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Gender & Sexualität Verschwörungsideologie

Verschwörungswahn und autoritäre Männlichkeit

Das Nar­ra­tiv in ver­schwörungside­ol­o­gis­chen Pandemie-Leugner:innen- und Maßnahmen-Gegner:innen-Gruppen ist seit Anfang 2020 geset­zt und wird seit­dem nur in immer schrilleren und schrilleren Tönen vor­ge­tra­gen – und geglaubt: Der Staat has­st Dich. Er ver­sucht nicht, Dich vor ein­er tödlichen Bedro­hung zu schützen. Er ist eine Dik­tatur, die Dich in Dein­er Frei­heit unter­drück­en will. Die Pan­demie gibt es nicht, deshalb brauchst Du keinen Schutz – außer vor dem Staat, der Deine Fam­i­lie ver­let­zen will, etwa durch Imp­fun­gen. Wer etwas Anderes sagt, dem ist nicht zu trauen. Du gehörst zu den Guten, der Staat ist der Feind, und jede:r, der oder die es anders sieht, auch.

Men­schen, die das im Inter­net lesen oder auf Demon­stra­tio­nen hören, fan­gen bisweilen auch an, es zu glauben. Eine furcht­bare und tödliche Folge der wahn­haften Abwen­dung von der Wirk­lichkeit zeigt sich nun im bran­den­bur­gis­chen Sen­zig. Hier hat ein Mann nach aktuellem Ermit­tlungs­stand offen­bar sein­er Frau einen gefälscht­en Impf­nach­weis besorgt, als deren Arbeit­ge­ber einen solchen ver­langte. Die Fälschung erregte Ver­dacht. Hätte der sich erhärtet, hätte es möglicher­weise eine Geld­strafe gegeben, vielle­icht wäre der Arbeit­splatz der Frau in Gefahr gewe­sen (vgl. B.Z.). Das ist unan­genehm, pein­lich sich­er auch. In einem Hirn, dass aber den Staat als das ulti­ma­tive Böse abge­spe­ichert hat, ist kein Platz mehr für so eine real­is­tis­che Abschätzung der Fol­gen. Stattdessen glaubte der Vater zumin­d­est laut seines Abschieds­briefs, dass ihm der Staat nun die Kinder weg­nehmen werde. Diese Vorstel­lung war offen­bar so über­wälti­gend unvorstell­bar, dass der Vater zur Tat schritt: Er ermordete seine Frau und die gemein­samen zehn, acht und vier Jahre alten Töchter, dann sich selb­st. Das ist kein „Fam­i­lien­dra­ma“, denn die Entschei­dung zur Tat traf der Mann und dies auch bewusst, wenn auch unter wahn­hafter Fehlein­schätzung der Situation.

Ein Fach­be­griff für Män­ner, die ihre Fam­i­lien ermor­den, wenn sie sich selb­st umbrin­gen wollen, ist der „erweit­erte Suizid“. Im Nation­al­sozial­is­mus wurde er, als das Ende des Drit­ten Reichs dro­hte, als Lösung propagiert und von hun­derten Men­schen, teil­weise von ganzen Dör­fern umge­set­zt (vgl. Deutsch­land­funk). Auch seit­dem zeigt sich in den doku­men­tierten Fällen: Die Men­schen, die ihre Fam­i­lie aus­löschen, sind in über­wälti­gen­der Mehrheit männlich. Immer hat dieser erweit­erte Suizid etwas mit hege­mo­ni­alen Vorstel­lun­gen von Männlichkeit, oder viel mehr dem Scheit­ern an diesen, zu tun: hier der Ver­lust von Achtung, und der Ver­lust von Kontrolle.

