Schönbohm sieht Unwissenheit über Hartz IV in der Bevölkerung — “Informationskampagne der Bundesregierung kommt zu spät”
(BM, Gudrun Mallwitz) Potsdam — Der Verfassungsschutz rechnet damit, dass sich das rechtsextreme Spektrum den wachsenden Widerstand der Bevölkerung gegen die
Arbeitsmarktreform Hartz IV zu Nutze machen wird. “Es gibt in der Szene Vorbereitungen, die Demonstrationen für sich zu nutzen”, bestätigte der Chef der Verfassungsschutzbehörde, Heiner Wegesin, der Berliner Morgenpost.
“Die Rechtsextremen werden darstellen wollen, dass es sich bei Hartz IV ‚um einen Ausbeutungsfeldzug der Gegner unseres Volkes handelt”, so der oberste
Verfassungsschützer.
Aktiv werden könnten vor allem Kameradschaften wie der rechtsextreme
Märkische Heimatschutz und das Bündnis Neue Ordnung (BNO), eine Abspaltung
der NPD.
Bei den bisherigen Anti-Hartz-Demonstrationen in Brandenburg ist es zu
keinen Störungen gekommen. Tausende Menschen hatten, wie berichtet, am
Montagabend gegen die Arbeitsmarktreform protestiert. In Senftenberg
versammelten sich knapp 2000 Demonstranten. Am Montag zuvor hatten sich in
der früheren Braunkohle-Stadt rund 1000 Menschen zusammengefunden. In
Perleberg in der Prignitz rief die PDS zum Protest auf, auch in Wittberge
und Kyritz gingen die Menschen auf die Straße. Die PDS will ihre Aktionen
mit dem “Bündnis gegen Sozialabbau” koordinieren. Bundeskanzler Gerhard
Schröder (SPD) wird am Sonnabend am Rande des Parteitags in
Brandenburg/Havel sowie am 24. August bei der Eröffnung des sanierten
Bahnhofs von Wittenberge eine aufgebrachte Menge vorfinden.
In Sachsen organisiert die NPD, die dort bei den Landtagswahlen antritt,
eigene Demos. Die in Brandenburg erneut für die Landtagswahl am 19.
September kandidierende rechtextreme DVU verzichtet darauf. Allerdings hat
sie das Land mit Protest-Plakaten überzogen. Innenminister Jörg Schönbohm
(CDU) sieht die Gründe für die Mobilisierung der Extremisten vom linken und
rechten Spektrum vor allem in der Unwissenheit der Bevölkerung. “Die
Unkenntnis ist Grundlage des starken Diffamierungspotenzials”, sagt
Schönbohm zur Morgenpost. Durch Fehlentscheidungen und Ungeschick der
rot-grünen Regierung würden die Ängste in der Bevölkerung geschürt. Dazu
zählten die Buschzulage für Westbeamte, das Vorhaben, die Kindersparbücher
zu berücksichtigen, und der Versuch, im Januar kein Geld an die Betroffenen
auszuzahlen. Scharf kritisiert Schönbohm, dass “die Informationskampagne der
Bundesregierung viel zu spät kommt”. Im Aufruf der rechtspopulistischen
“Partei Rechtsstaatliche Offensive” zu einer Demonstration gegen Hartz IV
und gegen die “rabenschwarze Zukunft Brandenburgs”, sieht der Innenminister
“den Versuch der Schill-Partei, wieder ins Geschäft zu kommen”. Allerdings
sei die PDS “in ihrem Populismus und ihrer Demagogie von keinem zu
übertreffen. Sie spielt sich auf wie die linke DVU.” Mit dumpfen Parolen
“Hartz IV — das ist ein Gesetz der Armut! Weg damit!” führe die PDS einen
Wahlkampf, wie man ihn bisher nur von der DVU kenne.
Anders als Sachsens Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU) schließt
Schönbohm aus, sich an Demonstrationen zu beteiligen. Zudem widersprach er
Matthias Platzeck (SPD): “Die Neuauflage der Montagsdemonstrationen ist eine
Missachtung derjenigen, die 1989 auf die Straße gegangen sind”, sagte
Schönbohm. Platzeck hat die Demonstrationen verteidigt.