RATHENOW Schon die Beweisaufnahme war nicht alltäglich. Im Gerichtssaal war ein Fernsehapparat aufgestellt worden. Auf Weisung der Vorsitzenden eines Jugendschöffengerichts, der Amtsgerichtsdirektorin van Lessen, wurden Videoaufnahmen gezeigt, die von einem Polizeikommando in der Silvesternacht des Jahres 2000/2001 aufgenommen worden waren.
Auf dem Monitor war der Kreuzungsbereich Berliner Straße/Brandenburger Straße in Rathenow in nächtlicher Straßenbeleuchtung erkennbar. Deutlich hörbar und zu sehen war eine Gruppe von Menschen, die lautstark “Deutschland den Deutschen, Ausländer raus” grölten.
Die Gruppe bewegte sich recht ungeordnet Richtung Brandenburger Straße, die Parole wurde mehrfach gebrüllt. Dann waren Bilder mehrerer Polizei-Einsatzwagen zu sehen. Die Gruppe wurde gestoppt, die Namen und Adressen der Beteiligten von den Ordnungshütern erfasst.
Polizeivideo als Beweismaterial
Als Resultat der Auswertung dieser Aufnahmen kam es zur Klageerhebung. Der Staatsanwalt beschuldigte den 17-jährigen G., den 19-jährigen D., den 21-jährigen K. und den 19-jährigen S., durch ihr Verhalten in dieser Silvesternacht, Volksverhetzung begangen zu haben.
Unstrittig war bereits vor der Beweisaufnahme, dass aus dieser Gruppe, zu der alle Beschuldigten gehörten, diese Parole gebrüllt worden war. In der Verhandlung gab allerdings nur S. zu, an dem Gebrüll beteiligt gewesen zu sein.
Kamera war ab 18 Uhr in Betrieb
Der Angeklagte D. schwieg zu den Tatvorwürfen, die beiden anderen Angeklagten bestritten, diese Parole geschrieen zu haben.
Gestützt wurde der Tatvorwurf indes durch die Aussage der Zeugin B. Sie führte aus, dass sie als Polizeiangehörige in einer Gruppe mit der Aufgabe betraut war, den Kreuzungsbereich in der Silvesternacht durchgehend ab 18Uhr mit der Videokamera zu überwachen. Dies geschah aus einer leer stehenden Wohnung im 3.Stock eines Wohnhauses in diesem Bereich.
Gegen 1 Uhr des neuen Jahres seien aus einer Menschenansammlung die besagten Parolen gebrüllt worden. Daraufhin habe sie diese Gruppe mit der Videokamera gefilmt. Die Aufnahmen wurden dann als Beweismittel dem Gericht übergeben. Die Polizistin ließ keinen Zweifel daran, dass alle vier Angeklagten zu der Gruppe gehörten, aus der die Parolen skandiert worden waren.
Freiheitsstrafen beantragt
In seinem Schlussplädoyer beantragte der Staatsanwalt, alle Beschuldigten wegen bewiesener Volksverhetzung zu verurteilen. Dafür möge das Gericht für D., K. und S. Freiheitsstrafen zwischen zwei bis vier Monaten und einem Jahr aussprechen. Für den Angeklagten G. hielt er eine Geldstrafe von 200Euro für angemessen. Der Verteidiger dieses Beschuldigten hatte für seinen Mandanten Freispruch beantragt.
Sehr gründlich setzte sich das Gericht in seiner Urteilsbegründung mit den Wirkungen der Parole “Deutschland den Deutschen, Ausländer raus” auseinander. Es befand, dass diese Parole Ausdruck einer feindlichen Haltung gegen eine freiheitliche Gesellschaft sei. Besonders die Forderung “Ausländer raus” ziele darauf ab, andere Menschen zu beeinflussen und zu entsprechendem Handeln zu animieren.
In Rathenow besonders schwer
Das Gericht hob hervor, dass es gerade in Rathenow in der Vergangenheit wegen einer latenten Ausländerfeindlichkeit des Öfteren zu zahlreichen kleineren und größeren Übergriffen gekommen sei. Vor diesem Hintergrund wiege die Tat um so schwerer.
Unter Berücksichtigung recht unterschiedlicher Vorstrafen der Beschuldigten und ihres Lebenswandels seit dieser Straftat erging folgendes Urteil: Alle Angeklagten sind der Volksverhetzung schuldig. G. wird verwarnt. Er hat eine Geldstrafe von 200Euro zu zahlen. D. wird gleichfalls verwarnt. Ihm wird auferlegt, 60 Stunden gemeinnützige Arbeit zu leisten. Mit dem gleiche Strafmaß wurde K. bedacht. S. erhielt unter Einbeziehung von zwei ergangenen Urteilen aus den Jahren 2001 und 2002 eine Jugendstrafe von acht Monaten. Der Vollzug ist auf Bewährung ausgesetzt.