POTSDAM/BERLIN Die Parlamentarische Kontrollkommission (PKK) des Landtags hat das Verhalten des Potsdamer Verfassungsschutzes in der V‑Mann-Affäre um den Cottbuser Neonazi Toni S. gestern gebilligt. Zugleich machte das Gremium Berliner Strafverfolgungsbehörden für einen schweren Rückschlag in der Bekämpfung des Rechtsextremismus verantwortlich. Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) räumte allerdings ein, dass Spitzel S. ohne Wissen des Geheimdienstes Straftaten begangen hatte. Die PDS sprach deshalb davon, Toni S. sei “aus dem Ruder gelaufen”.
Mit der Enttarnung des Agenten habe Berlin die koordinierte Arbeit mehrerer deutscher und ausländischer Nachrichtendienste “in unwiederbringlicher Weise kaputtgemacht”, kritisierte PKK-Vorsitzender Christoph Schulze (SPD). Die unter brandenburgischer Federführung geplante Zerschlagung eines €paweiten rechtsextremen Musiknetzwerkes sei “in greifbarer Nähe” gewesen. Der durch das unabgestimmte Agieren der Berliner Exekutive und der Festnahme des 27-jährigen V‑Manns angerichtete “Flurschaden” sei “gigantisch” und “völlig unnötig” gewesen, beklagte Schulze. “Es ist unerklärlich, was einige Leute in Berlin da geritten hat.”
Fehler des Potsdamer Geheimdienstes in der V‑Mann-Affäre konnte die PKK nach eigener Auskunft nicht erkennen. Nach ausführlicher Information durch Verfassungsschutzchef Heiner Wegesin hätten “alle Mitglieder” zum Ausdruck gebracht, “dass man Hintergründe, Anlass und Ablauf vollständig nachvollziehen kann”, betonte Schulze. “Die PKK billigt unter Maßgabe des jetzigen Informationsstandes das Handeln der Behörde”, hieß es. Es sei nach jetzigem Wissensstand auch nicht erkennbar, dass aus der Affäre strukturelle Konsequenzen gezogen werden müssten: weder für den Umgang der Behörde mit Vertrauensleuten noch für Entscheidungsabläufe innerhalb der Geheimdienstbehörde. Diese Auffassung vertrat auch Innenminister Schönbohm (CDU). Präzisiert werden soll möglicherweise das brandenburgische Verfassungsschutzgesetz.
Allein die PDS, die eine Zusammenarbeit mit V‑Leuten grundsätzlich ablehnt, betrachtet das Handeln des Verfassungsschutzes nach wie vor mit Skepsis. Die innenpolitische Sprecherin der Fraktion, Kerstin Kaiser-Nicht, die ihre Partei in dem vierköpfigen Kontrollgremium vertritt, beantragt weiterhin Akteneinsicht. Die SPD-CDU-Mehrheit in der PKK hatte den Antrag abgelehnt und auf die nächste Sitzung am 22. August vertagt, an der auch Berliner Behördenvertreter teilnehmen sollen. Es sei dennoch “unerklärlich”, so Kaiser-Nicht, “dass die PKK ihr Akteneinsichtsrecht nicht wahrnimmt” — zumal bereits nach jetzigem Erkenntnisstand erstaunen müsse, “dass sich ein V‑Mann in dem Umfang an der Verbreitung rechtsextremer CDs beteiligen konnte”. Dies sei “ein Skandal”.
Die Berliner Staatsanwaltschaft ermittelt nach wie vor gegen Toni S. Es werde im Zusammenhang mit der Zweitauflage der CD “Noten des Hasses” weiter “geprüft, in welchem Umfang er an Herstellung und Vertrieb beteiligt” war, sagte Sprecherin Ariane Faust. Weder Toni S. noch dem Berliner Lars B., der als zweiter Beschuldigter in dem Verfahren in Untersuchungshaft sitzt, werde vorgeworfen, Mitglied der Neonazi-Band “White Aryan Rebels” zu sein. Aus Kreisen Berliner Sicherheitsbehörden wurde S. bislang als Kopf der Band bezeichnet. Der brandenburgische Verfassungsschutz hatte dies stets bestritten und statt dessen den ehemaligen Berliner Vorsitzenden der verbotenen rechtsextremen FAP, Lars B., in dieser Rolle gesehen.
Den Verdacht, dass es in Brandenburg einen zweiten V‑Mann-Skandal gebe, wies die PKK gestern ebenfalls einstimmig zurück. Der ehemalige Brandenburg-Sektionschef der verbotenen militanten Skinhead-Gruppe Blood & Honour sei zu keinem Zeitpunkt Informant, Tipgeber oder V‑Mann des Landeskriminalamtes gewesen, erklärte Christoph Schulze. Sven Sch., der deutschlandweit mit rechtsextremer Musik handelt, war auf einer neonazistischen Internet-Seite als LKA-Spitzel bezeichnet worden. Als Beleg diente ein Vermerk des Landeskriminalamts Sachsen-Anhalt. “Der Vermerk ist inhaltlich falsch”, sagte Schulze.
Kommentar von Frank Schauka
Fehler
Die V‑Mann-Affäre um den enttarnten Spitzel Toni S. ist noch nicht restlos aufgeklärt, eine Schadensbilanz lässt sich dennoch ziehen: Fehler gemacht haben Brandenburger wie Berliner Behörden. Unbestritten war der Potsdamer Nachrichtendienst über Eigenmächtigkeiten seines Spitzels beim Vertrieb von Nazi-Musik nicht ausreichend im Bilde. Insofern war S. “aus dem Ruder gelaufen”. Ein Skandal erwüchse daraus, sollte sich bewahrheiten, was die Berliner unterstellen: Dass ein märkischer Geheimdienst-Angestellter den überzeugten Neonazi S. vor Durchsuchungen warnte. Indiskutabel bleibt in jedem Fall, dass Berliner Sicherheitsbehörden Toni S. ohne Abstimmung mit Potsdamer Stellen festnahmen, ihn durch eine Indiskretion enttarnten und in Lebensgefahr brachten. Ein Berliner Alleingang wäre nur zur rechtfertigen, wenn es Grund zu der Annahme gäbe, dass dem brandenburgischen Verfassungsschutz bis in die Führungsspitze die nötige Distanz zur rechtsextremen Szene fehlt. Diese Annahme aber ist absurd.