(MAZ, Marion Bergsdorf) VELTEN Ihre Eltern haben den Holocaust erlebt. Dr. Miriam David,
Schulleiterin aus Tel Aviv, war gestern zu Gast im
Hedwig-Bollhagen-Gymnasium in Velten und gestaltete den Politik-Unterricht
der Klassenstufe elf. Viele andere Schüler, zum Beispiel aus der
Arbeitsgruppe Geschichte, drängten ebenfalls in diese Unterrichtsstunden.
Sie haben es sicher nicht bereut. Die lebhafte Israelin brachte ihnen das
Thema Holocaust aus einer ganz ungewohnten Sicht nahe. Nämlich aus ihrer
eigenen, der “2. Holocaust-Generation”, wie sie sagte. Weder Miriams Vater
noch ihre Mutter wollten über das in Auschwitz Erlebte sprechen. Und die
Kinder wie Miriam sahen zwar die Häftlingsnummer auf dem Handrücken ihrer
Eltern, doch als zarte Versuche mit Schweigen beantwortet worden waren,
trauten sie sich nicht mehr zu fragen.
Der Vater nahm seine Erlebnisse mit ins Grab, doch die Mutter bat im Alter
von 70 Jahren Tochter Miriam darum, ihre Geschichte aufzuschreiben. “Ich
wollte erst nicht, denn ich hatte das Gefühl, dass meine Mutter sterben
wird, wenn sie alles erzählt hat”, berichtete Miriam David den Schülern in
Velten. Sie erfüllte der Mutter aber den Wunsch und machte ein Buch daraus
mit dem Titel “Die einsame Kerze”. Denn als Miriam sich entschlossen hatte,
selbst nach Polen zu fahren und Ausschwitz zu besuchen, gab ihr die Mutter
zwei Kerzen mit, die sie am “Krematorium 3” aufstellen sollte. Von dort
erbat sich die Mutter etwas Erde. Die sollte in ihr Grab geschüttet werden.
Denn in diesem Krematorium seien die Eltern und Brüder der Mutter
umgekommen. Und da es kein Grab der Angehörigen gebe, sei die Mutter dann
wenigstens im Tode mit ihnen vereint.
Sechs Wochen, nachdem Miriam aus Polen zurückgekehrt war, starb ihre Mutter.
Mehrfach ist Miriam David danach noch in der Gedenkstätte in Auschwitz
gewesen. Sie hat ihre Schüler aus Israel mitgenommen und in Auschwitz auch
eine deutsche Schülergruppe getroffen. Die Kinder kamen ins Gespräch, denn
alle hatte die gleichen Fragen.
Seit 1994 spricht Miriam David vor Schülern in Deutschland. Sie erzählt, wie
sie sich als Kind von Auschwitz-Überlebenden fühlte. Dass sie keine
Großeltern, Onkel und Tanten hat. Ihre Eltern hätten sich einsam gefühlt.
Ihre Mutter hat ihre Erlebnisse doch noch erzählt, weil sie nicht wollte,
dass “Leute eines Tages sagen, Auschwitz sei eine jüdische Legende gewesen”.
Diesem Auftrag ihrer Mutter fühlt sich Miriam David verpflichtet.
Staunen auf den Gesichtern der Veltener Gymnasiasten, als Miriams Tochter
Tamara (23) dann zu ihnen in Englisch spricht. Die junge Frau ist Offizier
der israelischen Armee und betreut Soldaten aus zerrütteten Familien. Sie
studiert politische Wissenschaften und Medien und begleitet die Mutter das
erste Mal nach Deutschland. Jeder Abiturient in Israel tue etwas für den
Staat, in sozialen Diensten oder in der Armee. Das könne das Land von der
Jugend erwarten, die beruflichen Chancen seien damit später besser, erzählt
Tamara.
Miriam David, Mutter von fünf Töchtern, ist in dieser Woche noch in mehreren
Schulen in Oberhavel zu Gast. Im Veltener Gymnasium verabschiedete sie sich
mit “Auf Wiedersehen in Israel.”