BERLIN
Im Prozess gegen den brandenburgischen V‑Mann und Neonazimusikhändler Toni S. hat der Angeklagte die seit Monaten schwelenden Vorwürfe gegen den brandenburgischen Verfassungsschutz bestätigt. Toni S. wird vorgeworfen, maßgeblich an der Produktion und dem Vertrieb der CD “Noten des Hasses” beteiligt gewesen zu sein. “Der Angeklagte fühlte sich durch seinen V‑Mann-Führer geschützt”, so Verteidiger Klaus Linten.
Der 28jährige S., der in Guben über mehrere Jahre einen rechten Laden und Versand betrieb, zeigte sich gestern vor dem Landgericht Berlin geständig. Gemeinsam mit dem mutmaßlichen V‑Mann des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Mirko Hesse aus Sebnitz, und dem Berliner Neonazikader Lars Burmeister habe er im Jahr 2000 die CD, deren Texte offen zum Mord an Schwarzen, Juden und Politikern aufrufen, in einer Auflage von 3.000 Stück in Umlauf gebracht. Im Sommer 2000 sei er dann von Beamten des Brandenburger Verfassungsschutzes angeworben worden. Er erhielt einen “Amtscomputer” für den Fall einer Durchsuchung sowie ein Handy. Darüber hinaus habe ihm sein V‑Mann-Führer geraten, einen “Bunker” anzulegen, in dem Toni S. hunderte von strafbewehrten CDs hortete. Er habe seinen V‑Mann-Führer mit dem Decknamen Dirk Bartok detailliert über die Vertriebswege der “Noten des Hasses” informiert. Auch über die Produktion einer zweiten Auflage in Höhe von 2.000 CDs sei der V‑Mann-Führer von Anfang an im Bild gewesen. Nach Aussagen von Toni S. waren sowohl der brandenburgische Verfassungsschutz als auch das Bundesamt über ihre V‑Männer an der Erstellung der CD beteiligt. “Lars Burmeister wäre ohne Mirko Hesse und mich nicht in der Lage gewesen, die erste Auflage so einfach zu verbreiten”, so S. Das Urteil wird am kommenden Montag erwartet.
Ankläger rügt Verfassungsschutz -
Enttarnter V‑Mann Toni S. gesteht vor dem Landgericht die Produktion rechtsradikaler CDs. Staatsanwalt wirft Brandenburger Verfassungsschutz vor, bei seinen Ermittlungen zu weit gegangen zu sein. CD-Produktion hätte gestoppt werden müssen
Auf der Anklagebank des Berliner Landgerichtes saß gestern nur der enttarnte V‑Mann Toni S.. Der härteste Vorwurf von Oberstaatsanwalt Jürgen Heinke traf aber dessen Auftraggeber: den Brandenburger Verfassungsschutz. Der sei bei seinen Ermittlungen in der rechten Musikszene zu weit gegangen. “Die Behörde hätte den Vertrieb der rechtsextremen CD “Noten des Hasses” stoppen müssen”, erklärte Heise.
Dem 28-jährigen Toni S. wird Gewaltverherrlichung, Verantwortung für Produktion und Vertrieb der neonazistischen CD sowie Verbreitung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen und Volksverhetzung vorgeworfen. Dafür drohen ihm bis zu fünf Jahre Haft. Der Cottbuser war im Juli bei einer Razzia in Berlin ohne Wissen der Brandenburger Behörde festgenommen worden. Die Affäre hatte zu heftigem Streit zwischen Berlin und Brandenburg geführt.
Vor Gericht räumte Toni S. ein, maßgeblich an Produktion und Vertrieb der CD beteiligt gewesen zu sein. Er habe sich sicher gefühlt, weil ihm sein V‑Mann-Führer mit dem Decknamen Dirk Bartok mehrfach versichert habe: “Wenn was passiert, hat mein Chef gute Verbindungen zu Staatsanwälten und Richtern, wo man einiges drehen” könne.
Die Staatsanwaltschaft ließ mehrere Mitschnitte von Telefongesprächen zwischen Toni S. und Bartok abspielen, in denen der V‑Mann-Führer seinem wegen der Observation durch Berliner Beamte verunsicherten Schützling rät: “Halt die Bude sauber.” Mit dem Hinweis an Toni S., “du bist nun mal ne anerkannte Szenegröße”, versichert er dann, sein Chef sei “unterwegs, um das zu eruieren”.
Das musste sich auch Heiko Homburg im Publikum anhören. Der Sprecher von Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) kommentierte anschließend sichtlich genervt: “Das sind Schutzbehauptungen.”
Nach seiner Anwerbung im Sommer 2000 erhielt S. nach eigenen Angaben vom V‑Mann-Führer einen “Amtscomputer”, den er im Fall einer Durchsuchung anstelle seines Geschäftscomputers vorzeigen sollte, sowie ein “abhörsicheres” Handy. Auf Anraten von Bartok habe er zudem einen “Bunker” angelegt, in dem die Berliner Beamten später hunderte von CDs mit strafbaren Inhalten fanden. Auszüge aus den rechten Mordfantasien hatte der Staatsanwalt zu Prozessbeginn vorgelesen.
Toni S. behauptete gestern, sein Interesse an dieser Musik sei lediglich “geschäftlicher Natur gewesen”. Es handele sich nun mal um eine Marktlücke. In Guben und Cottbus trat er allerdings über Jahre auch als Kontaktperson für die neonazistische Wanderjugend Gibor auf.
