(Tagesspiegel, 2.9.) Potsdam. In der V‑Mann-Affäre geraten jetzt die Regierungspartner SPD und
CDU aneinander. Der SPD-Abgeordnete Werner-Siegwart Schippel, Mitglied der
Parlamentarischen Kontrollkommission, fordert von CDU-Innenminister Jörg
Schönbohm die Entlassung von Verfassungsschutz-Chef Heiner Wegesin. Außerdem
solle sich Schönbohm vor dem Landtag entschuldigen. “Ich fordere die
Übernahme der politischen Verantwortung durch den Minister, weil er Chef des
Hauses ist, aus dem heraus ein Gremium des Parlaments belogen worden ist”,
sagte Schippel dem Tagesspiegel, nachdem die Parlamentarische
Kontrollkommission am Dienstag wegen der V‑Man-Affäre zu einer erneuten
Sondersitzung zusammengekommen war. PDS-Fraktionschef Lothar Bisky forderte
ebenfalls, dass der Innenminister Konsequenzen aus V‑Mann-Affäre ziehen
müsse. Die Grünen verlangten die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses.
Der V‑Mann Christian K. hatte im Februar 2001 eine geplante Polizeirazzia an
einen Neonazi verraten. Die Staatsanwaltschaft Potsdam ermittelte nun, dass
er den Tipp von seinem V‑Mann-Führer (Deckname “Max”) bekommen hatte — was
dieser in sechs dienstlichen Erklärungen bestritten hatte. Unter Berufung
darauf wies Schönbohm bisher alle Vorwürfe gegen den Verfassungsschutz
zurück. Schippel warf Schönbohm vor, er habe “lange genug Zeit gehabt, um
aufzuklären, was wirklich passiert ist”. Die Affäre mache Brandenburg
lächerlich und erschüttere das Vertrauen in den Verfassungsschutz.
Auch der Chef der Parlamentarischen Kontrollkommission, Christoph Schulze
(SPD), sprach nach der Sitzung von einer “neuen Qualität”: Erstmals sei ein
V‑Mann-Führer “aus dem Ruder gelaufen”. Das sei der “größte anzunehmende
Unfall”. Schulze sieht keinen Grund für einen Rücktritt Wegesins. Er könne
nichts dafür, von einem Mitarbeiter getäuscht worden zu sein. Laut Schulze
hat Schönbohm bedauert, die Kommission falsch informiert zu haben. Vor der
Sitzung hatte Schulze eine Entschuldigung Schönbohms gefordert, was dieser
ablehnte. Schulze meinte, nichts sei mehr so wie vorher, warnte jedoch vor
einem “Generalmisstrauen gegenüber dem Verfassungschutz”.
An der Sitzung der Kontrollkommission nahmen neben Schönbohm und seinem
Staatssekretär Eike Lancelle auch Verfassungsschutzchef Wegesin und
Generalstaatsanwalt Erardo Rautenberg teil. Schönbohm versicherte hinterher,
der Verdacht sei ausgeräumt, ein zweiter V‑Mann-Führer (Deckname “Dirk”)
habe von den Lügen gewusst. Dies hatte der ehemalige Spitzel Christian K.
gegenüber dem Tagesspiegel behauptet. Unklar bleibt allerdings auch, ob eine
weitere Aussage von K. zutrifft: Demnach hat V‑Mann-Führer “Max” vor der
geplanten Razzia ungewöhnlich detailliert gewarnt. “Max” soll das Datum
genannt und erwähnt haben, bei den Durchsuchungen gehe es auch um die
Terrorgruppe “Nationale Bewegung”. Gegen sie ermittelt Generalbundesanwalt
Kay Nehm — seit Januar 2001, ohne jeden Erfolg.
V‑Leute halfen bei Hass-CD mit
Aussage im Landser-Prozess
(Berliner Zeitung, 2.9.) BERLIN, 2. September. Im Berliner Prozess gegen Mitglieder der
rechtsextremen Rockgruppe Landser hat am Dienstag ein früherer V‑Mann des
Verfassungsschutzes seine Beteiligung an der Produktion einer CD der Band
eingeräumt. Der Zeuge, der inzwischen wegen Volksverhetzung zu einer
Gefängnisstrafe verurteilte sächsische Neonazi Mirko Hesse, sagte zudem aus,
dass noch ein weiterer V‑Mann wesentlich an der Herstellung der Landser-CD
“Ran an den Feind” mitgewirkt habe. Dabei soll es sich um den inzwischen
ebenfalls verurteilten Toni Stadler aus Brandenburg handeln, der vom
dortigen Landesamt für Verfassungsschutz geführt wurde.
