Vor dem Prozess ist nach dem Prozess
Der 19. Todestag des NS — Kriegsverbrechers Rudolf Heß am vergangenen Donnerstag, dem 17. August 2006, sollte, ginge es nach dem Plan der Staatsanwaltschaft, auch für zwei Mitglieder der verbotenen Kameradschaft „Sturm 27“ zu einem vorläufigen Abschluss ihrer (neo)nationalsozialistischen Karriere führen. Martin K. und Michael P., führende Köpfe dieser verbotenen Vereinigung, waren vor dem Amtsgericht Rathenow angeklagt in vier Fällen im Jahr 2005 Menschen gemeinschaftlich und unter der Zuhilfenahme von gefährlichen Werkzeugen erheblich an der Gesundheit geschädigt zu haben.
In zwei Fällen wurde sogar der Tot der jeweiligen Opfer zumindest billigend in Kauf genommen. Nur durch Zufall konnte so ein Mann vor dem verbluten und ein Jugendlicher vor der Ertränkung im Rathenower Stadtkanal bewahrt werden.
Trotz des verbrecherischen Charakters ihrer Taten kamen Martin K. und Michael P. jedoch einmal mehr durch zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafen davon, weil sie „nur“ wegen Volksverhetzung und Verwendung von NS Symbolik und somit angeblich nicht einschlägig vorbelastet waren.
Die von der Opferperspektive e.V. befürchte Nutzung des Gerichtssaales als Bühne für die von Neonazis proklamierten so genannten „Rudolf Hess Aktionswochen“ blieb jedoch – offensichtlich aus taktischen Gründen — aus. Trotzdem kam es sowohl vor und nach dem Prozess zu den nunmehr schon „traditionellen“ Aktionen des „Sturm 27“ zum Todestag des ehemaligen Stellvertreters Adolf Hitlers.
In der Nacht vom 16. zum 17. August wurden mehrere Mitglieder der verbotenen Kameradschaft beobachtet wie sie am Friedrich Ebert Ring in Rathenow ungefähr A7 große Flyer mit der Aufschrift „Märtyrer des Friedens! — Rudolf Heß“ als Postwurfsendung in Briefkästen von Wohnhäusern zustellten. Auch Martin K. wurde – wenigen Stunden vor seinem Prozess – unter den Verteilern erkannt.
Am 18. August wurde wiederum in Rathenow der Tod von Rudolf Heß am 17. August 1987 im Kriegsverbrechergefängnis in Berlin Spandau beklagt und als Mord verleumdet. Die Hauptspur der diesmal verbreiteten thematischen Aufkleber des „Nationalen und Sozialen Aktionsbündnisses Mitteldeutschland“ und eines Rüdiger Kahsner aus Hagen begann in der Nähe des Sturm 27 – Treffs in der Rhinower Landsstraße (Rathenow – Nord) und endete unmittelbar vor der Wohnung von Martin K. in Rathenow – Ost.
Der Rechtstaat und seine erzieherisch wohlwollende Gerichtsbarkeit wurde von Neonazis somit einmal mehr verhöhnt. Es ist überhaupt unbegreiflich wie eine angeblich verbotene und somit offiziell aufgelöste Neonazikameradschaft immer wieder in dreistester Weise ihre Aktivitäten fortsetzen kann, ohne dass es in Staat und Gesellschaft irgendwelche Reaktionen gibt — nicht einmal ihr Treffpunkt, die von Martin K. gepachtete und inzwischen zur „Festung“ ausgebaute Gartenlaube in Rathenow – Nord, wurde enteignet.
Die Weiterbetätigung verbotener Vereinigungen ist jedoch im Berlin – Brandenburger Raum nicht singulär. Sowohl in Brandenburg als auch in Berlin sind von den in den letzten Monaten offiziell inaktivierten Kameradschaften fortgesetzte Aktivitäten zu beobachten. So nennt sich beispielsweise die vom Innensenator des Landes Berlin verbotene Kameradschaft „Tor“ jetzt „Freie Kräfte Berlin“ und rief unter dieser Bezeichnung im Kontext des Verbotes des so genannten „Rudolf Hess Gedenkmarsches“ in Wunsiedel (Bayern) zu einem Aufmarsch für „Meinungsfreiheit“ und gegen „Gesinnungsjustiz“ am 19. August 2006 in Berlin auf.
Auch Mitglieder des kürzlich verbotenen „Schutzbund Deutschland“, der aus der so genannten „Bewegung Neue Ordnung“ entstanden ist, scheinen ihre Propagandaaktionen in ähnlicher Form fortzuführen. Auf der Internetseite des so genannten „Freien Widerstandes“ wurde so von einem Neonazi des Schutzbund aus Potsdam ein der Propaganda der verbotenen Vereinigung stilistisch gleichendes Flugblatt zum Download angeboten, welches unter der Bezeichnung „Bewegung Neues Deutschland“ verbreitet werden soll.
Um die Weiterbetätigung auch offiziell zu legalisieren haben mehrere verbotene Neonazivereine, darunter der „Schutzbund Deutschland“ und die „ANSDAPO“ aus Brandenburg sowie die „BASO“ aus Berlin zudem Widerspruch vor den zuständigen Verwaltungsgerichten eingelegt. Im Fall der revidierten Verbotsverfügung für das Logo der in der neonazistischen Szene beliebten Modemarke „Thor Steinar“ führte dies bereits zum Erfolg, sehr zum Ärger des vor allem an Repression orientierten Brandenburger Innenministeriums.
Die Erschöpfung des abschreckenden Charakters in der Extremismusbekämpfung ist in all diesen Beispielen offensichtlich. Auch im Fall des „Sturm 27“ der nicht gerichtlich gegen das Verbot vorgeht – er existiert einfach weiter.
Es müssen neue Konzepte im Kampf gegen Rassismus, Antisemitismus und Neonazismus ausgearbeitet werden. Insbesondere muss den agierenden Kadern der Mythos — im Auftrage der Mehrheit der Bevölkerung zu handeln und überall in ihrer Rolle als Neonazis willkommen zu sein — genommen werden.
In Rathenow hat sich vor einigen Wochen ein Bündnis gegen Rechtsextremismus gebildet — es wird Zeit das dieses nun handelt.
Rassismus, Antisemitismus und Neonazis ächten!
Nazitreffpunkte dichtmachen!