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Bildung & Kultur

Verschwende deine Jugend!

Es ist mor­gens Vier­tel nach sechs und der Weck­er klin­gelt. Mit noch verklebten Augen kriecht man aus der kusche­li­gen Schlum­mer­höh­le, um sich dann tagein, tagaus in das­selbe, fast schon gefäng­nisähn­liche Schul­ge­bäude zu schlep­pen, in dem man von noch müderen Schüler_innen und frus­tri­erten Lehrer_innen erwartet wird. In der ersten Stunde heißt es dann gle­ich: Ger­ade sitzen, artig sein und fleißig mitar­beit­en, damit das Arbeits- und Sozialver­hal­ten, sprich die Kopfnoten1, die später auf der ersten Seite des Zeug­niss­es zu sehen sind, nicht schlecht aus­fall­en. In der näch­sten Stunde gibt es dann den Math­etest zurück und es ist wieder nur eine Vier. Das bedeutet nicht nur jede Menge Ärg­er zu Hause mit den Eltern, son­dern vor allem auch noch mehr Nach­hil­fe am Nach­mit­tag – sofern man sich diese über­haupt leis­ten kann. Und das obwohl die wenige Freizeit, die neben der Schule und Hausauf­gaben am Nach­mit­tag noch bleibt, sowieso schon zukun­ft­sori­en­tiert durchge­plant sein soll: Das heißt Sport im Ver­band, um soziale Fähigkeit­en auszu­bilden und fit zu bleiben, ein Aus­land­s­jahr für bessere Fremd­sprachenken­nt­nisse, frei­willige Hil­fe bei der Organ­i­sa­tion von Schulfesten und selb­st in den Ferien soll man am besten noch ein Prak­tikum machen, um sich schon mal in ver­schiede­nen Berufen auszupro­bieren. Tja. Chillen vorm Fernse­her is nich mehr.

Strenge Lehrpläne, Kopfnoten, blöde Lehrin­halte und autoritäre Lehrer_innen gibt es natür­lich nicht zufäl­lig. Schule ist ein Ort, der nicht los gelöst von der Gesellschaft funk­tion­iert. Die Gesellschaft ist geprägt von Herrschaftsver­hält­nis­sen wie Ras­sis­mus, Kap­i­tal­is­mus und Sex­is­mus. Und deshalb find­en sich diese auch in der Schule wieder. So wird zum Beispiel vom Staat wird bes­timmt was, wie und wo wir ler­nen. Schule soll nur schein­bar in erster Lin­ie Wis­sen ver­mit­teln, in Wirk­lichkeit aber geht es vor allem darum, die Schüler_innen auf das gut vorzu­bere­it­en, was sie später bis zur Rente erwarten wird: die Lohnar­beit und der Kampf auf dem Arbeitsmarkt.

Das beste Beispiel dafür ist die Bew­er­tung (auswendig) gel­ern­ten Wis­sens durch die Noten von 1–6. Die Idee indi­vidu­elles Kön­nen und qual­i­ta­tive Inhalte durch Zahlen zu beschreiben, ist an und für sich schon ziem­lich bescheuert. Tests, Klasse­nar­beit­en und Klausuren wer­den nicht geschrieben, um zu über­prüfen, wie viel man bere­its ver­standen hat, son­dern um Unter­schiede zwis­chen den Schüler_innen herzustellen. Wenn zum Beispiel ein The­ma in der Klasse beson­ders gut ver­standen wurde und in der Klausur alle nur Ein­sen, Zweien und Dreien schreiben, kann die Lehrkraft eventuell damit rech­nen, von der Bezirksver­wal­tung wegen zu guten Ergeb­nis­sen (ander­sherum geht es natür­lich auch) ermah­nt zu wer­den. Noten bes­tim­men ob man das näch­ste Schul­jahr oder sog­ar das Abitur schafft, ob man auf eine Uni­ver­sität kommt und wer später wie viel arbeit­en muss, um davon gut oder weniger gut leben zu kön­nen. Schule legt also die Grund­struk­tur für den eige­nen sozialen Auf- oder Abstieg fest.

Außer­dem fördert Schule die Anpas­sung von Men­schen an Forderun­gen von außen: durch den steten Druck von Zen­suren, Prü­fun­gen und Aus­sortierung­sprodze­duren, das pas­sive Ler­nen, schlechte Arbeits­be­din­gun­gen (wie Schul­büch­er von 1990), das erzwun­gene Ler­nen von teil­weise dubiosen Din­gen (wen küm­mert es schon im realen Leben was die Vorgänge der Mi-und Meiose sind?), die Repres­sion der Lehrer_innen und Eltern etc. All das führt dazu, dass Leute Sachen nicht in Frage stellen und sich ein­schränken. Unser Selb­st­be­wusst­sein wird Stück für Stück kleingemacht. Gle­ichzeit­ig sollen Schüler_innen aber auch „erwach­sen“ han­deln, da die Zukun­ft ja eigen­ver­ant­wortlich bes­timmt würde. Dieses erwach­sene Han­deln drückt sich dann schlichtweg in Ver­hal­tensweisen aus, die im Kap­i­tal­is­mus wichtig sind: Konkur­ren­zfähigkeit, Belast­barkeit, Ehrgeiz. Zukün­ftige Arbeit­steilun­gen wer­den hier hergestellt und ver­fes­tigt. Schule ori­en­tiert sich also im Kap­i­tal­is­mus zwangsläu­fig an den Bedin­gun­gen kap­i­tal­is­tis­ch­er Pro­duk­tion­sweisen und nicht an den Bedürfnis­sen der Men­schen. Aus diesem Grund ist Schulkri­tik auch immer Kapitalismuskritik.