Detailliert beschrieb S. auch die Produktion der mit Hakenkreuzen übersäten CD “Noten des Hasses”, deren Texte zum Mord an Schwarzen, Juden und Politikern aufrufen. Gemeinsam mit dem mutmaßlichen V‑Mann des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Mirko Hesse aus Sebnitz, und dem Berliner Neonazikader Lars Burmeister habe er vor zwei Jahren 3.000 der CDs in Umlauf gebracht. Sowohl der Brandenburger Verfassungsschutz als auch das Kölner Bundesamt seien über ihre V‑Männer an fast allen Produktionsschritten beteiligt gewesen. “Burmeister wäre ohne Hesse und mich nicht in der Lage gewesen, die erste Auflage so einfach zu produzieren und zu verbreiten”, erklärte der Angeklagte.
Bartok sei detailliert über die Vertriebswege informiert gewesen, so S. Auch über die zweite Auflage sei der V‑Mann-Führer von Anfang an im Bild gewesen. Gegen Bartok ermittelt derzeit die Staatsanwaltschaft Cottbus, gegen Hesse die Staatsanwaltschaft Dresden. Das Urteil gegen Toni S. wird am Montag erwartet.
V‑Mann beschuldigt Verfassungsschutz -
Toni S. gibt vor Gericht alles zu: Handel mit Hass-CDs geschah mit Wissen des Geheimdienstes
Berlin/Cottbus. Der ehemalige V‑Mann Toni S. aus Cottbus hat in seinem Prozess vor dem Landgericht Berlin die Vorwürfe der Anklage bestätigt und den Brandenburger Verfassungsschutz belastet. Er hätte den Handel mit rechtsextremen CDs, Postern und Kleidungsstücken „niemals in so großem Stil aufgezogen, wenn die Potsdamer mir nicht Straffreiheit zugesichert hätten“, sagte der 28 Jahre alte Neonazi. Außerdem bestätigte S. nach einigem Hin und Her frühere Aussagen gegenüber der Berliner Polizei, wonach er vom Verfassungsschutz einen „jungfräulichen Computer“ erhalten habe, damit die Brandenburger Polizei bei einer drohenden Durchsuchung nicht seinen alten PC und die darauf gespeicherten Daten entdeckt.
Toni S. hatte, wie berichtet, von Sommer 2000 an für Brandenburgs Verfassungsschutz gespitzelt. Im Juli 2002 nahm ihn die Berliner Polizei fest. In der Anklage wird S. unter anderem vorgehalten, er habe 2800 Exemplare der Neonazi-CD „Noten des Hasses“ vertrieben, auf der zum Mord an Michel Friedman, Rita Süssmuth und Alfred Biolek aufgerufen wird. Außerdem habe er in einem Lagerraum zahlreiche Hass-CDs, Naziplakate und Sweatshirts mit Hakenkreuzen aufbewahrt. Der Verfassungsschutz bestreitet, von der Existenz des „ Bunkers“ gewusst zu haben. Toni S. sagte gestern jedoch, sein V‑Mann-Führer sei informiert gewesen.
Einige Äußerungen klangen widersprüchlich. So sagte Toni S. zuerst, der V‑Mann-Führer mit dem Decknamen „Dirk Bartok“ habe ihn nicht vor Durchsuchungen gewarnt. Auf Nachfragen von Staatsanwältin Mendrina äußerte S. das Gegenteil. Außerdem seien anhäng
ige Strafverfahren eingestellt worden. Die ominöse Computergeschichte schilderte Toni S. so: Er habe dem V‑Mann-Führer gesagt, der Polizei dürfe nicht der PC mit den Daten seiner Szene-Geschäfte in die Hände fallen. Daraufhin habe „Bartok“ einen „gesäuberten“ Computer geliefert. Diesen will Toni S. immer abends in seine Wohnung gestellt haben, „weil Durchsuchungen meistens nachts stattfinden“. Der alte Computer sei im Keller eines Nachbarn versteckt und morgens wieder installiert worden.
Die Zweite Große Strafkammer unter Vorsitz von Richter Hans-Jürgen Brüning interessierte sich in besonderem Maße für die Rolle des V‑Mann-Führers mit dem Decknamen „Dirk Bartok“. Dieser hatte mit einem Kollegen Toni S. für Brandenburgs Verfassungsschutz angeworben. Die Beamten hätten ihn unter Druck gesetzt, sagte der Angeklagte. Wenn er ihnen keinen Gefallen tue, hätten sie das Wissen „um mich wirtschaftlich kaputt zu machen“, sagte der hektisch redende Toni S.. Er habe dann in die Zusammenarbeit eingewilligt und vom Verfassungsschutz ein Handy bekommen, dessen Nummer durch einen Sperrvermerk gesichert war.
Die Kammer ließ Telefonate vorspielen, die das Berliner Landeskriminalamt abgehört und aufgezeichnet hatte. In den Gesprächen berichtete Toni S. dem V‑Mann-Führer, er fühle sich observiert. „Dirk Bartok“ sagte zu, sein Chef werde sich „in Berlin“ erkundigen. Der V‑Mann-Führer ermahnte S., seine Wohnung „sauber zu halten“, da eine „miese Aktion“ der Polizei bevorstehen könnte.
Mehrere Male druckste Toni S. herum. Er verneinte jedoch, vom Brandenburger Landeskriminalamt unter Druck gesetzt worden zu sein. Beamte des LKA hatten S. am 1. November in der U‑Haft besucht und angeblich „Schutzmaßnahmen“ für die Zeit nach dem Prozess zugesagt. Das Urteil wird am 11. November verkündet.