Potsdam — Ein Aufsehen erregender Justizskandal erschüttert das Land Brandenburg: In der Haftanstalt in Brandenburg an der Havel sollen vermummte Vollzugsbedienstete jahrelang wehrlose Insassen verprügelt und zum Teil schwer misshandelt haben. Die Opfer erlitten angeblich zum Teil schwere
Verletzungen und Knochenbrüche.
Das Potsdamer Justizministerium hat gestern auf Grund von Recherchen des RBB-Magazin Klartext gegen acht Bedienstete Disziplinarverfahren eingeleitet, wie Justizsprecherin Dorothee Stacke der Berliner Morgenpost bestätigte. Noch in dieser Woche sollen Suspendierungen gegenüber
Bediensteten ausgesprochen werden.
Der Fernsehsender RBB stützt sich bei seinem Bericht über die schockierenden Zustände in der Brandenburger Haftanstalt auf die Aussagen von zwei ehemaligen und einem noch inhaftierten Opfer. Weitere Zeugen haben
bestätigt, dass die mit so genannten Sturmmasken getarnten Beamten in Dreier- bis Vierergruppen auftraten. Die Übergriffe mit Schlagstöcken und Fäusten seien meist nachts erfolgt, behaupten die Opfer.
Ein Häftling erhebt den schweren Vorwurf, es sei in der Nacht vom 13. zum 14. Januar mit Gummiknüppeln und Schutzschilden auf ihn eingeschlagen worden, nachdem er einen Herzinfarkt erlitten hatte und vergeblich um einen
Arzt rief.
“Wir nehmen die Vorwürfe sehr ernst”, sagte Justizsprecherin Stacke. Nicht beantwortet ist die Frage, weshalb die Behörde von Justizministerin Barbara Richstein (CDU) erst jetzt reagiert. Bereits im Januar hatte der Herzinfarkt-Patient Anzeige gegen Unbekannt erstattet, nachdem er seine
Peiniger offenbar nicht erkennen konnte. Seitdem ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen gefährlicher Körperverletzung und unterlassener Hilfeleistung.
Der Justizvollzug des Landes ist bereits im vergangenen Jahr durch Skandale mehrmals aufgefallen. Im Frühjahr wurden neun Beschäftigte der JVA Brandenburg/H. vom Dienst suspendiert; sie sollen sich über einen Zeitraum von fast vier Jahren von Häftlingen in der Metallbauwerkstatt Gegenstände
für den privaten Gebrauch zu Niedrigstpreisen bauen lassen haben. Manipulationen in den Wirtschaftbüchern dienten der Vertuschung.
Mitte 2003 begannen Ermittlungen gegen eine Ärztin und vier Krankenpfleger, die Medikamente aus der Gefängnisapotheke zur Eigenbehandlung entnommen sowie eigene Blutproben unter dem Namen von Inhaftierten an ein Labor geschickt haben sollen — ebenfalls, um Kosten zu sparen. Ministerin Reiche
sprach damals von einer eindeutigen Beweislage. Die Ärztin wurde suspendiert.
Vergleichsweise harmlos erscheint dagegen der “Mundraub” im Jugendarrest Königs Wusterhausen, der im Herbst publik wurde. Bedienstete sollen sich und sogar ihren Familien Essensrationen auf Staatskosten bestellt, von den
Jugendlichen zu Unrecht Wäschegeld kassiert und ihre Pausen überzogen haben.
Im November machte der Fall eines verurteilten Bankräubers aus Berlin Furore, der aus der JVA Cottbus-Dissenchen heraus Drogengeschäfte per Handy organisierte. Zwei Helfer hatte der 30-Jährige bei der Justiz gefunden: einen Krankenpfleger und eine Justizbeamtin.