Nach dem Urteil des Berliner Landgerichtes gegen den ehemaligen V‑Mann aus Cottbus, Toni S., hatten viele gehofft, jetzt würde Klarheit in die Rolle des märkischen Geheimdienstes bei der Herstellung und Verteilung der rechtsradikalen Hass-CD gebracht. Bisher vergeblich. Parlamentarische Vorstöße der PDS wurden abgeschmettert.
Für Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm hatte der Berliner Prozess gegen den Ex-V-Mann Toni S. aus Cottbus “eine politische Dimension”. Die bekommt nun auch der Umgang mit der Spitzel-Affäre in Brandenburg. Ein Anhaltspunkt dafür: Der in dieser Angelegenheit kritische Brandenburger Generalstaatsanwalt Erardo Rautenberg darf sich in Sachen V‑Mann vorläufig nicht mehr öffentlich äußern.
Vorläufiges Stillschweigen
Dazu gibt es eine “Vereinbarung” zwischen dem Generalstaatsanwalt und der ihm weisungsbefugten Justizministerin Barbara Richstein, wie Innenminister Jörg Schönbohm CDU-Mitglied. Rolf Grüne- baum, Rautenbergs Sprecher, bestätigt das und sagt darüber hinaus kein Wort. Erardo Rautenberg hatte für Schlagzeilen gesorgt, weil er vor einiger Zeit öffentlich äußerte, nach seiner Auffassung dürften V‑Leute keineswegs ohne Folgen Straftaten begehen, selbst dann nicht, wenn dadurch Hintermänner aufgedeckt werden könnten. Damit hatte Rautenberg, bezogen auf die Affäre um Toni S., der Auffassung von Schönbohm widersprochen. Der hielt die Verbreitung von Propagandamitteln für möglicherweise gerechtfertigt, wenn sie der Abwehr verfassungsfeindlicher Bestrebungen diene. Und Rautenberg ging noch weiter. Mit einem Schreiben an seine Kollegen in anderen Bundesländern und an den Generalbundesanwalt stieß er eine öffentliche Diskussion zu dieser Frage an. Die ist in Brandenburg nun vorerst zu Ende. Auch was viele seiner Kollegen ihm bisher geantwortet haben, muss Rautenberg vorerst für sich behalten. Justizministerin Barbara Richstein bestätigt die “Vereinbarung, sich vorerst nicht mehr zu diesem Thema zu äußern”. Deshalb will die Justizministerin auch nichts dazu sagen, welche Rechtsauffassung sie selbst und ihre Fachabteilung für Strafrecht in dieser Frage vertreten. Jede Einflussnahme auf die in Cottbus laufenden Ermittlungen zur Verstrickung des V‑Mann-Führers von Toni S. weist die Ministerin jedoch entschieden zurück. Sie habe sich bisher nur darüber informiert, ob bestimmte, über die Presse bekannt gewordene Fakten in den nach Cottbus abgegebenen Ermittlungsunterlagen enthalten seien. Für den Vorsitzenden des Richterbundes in Brandenburg, Wolf Kahl, zeigt der Vorgang, wie unhaltbar es sei, dass der Generalstaatsanwalt in Brandenburg politischer Beamter und damit vom Justizministerium weisungsabhängig sei. Nur fünf Bundesländer hielten noch an dieser Struktur fest, so Kahl. Als politischer Beamter soll der Generalstaatsanwalt jederzeit mit den politischen Zielen der Landesregierung übereinstimmen”, kritisiert der Richterbundsvorsitzende, “da sind Konflikte vorprogrammiert”. Eine Aufklärung sei in diesem Klima erschwert. Juristisch aufklären soll die Affäre nun die Cottbuser Staatsanwaltschaft. Bei ihr läuft ein Ermittlungsverfahren wegen Strafvereitelung gegen den V‑Mann-Führer von Toni S., Tarnname “Dirk Bartok”. Zur Zeit warten die Cottbuser Ermittler auf das ausführliche