So beschreibt es Veroni­ka Kracher, Exper­tin für tox­is­che Männlichkeit­en: „Für viele Män­ner, ger­ade wenn sie ein­er autoritären Per­sön­lichkeit ange­hören, ist der Gesichtsver­lust eine kaum erträgliche Zumu­tung. Die para­noide Angst eines Quer­denkers, Frau und Kinder nicht dem Zugriff des Staates entziehen zu kön­nen, und darüber seine Kinder auch noch zu ver­lieren, hat sich hier als über­wälti­gend erwiesen. Hinzu kommt, das habe ich aus meinen monate­lan­gen Recherchen im Milieu gel­ernt: Die Szene ver­tritt extrem rigide Vorstel­lun­gen von Fam­i­lie und Eltern­schaft. Eltern ste­hen auf, Eltern gegen Impfzwang, Eltern gegen Früh­sex­u­al­isierung und Gen­der­ga­ga: Querdenker:innen nehmen die Kon­trolle über das Leben ihrer Kinder unter dem Deck­man­tel, sie vor bösar­ti­gen frem­den Ein­flüssen schützen zu müssen, aus­ge­sprochen ernst. Es ist pathol­o­gisch. Ich glaube, dass der Täter inner­halb seines Selb­st­bildes also nicht nur als Vater, son­dern auch als Kämpfer gegen Impflob­by / das Merkel­regime / den Feind generell ver­sagt hat, und ihm dieses Ver­sagen und die daraus fol­gen­den Kon­se­quen­zen – Ver­haf­tung und Weg­nahme der Kinder – zu unerträglich waren, um weit­erzuleben. Seine eigene Fam­i­lie wird mit in den Tod geris­sen, da man als guter und all­wis­sender Patri­arch a) bess­er weiß als die Kinder, dass der Tod ehren­voller ist als das Über­leben unter der Coro­na-Dik­tatur, und b) es nicht verkraften kann, wenn die eigene Fam­i­lie Zeug:innen des Ver­sagens des Patri­archen wer­den. Scham ist inner­halb der cis-männlichen Sit­u­a­tion nicht vorge­se­hen.“ So habe es bere­its Sex­is­mus-Forscherin Kate Manne beschrieben: „Statt sich zu ver­steck­en, kann man den Zuschauer beseit­i­gen.“ Kracher schlussfol­gert: „Quer­denken kann töten. Und es wird weit­er Men­schen töten, wenn Poli­tik, Medi­en und Zivilge­sellschaft diese wahn­hafte und gewalt­tätige Ide­olo­gie weit­er­hin als legit­ime Sor­gen abtun.“

Nicht nur die Hand­lung des Vaters zeigt, dass er sich im Impfgegner:innen-Spektrum bewegt hat. Recherchen bele­gen, dass er etwa in der ver­schwörungside­ol­o­gis­chen Coronaleugner:innen-Gruppe „Frei­heits­boten Königs Wuster­hausen“ Mit­glied war. Nach Angaben in der Gruppe „Frei­heits­boten Königs Wuster­hausen“ war der Vater selb­st Mit­glied von „Die Basis“.

Im ver­schwörungside­ol­o­gis­chen Spek­trum ist das Fram­ing als „Tragödie“ noch harm­los. In anderen Telegram-Grup­pen, etwa der von Ignaz Bearth, wird der Fall so disku­tiert, dass die Fam­i­lie in den Tod getrieben wor­den sein, dass eine „Coro­na Kristall­nacht“ bald bevorste­he (in Anspielung auf die Reich­s­pogrom­nacht im Nationalsozialismus).

Das Grundge­fühl dieser Per­son ist: Es herrscht Krieg.

Andere möcht­en der Presse entwed­er nicht glauben oder sie als Schuldige in diesem Fall darstellen.

Wer übri­gens ein men­schen­ver­ach­t­en­der Recht­sex­tremer ist, wie der Kopf der Iden­titären Bewe­gung, Mar­tin Sell­ner, der veröf­fentlicht ein Foto der Fam­i­lie (!), nen­nt den Vater einen „Massen­mörder“, gibt die Schuld aber der Regierung: „(… ) der Psy­choter­ror der Regierung war der Aus­lös­er. (…) Solche tragis­chen Fälle wer­den sich häufen und die Regierung kalkuliert das ein.“ Immer­hin ist die Pro­pa­gan­da-Absicht hier klar zu erkennen.