Aber auch, was Geschlechter­ver­hält­nisse bet­rifft, sieht es in der Schule ganz schön duster aus. Kinder und Jugendliche wer­den in Mäd­chen und Jun­gen eingeteilt und als solche in der Schule unter­schiedlich behan­delt. Von Mäd­chen wird angenom­men, sie seien fleißig, streb­sam und ordentlich. Jun­gen hinge­gen wer­den oft eher als faul und unaufmerk­sam, aber fähig ange­se­hen. Wenn sie schlechte Noten bekom­men sind sie eben ein­fach nur faul gewe­sen, bei Mäd­chen liegt es aber am fehlen­den Kön­nen. Im Unter­richt bekom­men Jun­gen generell mehr Aufmerk­samkeit durch Lob und Tadel als Mäd­chen. Dies führt oft dazu, dass Mäd­chen meist weniger selb­st­be­wusst und stolz auf ihre Leis­tun­gen sind, weil sie häu­fig kein bis wenig Feed­back bekommen.

Außer­dem wer­den schon in der Schule kün­ftige Macht­struk­turen vorgelebt: Je höher die beru­fliche Posi­tion im Schul­be­trieb, desto weniger Frauen üben sie aus. So sind in der Grund­schule die meis­ten Lehren­den weib­lich, die Schulleitun­gen sind in den aller­meis­ten Fällen von Män­nern besetzt.

Auch beim The­ma Sprache wer­den Mäd­chen und Frauen in der Schule ver­nach­läs­sigt. Die Rede ist immer nur von „den Schülern“ und „der Schülervertre­tung“. Aus Bequem­lichkeit oder oft auch ganz bewusst, wird also kon­se­quent eine Hälfte der Schüler_innen nicht ange­sprochen. Bei einem Blick in ver­schiedene Schul­büch­er find­et man in vie­len immer noch uralte stereo­type Geschlechter­bilder präsen­tiert. In ihnen wer­den männliche Indi­viduen als Hand­lungsträger dargestellt. Frauen ver­weilen meist nur an deren Seite und sind für den Haushalt, die Kinder und die Gefüh­le zuständig. Von Lehrkräften wird dies nur sel­ten thematisiert.

Das­selbe lässt sich auch in Bezug auf Anti­semitismus in Schul­büch­ern sagen. In dem von ver­schiede­nen Schul­be­hör­den emp­fohle­nen Geschichts­buch „Anno“ aus dem West­er­mann Ver­lag von 1997 wird ohne jegliche Aufk­lärung über Ursachen und geschichtliche Zusam­men­hänge behauptet: „Eine Son­der­rolle spiel­ten die Juden in den mit­te­lal­ter­lichen Städten“, weil sie „hohe Zin­sen“ nah­men: „Für viele Chris­ten waren ihre Schulden bei den Juden erdrück­end. Der Reich­tum weck­te Neid und Haß.“

Die vie­len Progrome an Jüdin­nen und Juden im Spät­mit­te­lal­ter find­en entwed­er über­haupt gar keine Erwäh­nung, oder es wird in diesem Zusam­men­hang von Auswan­derung und Vertrei­bung gesprochen, was nicht nur schlichtweg falsch, son­dern vor allem extrem rel­a­tivierend ist. Auch wis­sen die wenig­sten Schüler_innen, dass Mar­tin Luther anti­semi­tis­che Ver­fol­gun­gen befür­wortete, ja sog­ar forderte. Das liegt wahrschein­lich daran, dass neben dem Kinoaus­flug zu „Luther“ und der Exkur­sion nach Wit­ten­berg ein­fach keine Zeit mehr blieb, ein­mal über Luthers Pam­phlet „Von Juden und ihren Lügen“ (1543) zu sprechen. In diesem ruft er näm­lich zur Ver­bren­nung von Büch­ern und Syn­a­gogen und zur Ver­sklavung der jüdis­chen Bevölkerung auf.

Dies sind nur einige wenige Gründe, warum wir der Mei­n­ung sind, Schule in ihrer jet­zi­gen Form gehört abgeschafft! Bil­dungspoli­tik kann nicht unab­hängig von gesamt­ge­sellschaftlichen Prozessen betra­chtet wer­den. Daher heißt es für uns: Schulkri­tik ist und bleibt Gesellschaftskritik!

Doch wohin mit unser­er Kri­tik und wie damit arbeit­en? Wie kön­nen emanzi­pa­torische Inter­ven­tion­s­möglichkeit­en ausse­hen? Und wie kön­nen wir uns ganz konkret im All­t­ag gegen Ungerechtigkeit­en in Schule und Uni wehren?

Um Antworten auf diese und viele andere Fra­gen zu find­en, laden wir zum bil­dungskri­tis­chen Spek­takel ein. Es hat das Mot­to: „Ver­schwende deine Jugend!“ und find­et vom 7.–9. August auf dem Fusion-Gelände in Lärz bei Berlin statt. Wenn ihr Lust habt auf jede Menge Work­shops, span­nende Diskus­sio­nen und ne fette Par­ty, dann kommt zum Spektakel!

Mehr Infos, Pro­gramm und Anmel­dung zum Spek­takel unter: www.jdjl-brandenburg.de

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