POTSDAM — Das brandenburgische Innenministerium hat gestern Vorwürfe zurückgewiesen, durch einen aus dem Ruder gelaufenen V‑Mann des Verfassungschutzes politisch unter Druck zu stehen. Wie der Vize-Sprecher des Ministeriums, Wolfgang Brandt, sagte, gebe es keine Anhaltspunkte, dass der in Berlin inhaftierte V‑Mann Toni S. bei der Produktion rechtsextremistischer CDs mitgewirkt habe, auf denen zum Mord an bekannten Persönlichkeiten aufgerufen werde.
Der Verfassungsschutz habe auch niemals Gelder zur Herstellung von so genannter Hass-Musik zur Verfügung gestellt. Nach MAZ-Recherchen hat der 27-jährige Spitzel, der Anfang 2000 vom Verfassungsschutz zur Ausforschung der €paweit tätigen rechtsradikalen Musikszene angeworben worden war, Ende 2000 bei der Herstellung der CD „Noten des Hasses“ aktiv mitgewirkt. Laut Brandt sei dem V‑Mann lediglich der begrenzte Handel mit den CDs zur Aufrechterhaltung seiner Tarnung erlaubt worden.
Toni S., der am 20. Juli von der Berliner Polizei verhaftet worden war, soll in Verhören erklärt haben, dass die Tonträger auch mit Geld des Brandenburger Verfassungsschutzes produziert wurden.
Dem Vernehmen nach hat sich Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) – derzeit noch im Urlaub – gestern von Verfassungsschutzchef Heiner Wegesin ausführlich über die Aktivitäten des V‑Manns informieren lassen. Für den Minister ist die Affäre brisant. Nicht nur die oppositionelle PDS, sondern auch der eigene Koalitionspartner SPD haben das offensichtlich freihändige Agieren des Spitzels kritisiert. Während die PDS bereits Konsequenzen fordert, verlangt die SPD Aufklärung darüber, ob der V‑Mann Straftaten begangen hat. Die Parlamentarische Kontrollkommission, die den Geheimdienst kontrolliert, will sich kommende Woche mit dem Fall beschäftigen.
Für das Schönbohm-Ministerium ist der Fall auch deshalb pikant, weil er Ärger mit den Nachbarn in Berlin verursacht hat. Ohne Abstimmung mit Potsdam hatten die Berliner Toni S. auffliegen lassen. Dafür waren die Hauptstädter von der märkischen Koalition schwer geprügelt worden. Nun scheint es, als wende sich der V‑Mann mit seinen Aussagen gegen die einstigen Auftraggeber. „Der kann doch jeden Tag ein anderes Märchen erzählen, und wir müssen zusehen“, heißt es in Potsdam.
Rückendeckung erhalten die märkischen Verfassungsschützer bei ihrem umstrittenen V‑Mann-Einsatz von Fachleuten. So erklärte Hans-Peter Bull, emeritierter Verwaltungsrechtler an der Universität Hamburg und Ex-Innenminister von Schleswig-Holstein, gestern gegenüber MAZ: „Es ist immer so in dieser Szene, dass Informanten nicht einfach gehorchen.“ Ähnlich argumentiert der Staatsrechtsprofessor Wolfgang Löwer von der Universität Bonn, der den Bundestag als Prozessbevollmächtigter im NPD-Verbotsverfahren vertritt: „Im Grundsatz gilt aber, dass der V‑Mann nach Begehen einer Straftat sofort abgeschaltet werden muss.“ Bei Toni S., der eine CD mit Mordaufrufen mitproduziert und vertrieben haben soll, sei das vermutlich der Fall. Aber auch hier müsse abgewogen werden. Die Bewertung hänge davon ab, wie nahe der Verfassungsschutz der Aufklärung des gesamten CD-Vertriebsnetzes gewesen sei. „Da die CD mit den Mordaufrufen ohnehin schon produziert war, überwog möglicherweise der Vorteil, der Täter insgesamt habhaft werden zu können“, so Löwer.
Beide Juristen halten die Zusammenarbeit mit V‑Leuten für nötig. So gibt es für Bull keinen Ausweg aus dem Dilemma, dass der Staat sich mit Leuten einlassen muss, „die nicht gerade zum Notar taugen“. Löwer sieht zwar die Gefahr, dass die Informanten aus dem Ruder laufen können, hält aber den Spitzel-Einsatz mit all seinen Risiken für unverzichtbar: „Es gab noch nie ein Vereinsverbot, bei dem wesentliche Erkenntnisse nicht von V‑Leuten kamen.“