupt­städtis­chen LKA-Beamten der rein­ste Dilet­tan­tismus. Die Berlin­er, heißt es, hät­ten sofort erken­nen müssen, dass sie die Woh­nung des falschen stürmten. Schließlich sei Fam­i­lien­vater Hans G. etwa 15 Jahre älter als der eigentlich gesuchte Lud­wig A. Die Berlin­er hät­ten A. monate­lang so inten­siv observiert, dass ihnen der Irrtum sogle­ich hätte auf­fall­en müssen. 

 

Dass die Ermit­tler aus Berlin in Bran­den­burg “wie die Raubrit­ter” ein­fie­len, wie der Pots­damer CDU-Spitzen­poli­tik­er Dierk Home­y­er sich aus­drückt, hängt offen­bar mit ihren geheim geführten Unter­suchun­gen gegen die neon­azis­tis­che Musik­szene in Berlin und Bran­den­burg zusammen. 

 

Die plau­si­bel­ste Erk­lärung für die Panne lautet so: Das Berlin­er LKA ermit­telt — wie par­al­lel der bran­den­bur­gis­che Ver­fas­sungss­chutz — gegen Hin­ter­män­ner des inter­na­tion­al CD-Ver­triebs der Neon­azis. Schließlich glauben die Berlin­er, der 27-jährige Toni S. aus Guben sei die Schlüs­selfig­ur der Szene. Dies gelte beson­ders für die Pro­duk­tion der ver­bote­nen CD “Noten des Has­s­es” der Gruppe “White Aryan Rebels”, die sich “W.A.R.” abkürzt, also Krieg bedeutet. Für die Berlin­er ste­ht nach ihrer Auf­fas­sung fest: S. macht sich straf­bar und müsste deshalb sofort als V‑Mann vom bran­den­bur­gis­chen Ver­fas­sungss­chutz abgeschal­tet werden. 

 

Dass S. als V‑Mann arbeit­ete, war den Berlin­er Behör­den nach Infor­ma­tio­nen der MAZ auf mehreren Ebe­nen bekan­nt. Die Staat­san­waltschaft war seit Ende 2001 informiert, auch dem Berlin­er LKA war der Sachver­halt durch monate­lange Obser­va­tio­nen ver­traut. Dabei wur­den Gespräche zwis­chen Toni S. und Lud­wig A. mit­ge­hört. Als Mitar­beit­er des bran­den­bur­gis­chen Ver­fas­sungss­chutzes war A. der für den jun­gen Neon­azis aus Guben zuständi­ge Personenführer. 

 

Die Berlin­er hinge­gen erkan­nten den Per­so­n­en­führer nicht als Mitar­beit­er des bran­den­bur­gis­chen Ver­fas­sungss­chutzes, son­dern hiel­ten ihn für einen Kom­plizen von Toni S. — ein Ergeb­nis unzure­ichen­der Recherche, ist man in Pots­damer Koali­tion­skreisen überzeugt. Tat­säch­lich habe es etliche Indizien gegeben, die die Berlin­er Ermit­tler hät­ten stutzig machen müssen. Eine Nach­frage beim bran­den­bur­gis­chen Ver­fas­sungss­chutz hätte alles aufk­lären kön­nen — doch die gab es nicht. 

 

Statt dessen ermit­tel­ten die Berlin­er auf eigene Faust über Lud­wig A.s Handy jene Adresse, auf die das Handy beim Tele­fo­nan­bi­eter zuge­lassen war. Dies war jedoch nicht A.s eigene Adresse. Vielmehr hat­te der bran­den­bur­gis­che Ver­fas­sungss­chutz — um Per­so­n­en­führer A. zu tar­nen — dessen Handy die Adresse des freien Ver­fas­sungss­chutz-Mitar­beit­ers Hans G. in jen­em Dorf bei Pots­dam zuge­ord­net. Mit G.s Zus­tim­mung. Also stürmten die Berlin­er — weil sie Toni S. fälschlich für den Kopf der ver­bote­nen CD-Pro­duk­tion und Per­so­n­en­führer Lud­wig A. für dessen Kom­plizen hiel­ten — in ein­er Nacht- und Nebel-Aktion Hans G.s Wohnung. 

*/ ** Hans G. und Lud­wig A. sind fik­tive Namen. 

 

 

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