(PNN, Gabriele Hohenstein) „Wir machen manchmal Durchsuchungen im Wald. Da haben wir auch schon Zecken
gefunden“, erklärt Detlef B. (41) allen Ernstes im Zeugenstand. Diese Tierchen
müsse man dann beim Namen nennen. Ansonsten – so der POlizeibeamte –
nähmen weder er noch seine Kollegen besagten Begriff als Synonym für Angehörige der
Hausbesetzerszene in den Mund. Bei der Räumung des alternativen Wohnprojekts
Rudolf-Breitscheid-Straße 6 am 25. August vorigen Jahres durch die
Landeseinsatzeinheit (LESE) im Anschluß an Auseinandersetzungen zwischen
Fußballanhängern von Babelsberg 03 und Hertha-Fans sei das Wort Zecke definitiv
nicht gefallen. (das haben deren Bewohner anders im Ohr.) „Wir haben die Leute
höflich und per Sie angeredet“, betont auch Polizist Frank K. (32). Nachdem es
ihm gelungen sei, mit etwa fünf bis sieben Mann die von den Bewohnern zugehaltene
Tür aufzudrücken, sei man in den Flur gestürmt. „Die Leute, die sich dort
befanden, wurden zur Seite gedrängt und abgelegt. Wir haben die untere Etage mit
einfacher körperlicher Gewalt sehr schnell im GRiff gehabt“, erzählt er. Zwar
habe man den Tonfa (Schlagstock mit Griff) dabei gehabt, schließlich gehörte er zur
Schutzausrüstung der LESE, wie der Hammer zum Zimmermann. Doch wegen der Enge des
Raumes sei es überhaupt nicht möglich gewesen, ihn einzusetzen. Niemand der
Festgenommenen – so seine Aussage – sei durch Schläge oder TRitte
verletzt worden.
Die Polizei durchsuche ein besetztes Haus bzw. ein alternatives Wohnprojekt genauso
wie eine Villa. Daß die Uniformierten aus Mißachtung der Bewohner der
Rudolf-Breitscheid-Straße 6 in deren Partyraum oder die Polstermöbel uriniert,
Schränke umgeworfen, Computerfestplatten herausgerissen, Plattenspieler samt
Tonträgern demoliert, Geld gestohlen und sich an den Getränken im Haus bedient
hätten, sei schlichtweg unwahr, versichert LESE-Zugführer Christian H. (32).Doch
genau dies behauptete Lutz Boede, Mitglied der Kampagne gegen Wehrpflicht,
Zwangsdienste und Militär, in einem Schreiben, das im September 2001 auszugsweise in
den „PNN“ veröffentlicht wurde. Seit dem 6. Januar muß sich Boede wegen
übler Nachrede vor dem Amtsgericht verantworten. Am ersten Verhandlungstag
bekräftigte er seine Vorwürfe. Ein Bewohner des geräumten Hauses berichtete von
„unvorstellbarer, nicht angebrachter Brutalität“ während des
Polizeieinsatzes, der ihm laut ärztlichem Attest eine Nierenquetschung, eine
Quetschung des Oberbauchs sowie Schürfwunden im Gesicht bescherte.
Marie-Luise H. (25), gelernte Krankenschwester und Studentin, besuchte am Tag der
Erstürmung des Hauses Freunde. „Drei Beamte rissen mich zu Boden. Ich bin
richtig hart gefallen“, erinnert sie sich am zweiten Prozeßtag. Dann sei sie
auf den Bauch gerollt, ihre Hände mit Kabelbindern auf dem Rücken fest
zusammengeschnürt worden. „Ich wurde auf dem Bürgersteig abgelegt, mitten
hinein in dort verstreute Scherben. Einer der Polizisten sagte das Wort
Schlampe.“ Neben Schnittwunden im Gesicht, an Armen und Beinen diagnostizierte
der Arzt eine verstauchte Hand bei der jungen Frau. Drei Wochen war sie krank
geschrieben.
Daß Marie-Luise H. nicht übertreibt, beweist ein während der Verhandlung gezeigtes
Polizeivideo von besagtem Tag. Es dokumentiert, wie grob die Beamten das zierliche
Persönchen, aber auch die anderen Bewohner des Hauses behandeln. Mit auf den Rücken
gebundenen Armen liegen sie reihenweise im Dreck. Ihre Augen sind angstgeweitet oder
glühen vor Wut. Ein Polizistenstiefel tritt gegen einen der Wehrlosen. Sie werden
geduzt, ihre Bleibe als abartiger Saustall“ tituliert. Die Verhandlung wird am
kommenden Montag u.a. mit der Vorführung von Fernsehbeiträgen, die die lt. Polizei
„durchsuchungsbedingte Unordnung“ zeigen, fortgesetzt.
Weitere Infos
Am Montag, 20.01.03, geht es im Amtsgericht mit Videos und den Vernehmungen des LESE-Chefs Alms, des Einsatzleiters Merten, zweier Journalisten und weiterer Zeugen weiter.
Der Beginn der Verhandlung wurde auf 9.30 Uhr vorverlegt, um die Videos zu zeigen.
Der erste Prozesstag: Angeklagtes Kampagnenmitglied entlastet
Weitere Hintergründe: polizeikontrollstelle.de