Verwaltungsrichter wehrt sich gegen Vorwurf des Antisemitismus
Jüdischer Erbe hält Gericht im Streit um Alteigentum Verzögerung vor
POTSDAM. Der Rechtsstreit vor dem Verwaltungsgericht in Potsdam um die Rückübertragung jüdischen Eigentums in Teltow-Seehof (Potsdam-Mittelmark) beschäftigt seit Montag nunmehr ein weiteres Gericht. Rein sachlich geht es um üble Nachrede, über die jetzt das Amtsgericht Potsdam befinden muss. Inhaltlich jedoch geht es um den wohl schwersten Vorwurf, den sich ein bundesdeutscher Richter in einem Verfahren ausgesetzt sehen kann, in dem es um erlittenes Unrecht von Juden während der NS-Zeit geht — den Vorwurf des Antisemitismus.
Strafbefehl nicht akzeptiert
Der Amerikaner Peter Sonnenthal aus dem US-Staat Colorado ist vor das Amtsgericht gezogen, weil er einen Strafbefehl nicht akzeptieren will, der gegen ihn im Februar erlassen wurde. Sonnenthal gehört zu einer jüdischen Erbengemeinschaft, die seit vielen Jahren vor dem Verwaltungsgericht um die Rückübertragung von hunderten Gründstücken aus dem früheren Besitz der Großfamilie Sabersky streitet. 60 Tagessätze zu je 100 Euro soll er zahlen, weil er vor fast genau einem Jahr im lokalen TV-Sender “Teltowkanal” zwei Richtern des Potsdamer Verwaltungsgerichts sowie der Leiterin des Amtes zur Regelung offener Vermögensfragen (ARoV) unter anderem “antisemitische Verzögerungstaktik” vorhielt. In der Sendung, die auf seine Initiative zu Stande kam und während der er eine schriftliche Erklärung verlas, sprach er auch von einer “traurigen Perversion deutscher Justiz”. Einer der Betroffenen, der Vorsitzende Richter am Verwaltungsgericht Wilfried Hamm, sowie der Präsident des Oberverwaltungsgerichts Dieter Liebert erstatteten daraufhin Strafanzeige wegen übler Nachrede und lösten so den Strafbefehl aus. Wird ein Strafbefehl nicht anerkannt, kommt es zur öffentlichen Hauptverhandlung — so wie in diesem Fall von Sonnenthal gewollt.
Sonnenthal, dessen umstrittene Äußerungen am Montag noch einmal per Video dem Gericht vorgespielt wurden, sieht seine Äußerungen durch das Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt. Die anderen Mitglieder der Erbengemeinschaft hatten sich zuvor ausdrücklich von Sonnenthals Worten distanziert. Sie befürchten allerdings, dass der Vorsitzende Richter Hamm nach den Antisemitismus-Vorwürfen nicht mehr unbefangen urteilen könne. Einen deshalb gestellten Befangenheitsantrag hat das Verwaltungsgericht aber bereits zurückgewiesen.
In der Verhandlung zu den Antisemitismus-Vorwürfen wollte Sonnenthal, der 25 Prozent der Restitutionsansprüche innerhalb der Erbengemeinschaft vertritt, vor dem Amtsgericht keine Fragen beantworten. So blieb unklar, ob er die Vorwürfe aufrechterhält. In einer vorbereiteten Erklärung verwies er jedoch auf die Geschichte seiner Familie, die vor den Nazis nach Amerika fliehen musste. Die Entscheidungen des Verwaltungsgerichts seit 1996 hätten ihn “tief verletzt”, weil die Richter nicht anerkannten, dass seine Familie wegen ihrer jüdischen Herkunft schweren Verfolgungen ausgesetzt war.
Verwaltungsrichter Wilfried Hamm, der auf Antrag von Sonnenthals Verteidiger als Zeuge aussagte, wies die Anschuldigungen zurück. Bei dem Restitutionsverfahren gebe es “keine Verzögerung”, auch nicht bei den so genannten Spätverkaufsfällen von Grundstücken, die nach der Pogromnacht 1938 erfolgten. Darauf bezog sich insbesondere der Vorwurf Sonnenthals. Hamm sagte, bei der Erbengemeinschaft handele es sich um vier Gruppen, die getrennt Klagen und Anträge einreichten. Zudem sei die Rechtslage in den anfangs mehr als 1 000 Fällen “absolut nicht eindeutig”. Neue Gutachten, die Verwendung weiterer Akten sowie die Wahrung von Fristen würden keine schnelleren Verfahren ermöglichen.
“Das Verfahren gebe “in keiner Weise Anlass zur dienstaufsichtlichen Beanstandung”, zitierte Amtsrichterin Kerstin Devriel aus einer Mitteilung des Justizministeriums, das bereits einer Beschwerde Sonnenthals nachgegangen war. Einen Befangenheitsantrag gegen die Amtsrichterin, weil sie die Anhörung zweier Zeugen nicht zuließ, wies das Gericht am Nachmittag zurück. Die Verhandlung soll am Donnerstag fortgesetzt werden.