schriftliche Urteil gegen Toni S. vom Landgericht Berlin. Ihre Möglichkeiten, aufzuklären, inwieweit Bartok vom massiven Handel des V‑Mannes mit rechtsradikalen CDs wusste, sind jedoch sehr begrenzt. Bartok hätte als Beschuldigter das Recht, die Aussage zu verweigern. Bisher ist er jedoch noch nicht vorgeladen worden. Toni S., der vor einer Woche verurteilte Ex-V-Mann, hat in einer ersten Vernehmung vor seiner Verurteilung auch geschwiegen. Jetzt, nachdem sein Urteil rechtskräftig ist, hat er diese Möglichkeit nicht mehr. Trotzdem darf bezweifelt werden, ob er Bartok noch einmal so schwer belastet wie in dem Berliner Verfahren. Schließlich sorgt die Brandenburger Polizei derzeit dafür, dass S. vor möglicher Rache aus der braunen Szene geschützt wird. Von Berliner Ermittlern mitgeschnittene Telefongespräche zwischen Bartok und seinem Spitzel, die den V‑Mann-Führer belasten, dürfen außerdem vermutlich in den Cottbuser Ermittlungen aus rechtlichen Gründen nicht verwendet werden. Das Landgericht Berlin hatte den Cottbuser Ex-V-Mann wegen Beteiligung an Herstellung und Vertrieb der Hass-CD mit Mordaufrufen zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. Das sei, so das Berliner Landgericht in der Urteilsbegründung, mit Wissen und Duldung des Bran- denburger Verfassungsschutzes geschehen. Jörg Schönbohm wies das am Donnerstag im Landtag zurück. Als die PDS dort nach den Konsequenzen aus dem Berliner Urteil fragte, sagte der Innenminister, die Hass-CD sei bereits produziert gewesen, bevor der Geheimdienst davon erfahren habe. Dass die CD produziert war, sei dem Verfassungsschutz erst erkennbar geworden, als der V‑Mann eine fertige CD übergeben habe, konkretisierte das Innenministerium auf Nachfrage. Das steht im klaren Widerspruch zu dem, was Ex-V-Mann Toni S. bei der Berliner Polizei ausgesagt hatte. Der ehemalige Zuträger schilderte dort, dass Verfassungsschutzmitarbeiter Bartok, ihn wenige Wochen nach der Anwerbung im Herbst 2000 gefragt habe, ob er weiß, dass die Hass-CD hergestellt werden soll. Er habe das bestätigt und gesagt, dass es jetzt konkret werde. Nach Ermittlungen der Berliner Staatsanwaltschaft waren die CDs nach dem Brennen in Thailand Mitte Januar 2001 nach Deutschland geliefert worden. Nach ihren Erkenntnissen hatte der Ex-V-Mann auch erst im November und Dezember 2000 Werbeaufkleber und Hüllen für die CD in Gubin drucken lassen. Das, so versichert das Innenministerium, habe er seinem V‑Mann-Führer verheimlicht. Toni S. wurde nach Angaben des Innenministeriums schon in der ersten Hälfte des Jahres 2000 Spitzel, ein halbes Jahr vor der CD-Produktion.
Kein Interesse an Akteneinsicht
Die Anregung der Berliner Richter, mit einem Untersuchungsausschuss in Brandenburg aufzuklären, wie eng die Zusammenarbeit zwischen Toni S. und Dirk Bartok war, hat Angesichts einer großen Koalition in Potsdam kaum Aussicht auf Erfolg. In der Parlamentarischen Kontrollkommission, die den Geheimdienst überwachen soll, lehnte die Koalitionsmehrheit von SPD und CDU bereits die PDS-Forderung nach Akteneinsicht beim Verfassungsschutz ab. Es gebe keine neuen Sachverhalte, deshalb müsse man auch nicht in die Akten schauen, begründete der Kommissionsvorsitzende Christoph Schulze (SPD) den fehlenden Aufklärungsdrang.