Selb­st eine solche Tat ist also in der ver­schwörungside­ol­gisch-wahn­haften Pandemieleugner:innen-Szene nicht geeignet, ein Nach­denken zu ermöglichen, ob der Weg der Angst und des Has­s­es, der den Tod ein­er ganzen Fam­i­lie zur Folge hat, wirk­lich zielführend und lösung­sori­en­tiert ist.

In der „Freiheitsboten“-Gruppen, in der auch der Täter war, kom­men­tiert ein ander­er Mann die Ermor­dung der Kinder ver­ständ­nisvoll und zeigt damit, dass diese Tat hof­fentlich ein Einzelfall bleibt, es aber nicht muss:

Die Admins der „Freiheitsboten“-Gruppen posten derzeit Texte, die von ein­er „begin­nen­den Hex­en­jagd“ sprechen, aber wenig­stens dazu aufrufen, sich gegen­seit­ig zu helfen, wenn Men­schen nicht mehr weit­er wüssten. Immer­hin, aber ob das wirk­lich hil­ft? Das ist näm­lich eine weit­ere fatale Folge der ver­schwörungside­ol­o­gis­chen „Alle anderen sind Feind“-Propaganda: Dass Betrof­fene sich nicht mehr an Beratungsstellen wen­den, weil sie diese eben­falls als feindlich wahrnehmen.

Im Tagesspiegel wird die Direk­torin der Klinik und Hochschu­lam­bu­lanz für Psy­chi­a­trie und Psy­chother­a­pie mit den Worten zitiert, solche Täter hät­ten oft schwere psy­chis­che Störun­gen, wie wahn­hafte Depres­sio­nen, Wah­n­erkrankun­gen oder schwere narzis­stis­che oder para­noide Persönlichkeitsstörungen.

Das spricht keines­falls gegen eine wahn­hafte poli­tis­che Instru­men­tal­isierung, denn es gibt keinen Auss­chluss zwis­chen psy­chis­ch­er Erkrankung und poli­tis­ch­er, ide­ol­o­gis­ch­er Verblendung: Sie führt ja dazu, bes­timmte Hand­lungsstrate­gien zu ergreifen, Opfer entsprechend auszuwählen. (vgl.: Belltower.News). Bekan­nte der Fam­i­lie erzählten gegenüber der Märkischen All­ge­meinen, dass der durch die Pan­demie beschäf­ti­gungslose Ver­anstal­tung­stech­niker sich zulet­zt „ger­adezu man­isch“ mit dem The­ma „Impfzwang“ auseinan­derge­set­zt habe.

Dazu kommt hier auch zwin­gend das Männlichkeits­bild, das instru­men­tal­isiert wird, wie es die „Fach­stelle für poli­tis­che Bil­dung und Entschwörung“ der Amadeu Anto­nio Stiftung beschreibt: „Die ver­schwörungside­ol­o­gis­che Szene nutzt bes­timmte Män­ner­bilder, um Demokratiefeindlichkeit und anti­semi­tis­che Mythen zu ver­bre­it­en. Mit tradierten Vorstel­lun­gen von Geschlecht wer­den so viele Men­schen von Ver­schwörungside­olo­gien erre­icht und leichter radikalisiert. Gekränk­te Männlichkeit, die Angst vor Sou­veränitätsver­lust und das Bedürf­nis bess­er als alle anderen ‚Bescheid zu wis­sen‘ ergeben dabei einen tox­is­chen Nährbo­den, der zur Gefahr für Andere wer­den kann.“ Mit tödlichem Aus­gang für die Familie.

Noch ein Video-Tipp: Die fak­ten­re­sistente Wahn­haftigkeit der Bewe­gung zeigt auch dieser sehenswerte Kon­traste-Beitrag aus Sachsen:
https://www.youtube.com/watch?v=reNZSzh9mBE&feature=youtu.be

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