Politisches Nachspiel im Parlament nach neuen Vorwürfen gegen Verfassungsschutz
(Tagesspiegel) Potsdam. Durch den neuen Verdacht in der V‑Mann-Affäre gerät das
Innenministerium unter Druck. Die PDS-Fraktion im Landtag verlangt von
Minister Jörg Schönbohm, endlich Akteneinsicht zu gewähren, damit die
Hintergründe des Verrats einer Polizeirazzia durch einen V‑Mann des
Verfassungsschutzes aufgeklärt werden können. “Schönbohm muss die Akten frei
geben”, sagte gestern der Parlamentarische Geschäftsführer der PDS-Fraktion,
Heinz Vietze. Außerdem kündigte die innenpolitische Sprecherin der
PDS-Fraktion, Kerstin Kaiser-Nicht, für nächste Woche eine Sondersitzung der
Parlamentarischen Kontrollkommission an. Anlass ist der gestrige
Tagesspiegel-Bericht über die mögliche Verstrickung eines leitenden
Verfassungsschützers in die Affäre. Sollte sich der Verdacht bestätigen,
werde er wie schon im August den Rücktritt von Verfassungsschutzchef Heiner
Wegesin verlangen, sagte der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion,
Werner-Siegwart Schippel.
Aus Sicherheitskreisen hatte der Tagesspiegel erfahren, der einstige
V‑Mann-Führer mit dem Decknamen “Max” habe in einer Aussage bei der
Staatsanwaltschaft Potsdam seinen früheren Vorgesetzten belastet. Demnach
soll der leitende Beamte gegenüber “Max” geäußert haben, am 17. Februar 2001
werde die Potsdamer Polizei die Wohnungen mehrerer Neonazis durchsuchen. Der
Vorgesetzte habe außerdem “Max” aufgefordert, den rechtsextremen V‑Mann
Christian K. vor der Razzia zu warnen.
Dies geschah dann auch. Kurz darauf, am 6. Februar, informierte K.
telefonisch den Neonazi-Anführer Sven S., dass am 17. Februar eine
Durchsuchungsaktion zu erwarten sei. Das Landeskriminalamt hörte mit und
alarmierte die Potsdamer Polizei. Diese zog die Razzia eilig auf den 7.
Februar vor, fand aber nicht die erhofften Hinweise auf die Terrorgruppe
“Nationale Bewegung”. Sie ist für zahlreiche Straftaten verantwortlich, bis
hin zu Brandanschlägen. Gegen die Gruppe ermittelt Generalbundesanwalt Kay
Nehm seit Januar 2001 — ohne Erfolg.
Nach Informationen des Tagesspiegels war der V‑Mann-Führer “Max” selbst
überrascht, dass sein Vorgesetzter ihm ausnahmsweise das genaue Datum einer
Razzia nannte. Auch der inzwischen wegen Geheimnisverrats zu einer
Bewährungsstrafe verurteilte Ex-Spitzel Christian K. sagte im Juni dem
Tagesspiegel, abweichend von den sonst üblichen allgemeinen Warnungen habe
ihm sein V‑Mann-Führer in diesem Fall den Termin der bevorstehenden Razzia
genannt. Warum das geschah, bleibt unklar. Das Innenministerium teilte
gestern nur mit, aus den von der Staatsanwaltschaft überreichten Unterlagen
ließen sich die jetzt erhobenen Vorwürfe nicht nachvollziehen.
In Sicherheitskreisen wird auch gerätselt, warum der V‑Mann-Führer “Max” in
sechs dienstlichen Erklärungen log, er habe dem Spitzel das Datum der Razzia
nie genannt — obwohl sich “Max” darauf hätte berufen können, er habe die
Weisung seines Vorgesetzten erfüllt. Einige Experten schließen nicht aus,
der Vorgesetzte von “Max” könnte von Anfang an gewusst haben, dass die
dienstlichen Erklärungen unrichtig sind. Verwunderlich sei auch, dass
Christian K. trotz des Verrats der Razzia noch mindestens 15 Monate vom
Verfassungsschutz als V‑Mann geführt und bezahlt wurde.
V‑Mann-Affäre brodelt weiter
PDS fordert Akteneinsicht / Grünen-Kritik
(MAZ) POTSDAM Die V‑Mann-Affäre in Brandenburg sorgt weiter für Aufsehen. Nach
einem Bericht des “Tagesspiegel” soll neben einem V‑Mann-Führer auch ein
leitender Beamter des Verfassungsschutzes in die Affäre um den Verrat einer
Razzia in der Neonazi-Szene verwickelt sein. Der Beamte soll den
V‑Mann-Führer mit dem Decknamen “Max” aufgefordert haben, den Termin für die
Razzia an den rechtsextremen Spitzel Christian K. weiterzugeben.
Der Landesvorstandssprecher der Grünen, Roland Vogt, reagierte bestürzt auf
den Bericht. Eine solche “gespenstische Verquickung zwischen Regierungsmacht
und rechtsextremer Szene” stelle eine erhebliche Gefahr für die Demokratie
und den Rechtsstaat dar, sagte er. Vogt forderte, dass die PKK “endlich
Klarschiff machen” müsse. Dazu gehöre auch die Forderung nach personellen
Konsequenzen im Verfassungsschutz oder im Innenministerium.
Der parlamentarische Geschäftsführer der PDS-Fraktion, Heinz Vietze, dringt
unterdessen weiter auf Akteneinsicht. Der Vorsitzende der Parlamentarischen
Kontrollkommission, Christoph Schulze (SPD), hat für die kommende Woche eine
Sondersitzung des Gremiums einberufen. Das Innenministerium müsse zu den
Vorwürfen Stellung beziehen.
Ein Sprecher des Innenministeriums sagte, zu den angeblichen Vorgängen gebe
es keine Ermittlungen der Staatsanwaltschaft. Es sei bekannt, dass die
Abläufe im Innenministerium auch disziplinarrechtlich geprüft werden. Aus
den dafür auch seitens der Staatsanwaltschaft zur Verfügung gestellten
Unterlagen ließen sich die konkreten Vorwürfe nicht nachvollziehen.
Nach den neuesten Erkenntnissen soll die im Februar 2001 geplante Razzia in
der Neonazi-Szene auf Initiative eines leitenden Beamten verraten worden
sein. Das habe “Max” bei der Staatsanwaltschaft ausgesagt, heißt es aus
Sicherheitskreisen. Bislang hieß es stets nur, dass der V‑Mann den Termin
bekannt gemacht habe.