Hesse gab an, im Frühsommer 2000 von dem Produzenten der Landser, Jan
Werner, mit der Herstellung der CD beauftragt worden zu sein. Bei dem
Gespräch an der Autobahnabfahrt Radeberg sei auch Stadler dabei gewesen, der
die Produktion des Booklets der CD übernahm. “Ohne Toni Stadler lief in der
Szene damals gar nichts”, würdigte Hesse die Qualitäten seines
V‑Mann-Kollegen. Stadler sei es auch gewesen, der von ihm immer weitere
Nachpressungen der “Ran an den Feind”-CD verlangt habe. Die Platten seien in
der rechtsextremen Szene sehr gefragt gewesen.
Seit Mitte August müssen sich drei Landser-Musiker vor dem Berliner
Kammergericht verantworten. Die Bundesanwaltschaft wirft ihnen Bildung einer
kriminellen Vereinigung, Volksverhetzung und Aufforderung zu Straftaten vor.
So rufen die Landser-Musiker zum Beispiel auf der unter den Augen des
Verfassungsschutzes produzierten Hass-CD “Ran an den Feind” zum Mord an
Juden und Ausländern sowie zur Tötung von Verantwortlichen der
Wehrmachtsausstellung auf.
V‑Mann-Affäre ohne personelle Konsequenzen
Neue Aufgabe für umstrittenen Verfassungsschützer
(Berliner Zeitung, 2.9.) POTSDAM. Die V‑Mann-Affäre wird für Innenminister Jörg Schönbohm immer
peinlicher. Nicht nur, dass der CDU-Chef am Dienstag vor der
Parlamentarischen Kontrollkommission (PKK) eingestehen musste, dass ein
ehemaliger V‑Mann-Führer seiner Behörde in sechs dienstlichen Erklärungen
offenbar gelogen hat. Nach der jüngsten Umorganisation hat der belastete
Beamte seit dem 1. August sogar einen Job in Schönbohms neuer “Denkfabrik”
bekommen: In der neu geschaffenen Ministeriums-Abteilung SP (Strategie und
Planung), intern auch “Schönbohm-Power” genannt.
Erst bei Vernehmungen durch die Staatsanwaltschaft hat der ehemalige
Verfassungsschützer — offenbar aus Furcht vor strafrechtlichen Folgen -
jetzt eingeräumt, dass er vor zweieinhalb Jahren doch einem von ihm
geführten V‑Mann der rechten Szene das Datum einer geplanten Polizeirazzia
verraten hatte. Gegenüber dem Ministerium hatte er das bestritten. Deswegen
hatte auch Schönbohm solche Vorwürfe vor der PKK stets zurückgewiesen.
Teile der SPD fordern deswegen jetzt den Rücktritt von
Verfassungsschutz-Chef Heiner Wegesin. “Wer nicht garantieren kann, dass
seine Informationen der Wahrheit entsprechen, ist überfordert”, sagte der
Innenexperte Siegwart Schippel. Zudem müsse sich Schönbohm entschuldigen.
Die PDS-Opposition hatte bereits am Wochenende Schönbohms Rücktritt
gefordert. Der Grünen-Vorsitzende Roland Voigt nannte die Vorgänge im
Innenministerium skandalös und verlangte einen Untersuchungsausschuss.
Der PKK-Vorsitzende Christoph Schulze (SPD) wollte von personellen
Konsequenzen im Innenministerium nach der am Dienstag eilends einberufenen
Sondersitzung des Kontrollgremiums allerdings nichts wissen. Persönlich sei
der Hausspitze bis hin zu Wegesin nichts vorzuwerfen. Man sei den Lügen
eines Mitarbeiters aufgesessen. Schönbohm habe das bedauert. Allerdings sei
das Vertrauensverhältnis empfindlich belastet, sagte Schulze: “Das war der
größte anzunehmende Unfall. So etwas darf sich nicht wiederholen.”
Auf seinem Posten bleibt vorerst auch der der Lüge überführte
Ministeriums-Mitarbeiter. Schönbohm kündigte lediglich disziplinarische
Ermittlungen an. Zunächst aber müsse der Mann angehört werden — nach der
Rückkehr aus dem Urlaub. “Es gibt ein Dienstrecht. Daran muss ich mich
halten”, sagte Schönbohm.
Justizministerin Barbara Richstein (CDU) hatte kürzlich einen
Abteilungsleiter vom Dienst suspendiert, weil er für die Genehmigung
fragwürdiger Trennungsgeldzahlungen an ihren Ex-Staatssekretär zuständig
war.