POTSDAM Trotz öffentlicher Empörung: die meisten Versuche, die NPD von der Straße zu drängen, sind in den Vorjahren gescheitert. Auch heute darf die rechtsextremistische Partei in Potsdam aufmarschieren. Trotz ihres provokanten Mottos: “Schluss mit der Masseneinwanderung russischer Juden, Deutschland uns Deutschen”.
Für den Parteienforscher Oskar Niedermayer von der Freien Universität Berlin ist der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts (OVG) in Frankfurt (Oder) keine Überraschung. Auch Extremisten hätten das Recht, ihre Gesinnung zur Schau zu stellen, so Niedermayer gegenüber der MAZ. “Immerhin ist die NPD nach wie vor eine anerkannte Partei.” Den Richtern könne man bei dieser Entscheidung keinen Vorwurf machen. Sie seien gezwungen nach formalrechtlichen Kriterien zu entscheiden und “gute Miene zum bösen Spiel zu machen”.
Ein Verbotsantrag habe nur Aussicht auf Erfolg, wenn Polizei oder Verfassungsschutz nachweisen, dass von den Rechtsradikalen Gewalt- oder Straftaten zu erwarten sind, erklärt Niedermayer. Das Motto habe zwar “eindeutig diskriminierenden Charakter”, so der Parteienforscher, “aber es erfüllt nicht den Straftatbestand der Volksverhetzung”. Dazu müssten die Veranstalter “zu Hass aufstacheln sowie zu Gewalt und Willkürmaßnahmen aufrufen”.
Niedermayer ist skeptisch, ob eine Einschränkung des Versammlungsrechts die richtige Antwort auf das Problem wäre. “Damit beschneiden wir dann die Grundrechte aller.” Man müsse sich fragen, ob man den Rechtsextremen nicht “zu viel Ehre” antue, wenn man ihnen so viel Präsenz in der öffentlichen Debatte einräumt.
Der Staatsrechtler Norbert Janz kommt zu einem ähnlichen Ergebnis. “Politisch unerwünschte Demonstrationen sind nicht einfach zu verbieten.” Die Versammlungs- und Meinungsfreiheit sei ein hohes Gut, sagt der Wissenschaftler von der Potsdamer Universität. Überragende Bedeutung komme dabei Artikel 8 im Grundgesetz zu: “Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.” Laut Bundesverfassungsgericht müsse dieser Artikel weit ausgelegt werden, so Janz. “Der Schutz von Grundrechten ist auch Minderheitenschutz — selbst, wenn es sich um missliebige Minderheiten handelt.”
Die NPD-Mitglieder wüssten genau, bis zu welchem Punkt sie gehen können, so Janz. Auch in seinen Augen ist das umstrittene Motto allein noch keine Straftat. Immerhin könne die Polizei den Veranstaltern Auflagen machen. “Man kann die Rechtsradikalen zwingen ohne Uniformen oder nicht in Reih und Glied zu marschieren.”
Genau das werde man auch tun, kündigte der Sprecher des Potsdamer Polizeipräsidiums Rudi Sonntag gestern Abend an. “Wir werden Zeit und Ort verändern — durch die Innenstadt werden die NPD-Anhänger nicht marschieren”, versprach Sonntag. Trotz der geringen Aussicht auf Erfolg, werde man auch künftig versuchen, NPD-Demonstrationen zu verbieten, machte Sonntag klar. “Wir werden die Aufmärsche nicht einfach so hinnehmen — selbst wenn die Gerichte dann anders entscheiden.”
Bei Gericht betrachten Experten diese Praxis mit Skepsis. Damit schiebe man den Richtern den Schwarzen Peter zu, hieß es gestern aus Justizkreisen. Denn die müssten die Verbotsverfügungen in der Regel wieder aufheben — zum Unverständnis der Öffentlichkeit.
Immerhin eine von 17 rechtsextremen Demonstrationen im Bereich des Oranienburger Polizeipräsidiums wurde in den vergangenen Jahren verboten, erinnert sich Polizeisprecher Sonntag. Allerdings nur wegen einer Unachtsamkeit der Organisatoren. Im Anmeldeformular für eine Kundgebung am 3. April 1999 waren zwei Personen aufgeführt, “gegen die strafrechtliche Ermittlungen liefen”.
Doch diesen Fehler machte die NPD nur einmal: die gleiche Veranstaltung wurde drei Wochen später vom Verwaltungsgericht genehmigt — die Partei hatte einfach die beiden beanstandeten Namen vom Formular gestrichen.