POTSDAM/BERLIN Der im Juli 2002 von Berliner Behörden enttarnte V‑Mann des brandenburgischen Verfassungsschutzes, der Cottbuser Neonazi Toni S., wird nach Informationen der MAZ nicht in ein Zeugenschutzprogramm übernommen. Berlin und Brandenburg hätten sich lediglich “auf geeignete Schutzmaßnahmen geeinigt”, bestätigte der Sprecher des Potsdamer Innenministeriums, Heiko Homburg. Jede Maßnahme hänge von einer “Gefährdungsanalyse” im Einzelfall ab.
Normalerweise bewahrt der Staat enttarnte Vertrauensleute mit kostspieligen Schutzprogrammen vor möglichen Racheakten. Unter anderem wird den Ex-Informanten eine neue Identität verschafft. Bei Toni S. wurde auf den Aufwand wohl deshalb verzichtet, weil er seinen Auftraggeber, die Potsdamer Verfassungsschutzbehörde, offenbar systematisch hintergangen hatte.
Welche Rolle V‑Mann Toni S. in der rechtsextremen Musikszene gespielt hat, beschäftigt am kommenden Dienstag das Kriminalgericht in Moabit. Die Berliner Staatsanwaltschaft wirft dem 28-Jährigen vor, eine CD hergestellt und vertrieben zu haben, die zur Tötung prominenter Personen des öffentlichen Lebens aufhetzt. Es handelt sich um die CD “Noten des Hasses” der Neonazi-Band “White Aryan Rebels”. Von dieser bisher einzigen CD der obskuren Band wurden Ende 2000 etwa 2800 Exemplare produziert. Diese Erstauflage wurde bis etwa April 2001 komplett verkauft.
Laut Berliner Staatsanwaltschaft gehörte V‑Mann Toni S. zu den “Hauptinitiatoren bei Herstellung und Vertrieb der CD”. Der zweite Hauptinitiator sei Mirko Hesse gewesen. Der Neonazi aus Sachsen gilt als V‑Mann des Bundesamtes für Verfassungsschutzes und als einer der maßgeblichen Neonazis im rechtsextremen Musikgewerbe. Demnach hätten V‑Leute zweier Geheimdienste eine der gefährlichsten Neonazi-CD der vergangenen Jahre produziert.
Dass Toni S. Geschäfte abwickelte, von denen der Verfassungsschutz nichts wusste, wird nicht mehr bestritten. Wahrscheinlich hatte Toni S. knapp dreimal so viele “Noten des Hasses” verkauft (1400 Exemplare), wie ihm der brandenburgische Verfassungsschutz gestattet hatte (500 Stück). Nach dessen Plänen sollte Toni S. das neonazistische Musikgeschäft durch eigenes Mitwirken infiltrieren, um bei der Aufdeckung €paweiter Produktions- und Handelsstrukturen mitzuwirken.
Strittig bleibt jedoch, ob Toni S. der “Kopf” der “White Aryan Rebels” war — wovon die Berliner Staatsanwaltschaft ausgeht. Brandenburger Behörden sind hingegen überzeugt, dass die Berliner Neonazi-Größe Lars Burmeister hinter den “White Aryan Rebels” steckte. Der 40-Jährige, der seit mehr als zehn Jahren zu den Top-Neonazis in der Hauptstadt zählt, habe die Texte geschrieben und die Songs gesungen. Stimmenanalysen hätten dies belegt.
Der Prozess gegen Toni S. könnte am Rande bereits Einzelheiten von besonderer Pikanterie zur Sprache bringen, die möglicherweise erst zu einem späteren Zeitpunkt in konzentrierter Form vor dem Landgericht Cottbus verhandelt werden. Die Staatsanwaltschaft Cottbus ermittelt derzeit gegen jenen Mitarbeiter des brandenburgischen Verfassungsschutzes, der Toni S. betreut hat.
Die Rolle, die der V‑Mann-Führer mit dem Tarnnamen “Dirk Bartok” spielte, erscheint manchem merkwürdig. Die Berliner Staatsanwaltschaft vermutet sogar, dass Bartok die kriminellen Machenschaften von Toni S. ermöglicht und teilweise gedeckt hat. Angeblich hat Bartok seinen V‑Mann vor einer geplanten Durchsuchungen seiner Wohnung gewarnt. Ob dies zu den routinemäßigen Ermahnungen des V‑Mann-Führers an den V‑Mann, keine Straftaten zu begehen, gehörte, soll überprüft werden. Tatsächlich wurde die Cottbuser Wohnung des V‑Manns im März dieses Jahres durchsucht. Belastendes wurde jedoch nicht gefunden.
Nach MAZ-Informationen wurde ausgerechnet V‑Mann-Führer Bartok nicht über diese von der Staatsanwaltschaft Cottbus angeordnete Durchsuchung informiert. Das Fazit müsste theoretisch lauten: Wer nichts wusste, konnte nichts verraten. Ob jedoch der V‑Mann-Führer, der nach Aktenlage nichts von dieser Durchsuchung wissen konnte, in der Praxis des Berufsalltags tatsächlich nichts wusste, ist so sicher nicht.