Potsdam – In Potsdam sind verstärkt rechtsextreme Gewalttäter aus verbotenen Berliner Kameradschaften aktiv. Diese Einschätzung linksalternativer Gruppen bestätigte gestern Polizeichef Ralf Marschall. Die Neonazis würden den verbotenen Kameradschaften Tor (für Frankfurter Tor) und Baso (Berliner Alternative Süd-Ost) zugerechnet.
Seit gestern sind laut Staatsanwaltschaft vier der mutmaßlich 15 rechten Schläger vom Sonntag in U‑Haft. Gegen sie werde zusammen mit der polizeilichen Sonderkommission “Potsdam” wegen versuchten Mordes ermittelt, sagte Staatsanwalt Jörg Wagner.
Eines der beiden Opfer vom Sonntag bestätigte gestern, dass unter den rechten Angreifern mehrere Berliner waren, die schon bei den drei Chamäleon-Prozesstagen in Potsdam linke Zeugen bedroht hatten. Zumindest einer sei mehrfach wegen Schlägereien polizeilich erfasst und im Fußballclub SV Babelsberg 03 als Hooligan lange bekannt, sagte Tamás B., der mit einer schweren Gehirnerschütterung mehrere Tage im Klinikum lag.
In der linken Szene Potsdams kennt man viele Rechtsextreme mit Namen und weiß, zu welchen verbotenen Organisationen sie gehören.
Todesangst gehabt
So wusste auch Tamás B. im Moment des rechten Angriffs auf sich und einen “unpolitischen” Freund, wen er vor sich hatte. Er habe Todesangst gehabt, sagt er. Der Angriff von rund 15 Personen sei “professionell” gewesen, ein Teil der Gruppe habe nach mehreren Seiten abgesichert, während andere versuchten, ihm mit beiden Beinen ins Gesicht zu springen. Das gelang nicht, doch dem Freund zerschnitten sie mit einer zersplitterten Flasche das Gesicht. Der Angriff dauerte keine zwei Minuten.
Tamás B. zitiert eine Ärztin aus der Rettungsstelle des Bergmann-Klinikums mit der Einschätzung, der Flaschenschnitt habe bei Christoph B. die Halsschlagader nur um zwei Zentimeter verfehlt.
Im Zuge der Ermittlungen gegen die Schläger vom Sonntagmorgen hatten sich am Dienstagabend drei gesuchte Rechte selbst gestellt, auf anwaltliche Empfehlung, wie es hieß. Sie wurden dem Haftrichter vorgeführt und nach Auskunft von Staatsanwalt Jörg Wagner in Untersuchungshaft genommen. Ein vierter Haftbefehl wurde vom Amtsgericht mit Meldeauflagen außer Kraft gesetzt, weil keine Fluchtgefahr gesehen wird.
Gestern morgen dann nahm man Michael G. fest, der schon im Chamäleon-Prozess am 13. Juni eine Jugendhaftstrafe von einem Jahr und fünf Monaten bekommen hatte, ausgesetzt zur Bewährung.
Gericht sieht keine Fluchtgefahr
Dagegen sind die fünf am Montag festgenommenen Verdächtigen weiter auf freiem Fuß, weil der Haftrichter keine Fluchtgefahr sah. Hier erhob die Staatsanwaltschaft in einem Fall Beschwerde, wurde aber beim Amtsgericht abgewiesen und ruft nun das Landgericht als nächst höhere Instanz an. Somit sind sechs von zehn ermittelten Verdächtigen frei. Ein Drittel der Beschuldigten stammt nach Angaben der Staatsanwaltschaft aus Berlin. Wegen versuchten Mordes wird ermittelt, weil ein politisches Motiv das Mord-Merkmal “niederer Beweggrund” erfüllt. Doch der Richter reduzierte die Mordbeschuldigungen auf vollendete schwere Körperverletzung.
Das Antifaschistische Pressearchiv in der Zeppelinstraße hat gestern für Potsdam mindestens 15 rechte Übergriffe auf Linke in zwei Monaten aufgelistet. Das reicht von Pöbeleien bis zu schweren Ausschreitungen, nur ein Teil kam zur Anzeige. Die Polizei kennt in diesem Jahr bislang acht politisch motivierte Straftaten, sieben davon aus dem rechten Spektrum. 2004 gab es noch zehn politische Delikte.
Tamás B., der am Dienstag eine spontane Demonstration gegen rechts durch die City organisiert hatte, lehnt Gewalt zwischen beiden Lagern ab und strebt gerichtliche Verurteilungen der Schläger an.
Oberbürgermeister Jann Jakobs sowie PDS und SPD im Stadtparlament verurteilten gestern die rechten Ausschreitungen.