POTSDAM Menschenmassen strömen von der Straßenbahn zum Hauptbahnhof,
Autofahrer stellen ihr Fahrzeug ab, Touristen kauen Bratwurst, Kinder
laufen
über eine Kreuzung, Radfahrer ketten ihre Drahtesel los und fahren
davon.
Der Alltag am Potsdamer Hauptbahnhof ist quirlig, aber nicht unbedingt
spannend. Dennoch verfolgt Polizeihauptkommissar Fritz Ziemann das
Geschehen
nun schon seit sechs Stunden — und das aus der Perspektive von gleich
sechs
Kameras.
24 Stunden ist die Videoüberwachungszentrale in der Hauptwache der
Potsdamer
Polizei besetzt. Auf den Monitoren ist der Verkehrsknotenpunkt von der
Nord‑, Süd- und Westseite zu sehen. Speziell überwacht werden auch die
Fahrradstellplätze und der große Parkplatz gegenüber dem Nordausgang.
Für
die Polizei galt der gesamte Bereich als Kriminalitätsschwerpunkt.
“Das ist seit der Videoüberwachung nicht mehr so”, sagt Ziemann. Denn
er und
seine Kollegen beobachten nicht nur harmlose Passanten. Immer wieder
werden
sie Zeugen von Straftaten oder deren Vorbereitung. “Fahrraddiebe auf
frischer Tat ertappt”, hieß es er jüngst in der Polizeimeldung.
Ziemanns
Kollegen hatten um zwei Uhr morgens Jugendliche beim Aufsägen von
Fahrradschlössern beobachtet. Nur wenige Augenblicke später wurden die
beiden 15-Jährigen von der Polizei festgenommen. Manchmal sind die
Beamten
so schnell vor Ort, dass eine Straftat noch verhindert werden kann.
“Das ist
ja das Ziel unserer Arbeit”, sagt Ziemann.
Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) bewertet die im Dezember 2001
eingeführte
Videoüberwachung als Erfolg. Zunächst probeweise für fünf Jahre — das
ist
gesetzlich so festgeschrieben — waren an so genannten gefährlichen
Orten in
vier brandenburgischen Städten elektronische Augen installiert worden.
Das
Innenministerium teilte jetzt mit, dass die Zahl der Straftaten am
Potsdamer
Hauptbahnhof um 60 Prozent von 110 im Jahr 2001 auf 43 im Vorjahr
zurück
ging. Am Bahnhofsvorplatz von Bernau ist der Rückgang demnach noch
größer:
um 80 Prozent von 90 auf 20 Straftaten. Auf Erkners Bahnhofsvorplatz
wurden
noch 105 Vorfälle registriert, nach 210 im Jahr davor. Vor der
Großdiscothek
“Dancehouse” in Rathenow sank seit der Inbetriebnahme der Kameras die
Zahl
der Delikte von 46 auf 26, so die Angaben des Innenministeriums. Für
eine
Verlagerung der Kriminalität in andere Bereiche gebe es keine Hinweise,
teilte Ministeriumssprecher Heiko Homburg mit. Es sei insgesamt ein
Rückgang
der Kriminalität festzustellen. 21 305 Euro kostet der Betrieb der vier
Videoanlagen jeden Monat. Hinzu kommen Personalkosten. Die Technik
kostete
345 000 Euro. Kritiker sprechen von einem Misserfolg der
Kameraüberwachung.
Dadurch werde die Kriminalität nur an andere Standorte verdrängt,
behauptet
etwa die Potsdamer Kampagne gegen Wehrpflicht, die die Inbetriebnahme
einst
mit einer Protestaktion begleitete.
Polizeihauptkommissar Ziemann geht hingegen davon aus, dass die
Kriminalität
insgesamt zurück ging. Der Hauptbahnhof sei kein Schwerpunkt für
Fahrraddiebstähle mehr. Eine Zunahme der Delikte an anderer Stelle gäbe
es
hingegen nicht.
Ziemann verteidigt auch die Speicherung von Kamerabildern, die nur im
Verdachtsfall und auf Knopfdruck erfolge. Bei Straftaten werden
einzelne
Sequenzen ausgedruckt, der Vorgang auf CD gebrannt. Die spezielle
Software
könne nur in der Hauptwache und beim Landeskriminalamt gelesen werden,
sagt
Ziemann. Im Übrigen wisse jeder, der den überwachten Bereich betrete,
dass
er gefilmt wird. Schilder weisen in Deutsch und Englisch auf die
Kameras
hin. Wer sich von den täglich bis zu 70 000 Passanten nicht auffällig
verhält, muss laut Ziemann auch nicht damit rechnen, dass ihn die
Beamten
ganz nah auf den Bildschirmen zoomen. Ganz intime Blicke bleiben aber
auch
der Polizei — zumindest an den Überwachungsmonitoren — verborgen. Die
Sicht
in ein Fitnessstudio im Bahnhofscenter wird durch einen weißen Kasten
auf
dem Bildschirm verhindert.